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Ukraine-Krise: Merkel und Putin: "Sie weiß, wie sie mit ihm reden muss"

Ukraine-Krise

Merkel und Putin: "Sie weiß, wie sie mit ihm reden muss"

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der russische Staatspräsident Wladimir Putin kennen sich gut. Hier sind sie bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Berlin zu sehen. Archivfoto
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der russische Staatspräsident Wladimir Putin kennen sich gut. Hier sind sie bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Berlin zu sehen. Archivfoto Foto: Michael Kappeler/Archiv, dpa

    Die Rolle der Dolmetscher in der Diplomatie wird gerne unterschätzt. Ohne sie hätte Helmut Kohl mit Michail Gorbatschow die Einheit nicht aushandeln und Gerhard Schröder der deutschen Wirtschaft die Tore nach China nicht so weit öffnen können. Wo Staaten nicht nur Grenzen trennen, sondern auch Sprachen, bringen häufig erst die Einflüsterer im Hintergrund ein Gespräch in Schwung.

    Angela Merkel und Wladimir Putin brauchen dazu keinen Dolmetscher. Sie spricht Russisch, er Deutsch. Und auch wenn niemand weiß, in welcher Sprache sie sich bei ihren diversen Telefonaten in den vergangenen Tagen unterhalten haben, so hat die deutsche Kanzlerin doch einen direkteren Zugang zum russischen Präsidenten als, sagen wir, Barack Obama. Die CDU-Frau und der frühere KGB-Offizier mögen sich zwar, anders als Schröder und Putin, nicht allzu sehr, um es freundlich zu formulieren – aber sie reden offen miteinander. Sehr offen.

    In der sich zuspitzenden Ukraine-Krise kann das durchaus ein Vorteil sein. Keiner der westlichen Staats- und Regierungschefs kennt Wladimir Putin so lange wie sie, nämlich seit annähernd 14 Jahren. Sie wisse, wie sie mit ihm reden müsse, sagt eine Merkel-Vertraute. „Und sie weiß auch, wann es keinen Sinn mehr macht, auf ihn einzureden.“

    Die Kanzlerin wäre die perfekte Vermittlerin

    So gesehen wäre die Kanzlerin die perfekte Vermittlerin – sofern man sie denn ließe. Nach Putins Quasi-Annexion der Krim hätte der für Anfang Juni in Sotschi geplante Gipfel der acht großen Industrienationen in ihren Augen eine gute Gelegenheit geboten, mit dem russischen Präsidenten im kleinen Kreis Tacheles zu reden. Tatsächlich jedoch hat Obama, flankiert vom französischen Präsidenten François Hollande, dem britischen Premier David Cameron und dem Kanadier Stephen Harper die Vorbereitungen für das Treffen bereits stoppen lassen.

    Nur um einen diplomatischen Affront zu vermeiden, schwenkte die Bundesregierung ebenfalls auf diesen Kurs der kalkulierten Konfrontation ein. Genau jene G-8-Gruppe aber, hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier zuvor gewarnt, sei im Moment „das einzige Format, in dem wir aus dem Westen noch unmittelbar mit Russland sprechen können. Sollen wir wirklich dieses einzige Format opfern?“

    Obamas Vorgehen kommt nicht gut an

    Die hemdsärmelige Art, die Obama und sein Außenminister John Kerry im Umgang mit Moskau an den Tag legen, kommt in Berliner Regierungskreisen nicht gut an. Anstatt sofort mit Sanktionen zu drohen oder gar, wie Kanada, den eigenen Botschafter aus Moskau abzuziehen, vertrauen Kanzlerin und Außenminister noch auf die läuternde Kraft ihrer Gesprächsdiplomatie. So scharf sie das russische Vorgehen auf der Krim verurteilen, so wenig wollen sie in die Rhetorik des Kalten Krieges zurückfallen – auch auf die Gefahr hin, in Washington, Paris und London als diplomatische Schwächlinge belächelt zu werden.

    „Es ist noch nicht zu spät, diese Krise politisch friedlich zu lösen“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert im Auftrag der Kanzlerin, die Putin immerhin eine Zusage abgerungen hat – nämlich die, in einer sogenannten Kontaktgruppe gemeinsam mit anderen Ländern eine Lösung zu suchen. „Es geht darum, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und nicht nur jede rhetorische, sondern auch jede faktische Aufheizung zu beenden“, sekundiert Steinmeiers Sprecherin Sawsan Chebli. In anderen Worten: Kooperation statt Konfrontation. Die für April anberaumten deutsch-russischen Regierungskonsultationen hat Berlin deshalb auch nicht abgesagt.

    Merkel kennt Putins empfindliches Ego

    Angela Merkel kennt ihren Putin, dessen Temperament und auch dessen empfindliches Ego. Sein Riesenreich ist nicht mehr die Großmacht, die es einmal war, die russische Wirtschaft schwächelt und ihre Währung, der Rubel, mit ihr. Wenn das Bild aus dem Boxsport stimmt, nach dem angeschlagene Gegner häufig die gefährlichsten sind, dann darf der Westen aus ihrer Sicht jetzt nicht zu viel von Sanktionen reden oder gar seine diplomatischen Bemühungen herunterfahren. Einen Bericht der New York Times, nach dem sie in einem Telefonat mit Barack Obama gesagt haben soll, Putin habe „jeden Bezug zur Realität“ verloren und lebe „in einer anderen Welt“, hat die Kanzlerin deshalb schnell dementieren lassen. Wladimir Putin, will sie lediglich gesagt haben, habe eben eine „sehr unterschiedliche Wahrnehmung“ von den Ereignissen auf der Krim. Das meint zwar im Prinzip das Gleiche, klingt aber nicht ganz so provozierend und auch nicht ganz so dramatisch wie jene Bemerkung von Steinmeier, nach der Europa gerade „ganz ohne Zweifel“ die schärfste Krise seit dem Fall der Mauer vor knapp 25 Jahren durchleidet.

    Steinmeier ist nicht Schröder

    Mehr noch als die Regierungschefin, die sich öffentlich nur selten zeigt und lieber diskret telefoniert als sich bei jeder Gelegenheit vor den Fernsehkameras aufzubauen, ist der Außenminister das Gesicht der deutschen Krisendiplomatie. Am Montagabend erst hat er sich mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Genf getroffen, heute schon sieht er ihn in Paris wieder.

    Lange hatte Steinmeier mit dem Ruf zu leben, er sehe die Lage in Russland ähnlich unkritisch wie sein Mentor Schröder, der Putin als „lupenreinen Demokraten“ feierte und danach ins deutsch-russische Gasgeschäft einstieg. In Wirklichkeit jedoch denkt der Außenminister nicht viel anders als Angela Merkel: „Ich hoffe, dass jeder in dieser angespannten Situation darauf verzichtet, noch Öl ins Feuer zu gießen.“

    Dann wäre die berühmte rote Linie überschritten

    Bei einer militärischen Eskalation oder gar einer Abspaltung der Krim von der Ukraine wäre zwar auch für die Bundesregierung die berühmte rote Linie überschritten. Ein solches Szenario aber mag sich in Berlin im Moment ebenso wenig jemand ausmalen wie die Folgen eines Gas- und Ölboykotts, der die deutsche Wirtschaft vermutlich ähnlich hart treffen würde wie die russische.

    Dem neuen ukrainischen Präsidenten Arsenij Jazenjuk hat die Kanzlerin daher schon die Zusage abgerungen, seine russisch fühlenden und Russisch sprechenden Landsleute nicht auszugrenzen – als eine Art vertrauensbildende Maßnahme in Richtung Russland. Am Ende aber, das weiß auch sie, wird es vor allem auf Wladimir Wladimirowitsch Putin ankommen, der immer so muskelstrotzend daherkommt, in Wirklichkeit aber ein kleines Sensibelchen ist. „Wenn ich jedes Mal sofort eingeschnappt wäre, wenn ich zu Hause die Zeitung aufschlage“, hat Angela Merkel nach dem Eklat um die Sängerinnen der Band „Pussy Riot“ einmal gesagt, „dann wäre ich keine drei Tage Bundeskanzlerin.“

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