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Kempten: Kokain-Prozess: Und plötzlich spricht Armin N. von "Filmriss"

Kempten

Kokain-Prozess: Und plötzlich spricht Armin N. von "Filmriss"

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    Bei Armin N., dem Ex-Polizisten aus Moosbach bei Kempten, wurden im vergangenen Jahr 1,8 Kilogramm Kokain gefunden.
    Bei Armin N., dem Ex-Polizisten aus Moosbach bei Kempten, wurden im vergangenen Jahr 1,8 Kilogramm Kokain gefunden. Foto: Ralf Lienert

    Es ist Punkt 9 Uhr, als auf dem Flur des Landgerichts Kempten das Blitzlichtgewitter beginnt. Über ein Dutzend Fotografen und Kameramänner umringen den Pulk aus Polizisten und Justizbeamten, der wie aus dem Nichts um die Ecke gebogen ist und nun zielstrebig dem Verhandlungssaal 169 zustrebt. Schon in diesem Moment sticht Armin N. aus dem Knäuel Uniformierter heraus. Der ehemalige Leiter der Allgäuer Drogenfahndung misst an die einsneunzig. Er überragt praktisch alle auf dem Flur.

    Ungelenk, fast steif wirken seine Schritte bis zur Anklagebank. Dort nimmt man dem 53-jährigen Oberallgäuer die Handschellen ab. Und wieder zucken Lichtblitze, leuchten Scheinwerfer. Dass Kameras jede Regung seines Gesichts aufsaugen, nimmt er standhaft hin. Sein Blick in die Objektive ist erstaunlich ruhig. Ab und zu mustert er die Reihen der Journalisten und Zuhörer. Nur das gelegentliche Wippen seiner Füße verrät die große Anspannung, unter der er steht.

    Der hochrangige Polizeibeamte, dem die Staatsanwaltschaft den Besitz von 1,8 Kilogramm Kokain, schwere Körperverletzung und Vergewaltigung vorwirft, macht einen gepflegten Eindruck. Der Kopf ist kahl geschoren. Armin N. trägt einen dunkelgrauen Anzug, eine grau-weiß gestreifte Krawatte und eine schmale Brille.

    Unweigerlich stellt sich an diesem Montagmorgen die Frage: Ist das der Mann, der nach einem verpatzten Abendessen am Valentinstag 2014 in seinem Wohnhaus in Sulzberg im Oberallgäu in einen Kampfanzug geschlüpft ist, wie es die Anklage besagt? Der nach massivem Drogen-, Alkohol- und Medikamentenkonsum seine schlafende Ehefrau im Schlafzimmer mit Händen und Ellenbogen gewürgt hat, sie mit Fäusten traktierte und mehrmals drohte, sie mit einem Küchenmesser umzubringen? Der sie schließlich zum Sex zwang und erst von ihr abließ, als er im Rausch vom Bett gekippt war?

    Der Angeklagte Armin N. streitet keinen Vorwurf ab

    So schilderte es seine Frau bei einer früheren Vernehmung und so steht es in der Anklageschrift, die Michael Hauck von der ermittelnden Staatsanwaltschaft München I zehn Minuten lang nüchtern und präzise vorträgt. „Lebensbedrohliche Angriffe“ seien das gewesen, sagt Hauck. Er erwähnt aber auch, dass Armin N. schließlich von seiner Frau abgelassen habe, obwohl er in der Lage gewesen sei, die Tötungsdrohung umzusetzen. Der 53-Jährige selbst hat nach seinen Angaben keine Erinnerung mehr daran. Die Rede ist von einem „Filmriss“. Dass sich der Fahnder an jenem Abend mit 1,49 Promille hinters Steuer seines Wagens setzte und nach Kempten fuhr, hat er ebenfalls nur noch schemenhaft in Erinnerung. Er sagt: „Ich kann es mir nur so erklären, dass ich auf die Dienststelle fahren wollte, um mich zu erschießen.“

    Armin N. streitet keinen Vorwurf ab, stellt die Darstellung seiner Ehefrau in keiner Sekunde infrage. Das gilt auch für eine Gewaltattacke im Januar 2014, bei der seine Partnerin über den Balkon im ersten Stock vor ihm fliehen wollte. Sie stürzte dabei laut Anklage von der Brüstung auf den Boden und erlitt schwere Verletzungen im Bereich der Lendenwirbel. In dem Prozess tritt die Frau als Nebenklägerin auf, macht aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Sie ist selbst nicht anwesend, sondern lässt sich von einer Anwältin vertreten.

    Mehrere Minuten lang nimmt Armin N. in einer persönlichen Erklärung zu den Anschuldigungen Stellung. „Ich schäme mich zutiefst für diese Aggressionen“, sagt der Hüne mit ruhiger, phasenweise dünner Stimme. „Ich möchte mich mit tiefem Bedauern dafür entschuldigen, es hätte nie zu diesen Übergriffen kommen dürfen.“ Neben der Familie bezieht er in seine Entschuldigung auch ausdrücklich die Polizei mit ein, der sein Verhalten erheblichen Schaden zugefügt habe.

    Eine Erklärung für sein Handeln habe er nicht, sagt der Vater zweier erwachsener Kinder aus erster Ehe. Er habe sich für ein Verhalten zu entschuldigen, das er für seine Person vor Jahren für ausgeschlossen gehalten habe und das sich aus heutiger Sicht nur mit dem extremen Konsum von Drogen, Alkohol und Medikamenten einordnen lasse. „Dafür übernehme ich die volle Verantwortung.“

    Doch wie konnte der erfolgreiche Beamte, der 1994 zur Kripo Kempten kam und ab dem Jahr 2000 das neu geschaffene Kommissariat zur Rauschgiftbekämpfung leitete, auf so verheerende Weise vom Weg abkommen? „Durch den ständigen Umgang mit Drogen habe ich irgendwann die Distanz dazu verloren“, schildert der 53-Jährige dem Vorsitzenden Richter Thorsten Thamm. Anfangs, im Jahr 1994, habe er einmal „Ecstasy probiert“. Später seien sporadisch Kokain und Cannabis dazugekommen.

    Der frühere Drogenfahnder führte ein Doppelleben

    Ab 2007 habe sich der Konsum massiv gesteigert. „Ich hatte zunehmend persönliche Probleme“, räumt der Angeschuldigte mit Verweis auf eine schwierige Ehe ein. Irgendwann habe er der Versuchung nicht mehr widerstehen können, die von den Drogen in seinem beruflichen Umfeld ausging. Hinzugekommen sei ein „erheblicher Medikamentenkonsum“.

    Armin N. offenbart ein unglaubliches Doppelleben, von dem nach seiner Schilderung niemand im Kollegenkreis wusste. „Im Dienst habe ich das stets verheimlicht.“ Womit eine entscheidende Frage in den Vordergrund rückt: Woher stammen die 1,8 Kilogramm Kokain, die in der Valentinstagsnacht in seinem Dienstschrank entdeckt wurden und zu denen nur er Zugang hatte? Die Antwort belässt der Angeschuldigte im Dunst der bisherigen Ermittlungen.

    „Zum konkreten Zeitpunkt und den konkreten Umständen ist keine konkrete Erinnerung mehr da.“ Sicher sei nur, dass ihm das Rauschgift von einem Staatsanwalt oder einer anderen dienstlichen Quelle zu Schulungszwecken überlassen worden sei. Weitergehende Angaben könne und werde er nicht machen, lässt Armin N. das Gericht wissen. Eine Position, mit der sich die Staatsanwaltschaft München I fürs Erste offenbar zufriedengibt. „Es gibt keine Hinweise, dass das Rauschgift von Dritten überlassen wurde oder die Staatsanwaltschaft in unrechtmäßige Vorgänge involviert war“, stellt Sprecher Peter Preuß in einer Sitzungspause klar. Auch für einen Zusammenhang mit dem Tod des Leitenden Oberstaatsanwalts in Kempten 2014 gebe es keinerlei Anhaltspunkte.

    Das Kokain soll seit zehn Jahren in seinem Besitz gewesen sein

    In der Verhandlung greift wenig später auch der Vorsitzende Richter Thamm das Thema auf: „Die Kammer hat über den unrechtmäßigen Besitz zu befinden, die Herkunft hat sie nur bedingt zu beurteilen.“ Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht hatten bereits vor der gestrigen Hauptverhandlung beraten.

    Nach einem sogenannten Rechtsgespräch wird Armin N. bei einem Geständnis ein Strafrahmen von sechseinhalb bis sieben Jahren in Aussicht gestellt. Zudem hat der Angeklagte seiner Frau im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs bereits 35000 Euro Schmerzensgeld gezahlt und sich bereit erklärt, die Kosten der Nebenklage zu übernehmen. Als der Richter das Ergebnis des Rechtsgesprächs verkündet, werden im Zuhörerraum Stimmen des Protests laut. „Lächerlich“, ruft einer.

    Am Nachmittag wird die Ermittlungsrichterin im Kokainskandal gehört. Armin N. wirkt deutlich entspannter, er verfolgt das Geschehen mit verschränkten Armen. Die Ermittlungsrichterin hatte die Ehefrau des Angeklagten nach der Tat in der Nacht zum 15. Februar vergangenen Jahres vernommen. „Ich hatte nicht das Gefühl, sie will ihren Mann irgendwie reinreiten, sondern sie hatte einfach Angst vor ihm“, schildert sie ihren Eindruck.

    Das fragliche Kokain sei nach Angaben von Armin N. bereits seit mindestens zehn Jahren in seinem Besitz gewesen, berichtet die Ermittlungsrichterin von ihren Vernehmungen. Auf der Dienstelle habe der Angeklagte nach eigenen Angaben niemals etwas konsumiert. Stattdessen habe er kleine Mengen von ein oder zwei Gramm mit nach Hause genommen, um es mit seiner Frau einzunehmen. Der Angeklagte verfolgt diese Aussagen ohne sichtbare Emotionen. Er verschränkt die Arme und zeigt auch keine Regung, als ein weiterer Gutachter die Verletzungen der Frau beschreibt. Insbesondere das Würgen und die Angriffe auf den Hals seien „zumindest potenziell lebensgefährlich“ gewesen, sagt der Mediziner.

    Als der erste Prozesstag endet, sind viele Beobachter schon nicht mehr da. „Für ihn ist es gut gelaufen“, kommentiert einer, der bis zum Schluss dabei ist, und deutet auf Armin N. Erst am 6. Februar geht das Verfahren weiter.

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