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Debatte: Integration muss man wollen

Debatte

Integration muss man wollen

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    Deutschkurs für Flüchtlinge: Es werden Jahre ins Land gehen.
    Deutschkurs für Flüchtlinge: Es werden Jahre ins Land gehen. Foto: Bernd Wüstneck/dpa

    Neukölln ist überall. Schulen, in denen nur noch ein Bruchteil der Kinder fehlerfrei Deutsch spricht. Mietskasernen, in denen jeder zweite Bewohner keine Arbeit hat. Parallelwelten, in denen nur das Wort des Imams zählt und nicht das des Bezirksbürgermeisters. Die Straße der Integration ist in solchen Vierteln häufig eine Einbahnstraße – allerdings eine, die in die falsche Richtung führt.

    Umso erstaunlicher ist es, wie heftig Kirchen, Sozialverbände und Anwälte eine Passage des neuen Integrationsgesetzes attackiert haben, die das Entstehen weiterer Neuköllns verhindern soll. Bis zu drei Jahren kann der Staat Flüchtlingen jetzt vorschreiben, wo sie zu leben haben: Das bremst den Drang in die Städte, nutzt vorhandenen Wohnraum besser und sorgt für eine halbwegs gerechte Verteilung von mehr als einer Million Menschen über die Republik. Das Recht auf Freizügigkeit, das ihnen die Genfer Konvention garantiert, wird damit nicht komplett ausgehebelt, sondern nur für einen befristeten Zeitraum und auch nur für Flüchtlinge, die noch keine Arbeit gefunden haben und von Sozialleistungen leben.

    Ganz abgesehen davon, dass der Europäische Gerichtshof solchen Eingriffen ohnehin enge Grenzen setzt: Integration ist kein Rundum-sorglos-Paket, das ein Land jedem Neuankömmling zur Begrüßung in die Hand drückt, sondern zunächst einmal eine Bringschuld der zu Integrierenden. Sie müssen bereit sein, eine neue Sprache zu lernen, sich auf ihre neue Heimat einzulassen, auf ihre Werte, ihre Mitmenschen, ihre Traditionen – und sei es in einem kleinen brandenburgischen Dorf, weit weg vom Schuss. Dafür haben Flüchtlinge es in Zukunft leichter, einen Job anzunehmen oder eine Ausbildung zu beginnen. Das Prinzip des Förderns und Forderns, das schon die Sozialreformen der Agenda 2010 durchzog, findet sich nun auch im Integrationsgesetz wieder – und das völlig zu Recht. Wer Integrationskurse schwänzt, wer auch nach drei Jahren noch kein Deutsch spricht und sich keine Arbeit gesucht hat, muss mit Leistungskürzungen und anderen Sanktionen rechnen.

    In den Integrationskursen fehlen tausende Plätze

    Bis das neue Gesetz auch hält, was die Koalition sich von ihm verspricht, werden allerdings noch Jahre ins Land gehen. In den Integrationskursen fehlen tausende von Plätzen, in den Schulen tausende von Lehrern, die erst noch ausgebildet werden müssen, und auch jenseits der großen Städte und Ballungsräume fehlen noch zigtausende von Wohnungen. Bis dahin bleibt die Integration einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen ein politischer und sozialer Drahtseilakt.

    Die Mehrheit von ihnen wird womöglich auf Jahre hinaus auf staatliche Fürsorge angewiesen sein, das treibt schon bald die Krankenkassenbeiträge in die Höhe und irgendwann vielleicht auch die Steuern. Salafisten versuchen mit zunehmendem Erfolg, Glaubensbrüder aus Syrien oder dem Irak für ihre extremistische Ideologie zu gewinnen, indem sie ihnen ein Gefühl von Geborgenheit geben, die auf Abschottung fußt und nicht auf Integration. Und wenn 30 große Konzerne bisher nicht einmal 60 Flüchtlinge eingestellt haben, sagt das nicht nur etwas über die Lage am Arbeitsmarkt aus, sondern auch über den Ausbildungsstand der Menschen, die bisher gekommen sind. Der syrische Arzt, der voller Euphorie eine verwaiste Praxis im Bayerischen Wald übernimmt, ist die Ausnahme, nicht die Regel.

    Integration braucht ihre Zeit, das ja – aber sie braucht auch einen Raum, in dem sie gelingen kann. Ist dieser Raum zu eng, weil zu viele Menschen um zu wenige Möglichkeiten konkurrieren, nutzt das bestgemeinte Gesetz nichts. Die Koalition versucht zwar, die Dinge nach einem chaotischen Jahr nun etwas zu ordnen. Integration aber kann keine Regierung erzwingen. Integration muss man wollen.

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