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„Mord unter grausamen Umständen“

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„Mord unter grausamen Umständen“

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    Todesbefehl am Telefon? Der afghanische Schlepperchef Saamsor L.
    Todesbefehl am Telefon? Der afghanische Schlepperchef Saamsor L. Foto: afp

    Fünf Stunden arbeitet sich Staatsanwalt Gabor Schmidt durch die Anklageschrift. Punkt für Punkt fügt sich ein Bild der organisierten Schleuser-Kriminalität im Flüchtlingssommer 2015 zusammen. Unzählige Male werden verängstigte Asylsuchende zu Dutzenden in die engen, schlecht belüfteten Laderäume von altersschwachen Lkw und Sprintern getrieben. Schwangere Frauen verlieren während der Höllen-Trips das Bewusstsein. Die Opfer erlitten „erhebliche körperlich-seelische Qualen“, so der Staatsanwalt. Und am 26. August 2015 sterben 71 Menschen. Im Laderaum eines Kühllasters ersticken sie qualvoll, weil sie keine Luft bekommen. Nach mehr als 24 Stunden finden sie österreichische Polizisten am Autobahnrand bei Parndorf im Burgenland.

    Seit Mittwoch stehen die mutmaßlichen Verantwortlichen vor Gericht. Elf Männer sind angeklagt, einer von ihnen ist noch flüchtig. Sie sollen Mitglieder einer Schleuserbande sein, die 2015 rund 1200 Migranten nach Österreich und Deutschland geschmuggelt hat. Vier von ihnen – ein Afghane, der Kopf der Bande, und drei Bulgaren – sollen die Todesfahrt des Kühllasters von Parndorf organisiert und durchgeführt haben.

    Der Anführer war Jahre zuvor selbst als Flüchtling nach Ungarn gekommen. Der 30-Jährige lebte in Budapest mit einer Ungarin zusammen und witterte in der Flüchtlingskrise das große Geschäft. Vor Gericht beschwert er sich als erstes, die Gerichtsdolmetscherin könne nicht ordentlich Paschtu. Die Afghanin weist das erbost von sich. Das Gericht lässt Staatsanwalt Schmidt seine Anklage verlesen. Der afghanische Anführer, sein Stellvertreter, der Fahrer des Todes-Lkw und der „Späher“, der dem Laster voran fuhr, um vor Polizeikontrollen zu warnen, sind wegen „mehrfachen Mordes unter grausamen Umständen“ angeklagt. Sie hätten den Tod der 71 Menschen wissentlich in Kauf genommen, ja sogar gewollt.

    Der Staatsanwalt trägt vor, was die Angeklagten während der Todesfahrt am Mobil-Telefon besprochen hatten. Die Gespräche waren von der ungarischen Polizei aufgezeichnet worden. Der Fahrer habe mehrfach gehört, wie die Menschen schrien und an die Wände schlugen. Er habe die anderen beiden Bulgaren telefonisch immer wieder darauf aufmerksam gemacht. Der Afghane habe aber strikte Weisung erteilt, in keinem Fall stehen zu bleiben und die Ladetür zu öffnen. Der Staatsanwalt: „In einem der Telefonate sagte der Anführer Saamsor L. in aufgewühltem Ton, dass die Leute im Lastwagen sterben mögen. Der Fahrer solle sie dann einfach irgendwo in Deutschland abladen.“ (dpa)

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