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Irak: Mossul ist immer noch eine Geisterstadt

Irak

Mossul ist immer noch eine Geisterstadt

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    Ein Mann geht durch die zerstörte Altstadt von Mossul. Vor drei Monaten wurden die letzten IS-Kämpfer vertrieben.
    Ein Mann geht durch die zerstörte Altstadt von Mossul. Vor drei Monaten wurden die letzten IS-Kämpfer vertrieben. Foto: Oliver Weiken, dpa

    Khaled al-Dschaburi kann sich noch genau daran erinnern, wie dieser Platz früher aussah. Dort drüben die Gemüsehändler, daneben Restaurants und Cafés, das Leben pulsierte. „Es war immer voll hier, das ist das Zentrum Mossuls“, sagt der grauhaarige Mann mit einer Stimme, die von Zigaretten heiser geworden ist. Er ist hier aufgewachsen, er hat hier gespielt, er kannte jeden Winkel. Bab al-Tub, wie der Platz heißt, war seine Heimat. Jetzt blickt Khaled nur noch auf zerbombte Häuser, die entstellten Skeletten gleichen, auf Berge aus Schutt und Steinen, staubig, grau und leer.

    Khaled ist noch immer fassungslos. „Es ist sehr schwer zu glauben, dass all das hier passiert ist“, krächzt er, als er mit seinem Wagen weiter durch die Trümmerlandschaften Mossuls fährt, wo er als Projektmanager des UN-Entwicklungsprogramms arbeitet.

    Die Millionenstadt im Norden des Irak war drei Jahre lang das Zentrum der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Von hier aus überrannten die Extremisten im Sommer 2014 große Teile des Landes. Hier zeigte sich IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi in der Großen Moschee das erste und einzige Mal öffentlich, um ein „Islamisches Kalifat“ auszurufen.

    Als vor einem Jahr die Offensive irakischer Sicherheitskräfte zur Befreiung Mossuls begann, ahnten viele, dass es ein langer und schwerer Kampf werden könnte. Sie sollten recht behalten. „Das war seit Stalingrad die schlimmste Schlacht in einem urbanen Zentrum“, sagt ein internationaler Helfer, der ungenannt bleiben möchte.

    Besonders schwer haben die Kämpfe, Granaten und Bomben den Teil Mossuls getroffen, der westlich des Flusses Tigris liegt. Die Straßen führen vorbei an zertrümmerten Häusern, in denen sich Schutt türmt, die Fensterscheiben zerschossen, riesige Löcher klaffen in den Wänden. Manche Gebäude haben die tragenden Mauern verloren und sind wie tot zur Seite gekippt.

    Auch drei Monate nach dem Sieg über den IS in Mossul riegeln irakische Sicherheitskräfte die Altstadt im Westteil ab, wo sich die Extremisten bis zum Schluss verschanzt hatten. Unter den Trümmern verbergen sich unzählige Sprengfallen, die IS-Anhänger dort versteckt haben. Auf dem Weg zur Großen Moschee liegen Autos und Kleinlaster in einem Krater übereinandergestapelt, wohl die Spuren eines Luftangriffs der US-geführten internationalen Koalition.

    Doch es ist nicht nur der Anblick von zerstörten Häuser und zertrümmerten Wagen, der unheimlich wirkt. Das Inferno des Kriegs hat die Altstadt in ein Geisterviertel verwandelt, leer von Menschen, von Grün, von Leben, von Hoffnung. Über den Straßen liegt eine verstörende Stille, eine beängstigende Ruhe nach dem Sturm. Eine Familie – Vater, Mutter, kleiner Sohn – läuft einsam über eine der Straßen. Sie wohnten da drüben in einem Trümmerhaus um die Ecke, sagt Muajad Dschasim, graue Haare, tiefe Falten im Gesicht, 47 Jahre alt. „Wir haben keinen anderen Ort“, sagt er. „Wo sollen wir hin?“

    Während in Ost-Mossul langsam das Leben zurückkehrt, gleicht der Westen einer toten Stadt ohne Strom und Wasser. Für die Altstadt gebe es praktisch keine Hoffnung mehr, sagt der internationale Helfer. Zu sehr hätten Kämpfe und Luftangriffe das Gebiet zerstört: „Das lässt sich nicht mehr reparieren. Es muss von Grund auf neu aufgebaut werden. Die irakische Regierung muss eine Entscheidung fällen.“

    Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP geht davon aus, dass 15 Viertel im Westen der Stadt, einst Heimat für 250000 Menschen, völlig zerstört sind. Rund eine Milliarde Euro seien nötig, nur um die lebenswichtigste Infrastruktur in Mossul wieder instand zu setzen.

    Das UNDP-Wiederaufbauprogramm, eines der größten in seiner Geschichte, konzentriert sich zunächst auf Strom- und Wasserwerke, Krankenhäuser, Schulen sowie Straßen. Um den Menschen etwas Arbeit zu geben, finanziert es Straßenreiniger. Deutschland ist dabei nach den USA der größte Geldgeber für das Programm. Das Entwicklungsministerium gibt unter anderem Geld für das Trinkwassernetz und den Wiederaufbau der Universität.

    Trotz der Hilfe dürfte es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis in viele Viertel West-Mossuls Leben zurückkehrt. Auch im Krankenhaus dort gleicht die Arbeit einem täglichen Kampf ums Überleben. Es herrscht akuter Mangel an Medikamenten. Jan Kuhlmann, dpa

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