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Österreich: Österreich misst beim Doppelpass mit zweierlei Maß

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Österreich misst beim Doppelpass mit zweierlei Maß

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    Das Objekt des Streits: Die österreicischen Pässe.
    Das Objekt des Streits: Die österreicischen Pässe. Foto: Ernst Weingartner, imago

    Die 31-jährige Salzburgerin Cigdem Schiller ist verzweifelt. Seit einem halben Jahr versucht sie, zu beweisen, dass sie keine türkische Staatsbürgerin ist. Gelingt ihr das nicht, wird ihr der österreichische Pass entzogen.

    Seitdem die rechtspopulistische Freiheitliche Partei mitregiert, wird bei der doppelten Staatsbürgerschaft mit zweierlei Maß gemessen: Was den türkischstämmigen Österreichern nicht erlaubt ist, soll deutschsprachigen Italienern Südtirols gewährt werden. Im Südtiroler Wahlkampf mischten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die Minister Heinz Christian Strache und Norbert Hofer (beide FPÖ) mit.

    Letztere vertraten, die österreichische Staatsbürgerschaft für deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler einzuführen. Hintergrund ist, dass Südtirol bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich gehörte. Für rund 70 Prozent der Südtiroler ist Deutsch die Muttersprache. Das Angebot des Doppelpasses bringt die italienische Regierung auf die Barrikaden. Doch der FPÖ geht es darum, ein ethnisch begründetes Verständnis von Staatsbürgerschaft durchzusetzen.

    Nicht aus dem türkischen Wahlverzeichnis gestrichen - nur ein Irrtum?

    Das zeigt sich besonders am Konflikt um die österreichisch-türkischen Doppelpässe. Cigdem Schiller ist in Salzburg geboren und aufgewachsen. Ihre Großeltern waren Türken. Ihre Mutter gab die türkische Staatsbürgerschaft 2003 für sich und ihre vier Kinder zurück. Zwei Kinder müssen jetzt dem Land Salzburg gegenüber den Nachweis erbringen, dass sie nicht nachträglich die türkische Staatsbürgerschaft wieder angenommen haben. Das kann Schiller nicht. Ihr fehlt die Bestätigung des türkischen Generalkonsulats in Salzburg. Es prüfte zwar auf mehrmalige Nachfrage seine Akten und entschuldigte sich für den Irrtum, Schiller und ihren Bruder nicht gestrichen zu haben, bescheinigte aber nur die Ausbürgerung. Nötig wäre eine Bestätigung, dass nicht nachträglich eine Einbürgerung stattfand.

    85 Österreichern mit türkischen Wurzeln hat eine derartige Überprüfung bereits den Pass gekostet. Sie gelten nun als illegale Doppelstaatsbürger; denn wer sich in Österreich einbürgern lässt, muss seine alte Staatsbürgerschaft aufgeben und darf sie danach nicht wieder annehmen. Rund weitere 100 Bescheide sind noch nicht rechtskräftig.

    FPÖ spielt Überprüfungen gezielt den Behörden zu 

    Ausgelöst wurden die Überprüfungen durch türkische Wahlregister, die den Landesregierungen von der FPÖ zugespielt wurden. 29.602 Austro-Türken sind betroffen. Inzwischen wurden allein in Wien 18.000 Prüfverfahren eingeleitet, in Oberösterreich 4000 und in Tirol 1900. Viele Austro-Türken wissen offenbar nicht, dass sie Doppelstaatsbürger sind. Klären lässt sich das nur schwer; denn die Türkei hat eine Vereinbarung über Amtshilfe in solchen Verfahren vor acht Jahren gekündigt. Auskunft verlangen können jetzt nur die Betroffenen selbst. Das wird für viele zum existenzbedrohenden Problem.

    Auch im Fall eines Mannes, dem der Verwaltungsgerichtshof als letzte Instanz jüngst seine österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt hat, weil sein Name im türkischen Wählerverzeichnis steht. Der Mann habe nicht ausreichend dazu beigetragen, nachzuweisen, dass dies ein Irrtum sei, heißt es. Ihm droht die Staatenlosigkeit. Wer keinen Pass besitzt, kann keine Stelle annehmen, kein Bankkonto eröffnen, weder reisen noch heiraten.

    In Oberösterreich erkannte ein Gericht die Beschwerde eines Kurden gegen den Beschluss der Landesregierung an und hob den Bescheid, mit dem er seine Staatsangehörigkeit verlor, wieder auf. Er habe glaubhaft versucht, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister zu bekommen und sei gescheitert. Für Besuche in der Türkei habe er kostenpflichtige Visa für seinen österreichischen Pass beantragt.

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