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IS-Terror: Naher Osten: Wenn Waffen in falsche Hände geraten

IS-Terror

Naher Osten: Wenn Waffen in falsche Hände geraten

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    ARCHIV - Ein Panzergrenadier zeigt am 15.06.2009 auf dem Truppenübungsplatz in Munster während der Informationslehrübung «Das Heer im Einsatz» seine Panzerfaust 2. Die Kurden im Irak sollen weit mehr Waffen aus Deutschland als erwartet bekommen, um sich gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zur Wehr zu setzen. Hinzu kommen 100 Lastwagen, fünf gepanzerte Fahrzeuge und mehrere Millionen Schuss Munition. Foto: Maurizio Gambarini/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
    ARCHIV - Ein Panzergrenadier zeigt am 15.06.2009 auf dem Truppenübungsplatz in Munster während der Informationslehrübung «Das Heer im Einsatz» seine Panzerfaust 2. Die Kurden im Irak sollen weit mehr Waffen aus Deutschland als erwartet bekommen, um sich gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zur Wehr zu setzen. Hinzu kommen 100 Lastwagen, fünf gepanzerte Fahrzeuge und mehrere Millionen Schuss Munition. Foto: Maurizio Gambarini/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: Maurizio Gambarini

    Während die Kurden im Irak noch auf die Waffenlieferung aus Deutschland warten, sind ihre Feinde schon einen Schritt weiter. Die Terrormiliz Islamischer Staat verfügt offenbar längst über Kriegsgerät made in Germany. In einem Propagandafilm präsentieren die Terroristen eine erbeutete Rakete. Deutlich zu lesen sind die Worte „Lenkflugkörper“ und „Panzerabwehr“. Experten gehen davon aus, dass es sich tatsächlich um Bestände aus deutsch-französischer Produktion handelt.

    Vor über 30 Jahren lieferten Europäer Waffen nach Syrien

    Mehr als 30 Jahre ist es her, dass die Europäer diese Waffen nach Syrien geliefert haben. Ein fast vergessenes Rüstungsgeschäft, das sich nun auf grausame Weise wieder in Erinnerung ruft. Schon bald könnten sich im Nordirak Kurden und Terroristen gegenseitig mit deutschen Raketen bekriegen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Kriegsgerät in einem Krisengebiet in falsche Hände gerät.

    Das ist die Organisation IS

    IS ist eine islamistische Organisation. Sie hat das Ziel, einen Islamischen Staat zu errichten. Dieses Kalifat soll die Länder Syrien und Irak, aber auch den Libanon, Israel und Jordanien miteinander vereinen.

    IS steht für Islamischer Staat. Gebräuchlich ist auch die Abkürzung ISIL, das steht für Islamischer Staat im Irak und in der Levante oder ISIS für Islamischer Staat im Irak und in Syrien.

    Ihr Ziel verfolgen die Anhänger der Organisation mit militärischen Mitteln und brutalster Gewalt, darunter Bombenattentate, Folter, und Hinrichtungen von Zivilisten.

    IS kämpft an vielen Fronten. Die Terrorgruppe geht bewaffnet gegen die Regierungen in Syrien und im Irak vor, führt Krieg gegen schiitische Gläubige und vermeintliche sunnitische Kollaborateure.

    Die IS hat ihre Wurzeln in der Widerstandsbewegung gegen die Besetzung des Iraks nach dem Irakkrieg 2003.

    Die Gruppe profitierte 2013 vom Machtkampf der von Schiiten dominierten Regierung in Bagdad mit Sunniten und beherrscht inzwischen weite Teile des Iraks.

    Im syrischen Bürgerkrieg hat Isis vor allem im Nordosten des Landes die Kontrolle erlangt. Dort griff die Gruppe kurdische Städte an und massakrierten Zivilisten.

    In den besetzten Gebieten verordnen die Dschihadisten der Bevölkerung strenge Regeln. So sollen Frauen die Häuser nur noch verlassen, wenn es unbedingt notwendig ist. Alkohol und Rauchen ist verboten, ebenso Veranstaltungen und freie Presse.

    Im April 2014 sagte sich IS von Al-Kaida los. Deren Führung habe sich von den Grundsätzen des "Heiligen Krieges" entfernt, hieß es.

    Wie viele Menschen sich IS angeschlossen haben, ist unklar. Schätzungen sprechen von bis zu 15.000 Kämpfern.

    Anführer der Bewegung ist seit Mai 2010 Abu Bakr al-Baghdadi. Die USA führt ihn als einen der meistgesuchten Terroristen der Welt.

    IS wirbt im Internet aktiv um Kämpfer aus Europa. «Isis macht eine sehr gute Öffentlichkeitsarbeit», sagte der EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove. Die Islamisten hätten sogar Kameras auf ihre Kalaschnikows geschraubt, um ihre Operationen in Echtzeit im Internet zu übertragen.

    Finanziert wurde IS zu Beginn von saudischen und katarischen Gönnern. Mittlerweile hat die Organisation mit mafiösen Methoden eigene Einnahmequellen erzeugt, etwa mit dem Schmuggel von Öl.

    Angesichts der Entscheidung der Bundesregierung, Waffen in den Irak zu schicken, bleibt die Frage: Rüstet Deutschland mit den Raketenlieferungen von heute im schlimmsten Fall die Feinde von morgen auf? Ein Schreckensszenario, mit dem der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven wenig anfangen kann. „Wir sollten das nicht so aufgeregt, sondern ganz realistisch betrachten“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Zwar könne heute keiner garantieren, dass die Waffen nicht irgendwann zweckentfremdet werden, räumt Tophoven ein, fügt allerdings hinzu: „Dieses Risiko müssen wir in Kauf nehmen, denn es geht darum, den Vormarsch der IS-Milizen um jeden Preis zu stoppen.“

    2003 kämpfte USA im Irak gegen US-Waffen

    Ähnlich argumentiert die Bundesregierung. Doch ein Blick zurück zeigt, wie schnell aus vermeintlichen Verbündeten erbitterte Gegner werden können, die ihre früheren Partner dann im wahrsten Sinne des Wortes mit den eigenen Waffen bekämpfen. Bestes Beispiel ist der Irak selbst: Im Jahr 2003 marschieren amerikanische Truppen dort ein, um Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Im Wüstensand stehen sie einer Armee gegenüber, die Washington einst selbst aufgerüstet hatte. Hintergrund: Als der Irak in den 80er Jahren im Ersten Golfkrieg gegen den Iran kämpft, stärken die USA das Regime in Bagdad mit Waffenlieferungen in großem Stil. Als sich das Blatt Jahrzehnte später gegen ihn wendet, setzt Saddam auch amerikanisches Kriegsgerät gegen die US-Truppen ein.

    Ein ähnliches Bild zeigt sich in Afghanistan. 1979 marschiert die Sowjetunion dort ein. Die Russen stoßen auf erbitterten Widerstand der „Mudschaheddin“. Diese selbst ernannten Gotteskrieger werden schon bald von den Amerikanern mit Geld und Waffen unterstützt. Über zwei Jahrzehnte später – die Russen sind längst abgezogen – starten die USA selbst eine Invasion in Afghanistan. Präsident George W. Bush vermutet dort die Drahtzieher hinter den Anschlägen vom 11. September 2001. Im Krieg gegen die Taliban kämpfen bis heute nicht nur die amerikanischen Soldaten mit amerikanischen Waffen, sondern auch deren Gegner. Gewehre, mit denen einst die Sowjets zurückgedrängt werden sollten, werden nun gegen die Lieferanten gerichtet.

    „Das Risiko muss man in Kauf nehmen, denn es geht darum, den Vormarsch der IS-Milizen um jeden Preis zu stoppen.“ Terrorismus-Experte Rolf Tophoven

    Auch die deutschen Waffenlieferungen in den Nordirak, die der Bundestag am Montag beschloss, bergen solche Gefahren. „Natürlich besteht die Möglichkeit, dass nicht nur die regulären kurdischen Streitkräfte, sondern auch Gruppierungen wie die PKK, die von Deutschland immerhin als terroristische Vereinigung eingestuft wird, Zugriff auf die Waffen bekommen“, sagt Tophoven. Er hält die Risiken dennoch für kalkulierbar. „Man schickt ja nicht ganze Divisionen in den Nordirak. Die Waffen, die jetzt geliefert werden, reichen kaum, um Depots anzulegen“, gibt der Experte zu bedenken. Er spielt damit auf die Situation in Libyen an, wo zwielichtigen Milizen nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes ganze Waffenlager in die Hände fielen.

    Terrorismus-Experte hält Risiken für kalkulierbar

    Eine grundsätzliche Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik kann Tophoven in der Unterstützung der Kurden nicht erkennen: „In den vergangenen Jahrzehnten wurden so viele Waffen aus Deutschland auf legalem oder halblegalem Wege in Krisengebiete geliefert, dass man im aktuellen Fall wirklich nicht von einem Tabubruch sprechen kann.“ Einige dieser Waffen gingen vor über 30 Jahren nach Syrien, wo sie nun wieder aufgetaucht sind – in den Händen der brutalen Terroristen-Miliz Islamischer Staat.

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