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Hintergrund: Martin Schulz plant ein Reförmchen der Schröder-Reform

Hintergrund

Martin Schulz plant ein Reförmchen der Schröder-Reform

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    Anstecker mit dem Konterfei des SPD-Kanzlerkadidaten Martin Schulz.
    Anstecker mit dem Konterfei des SPD-Kanzlerkadidaten Martin Schulz. Foto: Nicolas Armer (dpa)

    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gibt im Wahlkampf den Streiter für den hart arbeitenden kleinen Mann, den er im Falle eines Jobverlusts vor dem „bösen“ Hartz IV retten und länger im „guten“ Arbeitslosengeld (ALG I) halten will. Scharfe Kritik an der „Agenda 2010“, der Arbeitsmarktreform des bislang letzten SPD-Kanzlers Gerhard Schröder hat ihm bei seinen Auftritten viel Applaus eingebracht, obwohl er bislang noch gar nicht sagen konnte, was genau er an der Reform reformieren wird, sollte er denn gewählt werden.

    Am Montag will er sein Konzept zusammen mit Arbeitsministerin Andrea Nahles vorstellen, die Grundzüge sind schon durchgesickert. Kernpunkt seiner Pläne ist das sogenannte „Arbeitslosengeld Q“, das er einführen will. Das ALG Q wäre gleich hoch wie das ALG I und würde gezahlt, während sich ein Arbeitssuchender in einer Qualifizierungsmaßnahme befindet, die er spätestens drei Monate nach dem Jobverlust angeboten bekommen würde. Ältere Arbeitnehmer, die bereits jetzt bis zu zwei Jahre Anspruch auf ALG I haben, könnten so sogar bis zu vier Jahre lang den ALG-I-Satz beziehen.

    Wer von den Schulz-Plänen profitieren würde

    Doch vom Schulz-Nahles-Plan würde nur ein recht kleiner, verhältnismäßig gut verdienender Personenkreis profitieren. 60 Prozent des letzten Nettolohnes, wenn es in der Familie Kinder gibt, sogar 67 Prozent, beträgt das Arbeitslosengeld I. Das klingt zunächst nach deutlich mehr, als der Hartz-IV-Regelsatz. Der beträgt für Unverheiratete derzeit 409 Euro. Mit Frau und Kind aber sind es mehr als 1000 Euro. Dazu übernimmt das Jobcenter noch die Wohnkosten. Nach aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur beträgt das Arbeitslosengeld I im Durchschnitt knapp unter 1000 Euro. Gering Qualifizierte, Alleinerziehende in Teilzeit oder Kinderreiche sind in den meisten Fällen mit Hartz IV also ohnehin bessergestellt als mit ALG I.

    Das Heer der Arbeitnehmer, die nur den Mindestlohn oder wenig mehr verdienen, hätte von den Schulz-Plänen kaum etwas. Schulz spricht mit seiner geplanten Agenda-Reform zielgenau die klassische SPD-Klientel an: ältere Facharbeiter mit vergleichsweise hohen Löhnen. Dass sie, die meist jahrzehntelang tüchtig in die Sozialsysteme eingezahlt haben, nach kurzer Zeit ins Hartz-IV-System rutschen und damit so wenig bekommen sollen wie jemand, der noch nie gearbeitet hat, erscheint tatsächlich ungerecht. Doch diese Schwäche der Agenda 2010 korrigierten Union und SPD bereits 2010, als sie den ALG-I-Bezug für über 50-Jährige von einem auf bis zu zwei Jahre verlängerten.

    Das ALG-Q könnte falsche Anreize setzen

    Ein ALG-Q, das bis zu zwei Jahre lang während Qualifizierungsmaßnahmen gezahlt werden könnte und faktisch eine Erhöhung der Bezugsdauer von ALG I auf bis zu vier Jahre bedeuten würde, birgt die Gefahr, dass falsche Anreize gesetzt werden. Ältere Arbeitnehmer könnten die Qualifizierungszeit für den sanften Übergang in den Vorruhestand missbrauchen. Ihre Motivation, schnell wieder einen Job zu finden und dabei auch Kompromisse in Kauf zu nehmen, drohte zu sinken. Und Unternehmen könnten mit dem Schulz-Plan elegant ältere Mitarbeiter auf Kosten der Allgemeinheit loswerden. Von der Qualifizierung hätte dann niemand etwas.

    Dass Weiterbildung sinnvoll ist, ist unbestritten, doch entsprechende Programme gibt es längst. Und mit seinen Plänen zur Agenda-Reform spricht Schulz Probleme an, die derzeit gar keine sind: So viele Menschen wie nie zuvor stehen in Lohn und Brot, gerade auch ältere, erfahrene Arbeitnehmer werden von den Firmen gesucht.

    Dass Deutschland den Sprung vom „kranken Mann Europas“ zum wirtschaftlichen Vorbild für die ganze Welt geschafft hat, liegt an der Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre und der boomenden Weltwirtschaft. Aber eben auch an der Agenda 2010, die den Druck gerade für Langzeitarbeitslose erhöhte, weniger attraktive Jobs anzunehmen. An diesem Prinzip will auch Schulz nicht rütteln – viele seiner Anhänger, die das sehnlichst gehofft hatten, werden enttäuscht sein.

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