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Ehemaliger Korrespondent berichtet: "Karadzic vermittelte den Eindruck einer gespaltenen Persönlichkeit"

Ehemaliger Korrespondent berichtet

"Karadzic vermittelte den Eindruck einer gespaltenen Persönlichkeit"

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    Karadzic ist nicht mehr wieder zu erkennen.
    Karadzic ist nicht mehr wieder zu erkennen.

    Er hat Radovan Karadzic schon persönlich getroffen und spektakuläre Interviews mit dem untergetauchten früheren Führer der bosnischen Serben geführt. Hans Peter (Pit) Schnitzler, der ehemalige Balkan-Korrespondent und frühere Chefredakteur des Augsburger Fernsehsenders RT.1, war von der Nachricht über die Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers elektrisiert.

    "Das ist ein Signal für Europa, dass Serbien es doch ernst ist mit der Öffnung in Richtung Westen", sagte Schnitzler am Dienstag zu Radio RT.1. Bisherige Regierungen seien das Risiko einer Festnahme nicht eingegangen. Denn Karadzic habe immer noch große Sympathie in weiten Teilen der Bevölkerung genossen. Doch die, so Schnitzler, sei zuletzt immer mehr geschrumpft.

    Der ehemalige Regierungschef Vojislav Kostunica sei der letzte ranghohe Politiker gewesen, der Karadzic ganz offensichtlich noch Schutz geboten habe.

    Der Journalist wusste eigenen Angaben zufolge früher auch, wo sich der untergetauchte Serben-Präsident versteckt hatte. "Aber es war damals hoffnungslos, selbst ohne Kamera in die betreffende Straße reinzukommen", erzählt er.

    Männer in Zivil seien ihnen damals entgegengekommen. Diese hätten nur ihre Blousons geöffnet, auf ihre riesigen Revolver gezeigt und die Reporter vertrieben.

    Hält er persönlich Karadzic für einen Kriegsverbrecher? Schnitzler überlegt kurz: "Im Augenblick kann niemand mit Gewissheit sagen, Karadzic hätte selbst jemanden umgebracht oder er hätte persönlich die Befehle dazu gegeben. Das war wohl General Ratko Mladic." Alles in allem sei es aber schon so: Karadzic sei der politische Führer der Serben gewesen und habe damals wie heute die Verantwortung für die Verbrechen in Bosnien.

    Persönlich, so Schnitzler, sei Karadzic allerdings "nicht unsympathisch" gewesen. Es habe auch Treffen mit ihm gegeben. Allerdings nur, wenn er politische Botschaften verbreiten wollte. In Gesprächen habe der Serben-Führer durchaus den Eindruck vermittelt, einen ernst zu nehmen und auch weitreichenden politischen Verstand gezeigt.

    "Einmal hat er mir über einen Mittelsmann ausrichten lassen, ich solle für ein Interview in die bosnische Serben-Hochburg Pale kommen. Seine Botschaft: Deutsche Soldaten sind uns willkommen. Das war schon interessant", berichtet Schnitzler, der unter Präsident Slobodan Milosevic selbst einmal in Belgrad verhaftet und einen Monat in Isolationshaft festgehalten wurde. Denn so habe Karadzic gewissermaßen den Weg geöffnet, dass Deutschland auf dem Balkan politisch in eine einflussreiche Rolle gewachsen sei.

    Allerdings sei der mutmaßliche Kriegsverbrecher auch mit einem großen Hang zur Theatralik ausgestattet gewesen. Immer, wenn er früher einen Notizblock oder ein Mikrofon gesehen habe, sei er auf diejenigen zugestürmt. Außerdem habe Karadzic gerne im Kasino gespielt.

    Der ausgebildete Psychiater ist Schnitzler zufolge übrigens selbst ein Fall für die Couch gewesen: Man hatte den Eindruck, er sei irgendwie eine gespaltene Persönlichkeit. Und: Radovan Karadzic habe felsenfest die Überzeugung vertreten, die heute in Belgrad immer noch populär ist: Serbien habe damals in Bosnien die Freiheit des Westens gegen die Islamisten verteidigt.

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