Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Analyse: Pegida-Proteste: Wird Deutschland zur Empörungsdemokratie?

Analyse

Pegida-Proteste: Wird Deutschland zur Empörungsdemokratie?

    • |
    Weder die Politik noch die Medien haben einen leichten Stand bei den Demonstranten, die „Pegida“ in Dresden unterstützen. Ein Experte erklärt, wie es seiner Meinung nach um die "Lügenpresse" steht.
    Weder die Politik noch die Medien haben einen leichten Stand bei den Demonstranten, die „Pegida“ in Dresden unterstützen. Ein Experte erklärt, wie es seiner Meinung nach um die "Lügenpresse" steht. Foto: Matthias Hiekel/Archiv (dpa)

    Auf „Pegida“-Demonstrationen und diversen Internetforen werden Journalisten als gesteuerte und gekaufte Meinungsmacher beschimpft. Woher kommt dieser Hass?

    Dies sind unterschiedliche Gründe; zum einen gibt es, ganz generell gesprochen, eine seit Jahren grassierende Medienverdrossenheit, eine Klage über angebliche Manipulationen, die aber im Zuge der Ukraine-Krise eine neue Qualität erreicht hat. Zum anderen lebt die Pegida-Bewegung von einer gefühlten Repräsentationskrise. Sie bezieht ihre Wucht auch aus der Annahme, man werde von vermeintlich übermächtigen Medien und etablierten Politikern entweder totgeschwiegen oder aber diffamiert und lächerlich gemacht. Dieser Märtyrer-Mythos gibt der Bewegung Zusammenhalt, er stiftet Identität.

    Pegida, Ukraine-Krise: Die Medienverdrossenheit steigt schon seit Jahren

    Wie groß ist die Macht der viel beschworenen „Political Correctness“ in den Köpfen der Journalisten tatsächlich?

    Das ist Pegida

    DER NAME: "Pegida" steht für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Im Kern handelt es sich um ein Demonstrationsbündnis, das sich gegen eine angeblich drohende Ausbreitung des Islamismus in Deutschland und Europa einsetzt.

    DIE DEMOS: Das Bündnis führt an Montagen Proteste in Dresden durch. Zur ersten Demonstration im Oktober kamen etwa 500 Menschen. In Spitzenzeiten waren es 17.000. Inzwischen ist der Trend rückläufig.

    DER ORGANISATOR: Initiator der Proteste ist Lutz Bachmann, Inhaber einer Werbeagentur. Bachmann ist mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung sowie Einbruch und Diebstahl. 1998 floh er nach Südafrika, um einer fast vierjährigen Haftstrafe in Deutschland zu entgehen.

    DIE ZIELE: Die Teilnehmer des Bündnisses protestieren unter anderem für eine „Null Toleranz“-Politik gegenüber „straffällig gewordenen Zuwanderern", für den "Schutz der deutschen Identität“ und gegen "Asylmissbrauch".

    DIE GRUPPEN: Mittlerweile gibt es nicht nur in Dresden ein solches Bündnis, sondern auch in Magdeburg, Rostock, Würzburg und München. Der bayerische Ableger nennt sich "Bagida" ("Bayern gegen die Islamisierung des Abendlandes").

    DIE KRITIK: Experten sehen in Pegida eine Gruppierung mit rechtsextremistischen Tendenzen. Der Politikwissenschaftler Hajo Funke beschreibt die Proteste als "rechtsextreme, rechtspopulistische und rechtsnational motivierte Massenbewegung".

    Auch von CDU und SPD kam Kritik an den Protesten. Bernd Lucke, Vorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD), bezeichnete Pediga hingegen als "gut und richtig".

    Ich halte den Vorwurf, einer systematischen Unterdrückung politisch unkorrekter Positionen schlicht für falsch. Auch an die Existenz eines politisch-medialen Meinungskartells, das unliebsame Ansichten aussortiert, glaube ich nicht, – das ist eine „self-destroying prophecy“, eine sich selbst widerlegende Annahme, die schon ein Blick in das allabendliche Fernseh- und Talkshowprogramm demontiert. Auch den Initiator der Pegida-Bewegung, ein wegen Einbrüchen und Drogendelikten verurteilter, zeitweise ins Ausland geflohener Mann, wollte man übrigens sofort für den großen Auftritt verpflichten. Medien lieben die Figur des provozierenden, schillernden Antikorrekten; sie verschaffen ihm – auch im Falle der inhaltlichen Nicht-Zustimmung – ein Forum. Kurzum: Woran sich die Gegner der Political Correctness häufig stören, ist eigentlich nicht notwendig die fehlende Berichterstattung, sondern die fehlende Zustimmung zu ihren Auffassungen. Aber die kann man im öffentlichen Diskurs nun mal nicht erzwingen.

    Gab es eigentlich einen bestimmten Anlass oder halten Sie die scharfe Kritik an den Medien für eine schleichende Entwicklung?

    Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.
    Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Foto: dpa/Archiv

    Diese Kritik ist nicht neu, sie blieb nur viel zu lange unbeachtet und auch öffentlich undiskutiert. Wissenschaftler beobachten seit Jahren eine steigende Medienverdrossenheit – nur wird über diese, im Gegensatz zur Politikverdrossenheit, so gut wie nicht gesprochen. Journalisten gelten lange schon wahlweise als korrupt, unmoralisch, zu mächtig, skandalversessen. Und viele Pegida-Demonstranten teilen offenkundig derartige Pauschal-Urteile und lassen ihre Wut auf „die Lügenpresse“ freien Lauf.

    Aus Mediendemokratie wird eine Empörungsdemokratie

    Welche Rolle spielt das Internet?

    Das Netz ist ein ungeheuer plastisches Medium – und produziert in einem solchen Fall Verstärker-Effekte. Es ermöglicht, dass sich Einzelne blitzschnell zusammen finden, Gemeinschaft erleben, Demonstrationen organisieren. Manchmal sind es sinnvolle, relevante Anliegen, die man formuliert. Und manchmal bilden sich Wahl- und Wutgemeinschaften, die für fatale Positionen werben, aber mithilfe der sozialen Netzwerke eine neue Kraft entfalten.

    Was ist die Folge?

    Die Folge ist eine für jeden erfahrbare Verwandlung von Öffentlichkeit. Medien- und Publikumsempörung klaffen mit einem Mal für alle sichtbar auseinander. Aus der von mächtigen Massenmedien bestimmten Mediendemokratie wird allmählich die Empörungsdemokratie des digitalen Zeitalters. Die klassischen Gatekeeper, die journalistischen Schleusenwärter, verlieren an Einfluss und Deutungsautorität. Jeder kann sich nun barrierefrei zuschalten – mit guten oder schlechten Absichten, relevanten oder irrelevanten und im Extremfall auch gefährlichen, fremdenfeindlichen Anliegen.

    Es gibt ja die Annahme, dass sich nur die Lauten zu Wort melden. Wie verbreitet ist die Skepsis gegenüber den Medien Ihrer Ansicht nach tatsächlich?

    Man kann empirisch zeigen, dass Medienskepsis und Medienverdrossenheit tatsächlich massiv vorhanden sind. Dies machen aktuelle Studien zum Berufsprestige und zur Vertrauenswürdigkeit von Journalisten deutlich. Und doch weiß man natürlich oft nicht, wer eigentlich spricht, wenn scheinbar die Masse im Netz ihre Stimme erhebt. Es lässt sich in der Regel nicht unmittelbar klären, ob die Lauten und Wütenden irgendwie repräsentativ sind. Insofern ist es sicher klug, nicht vorschnell in Hysterie zu verfallen.

    Im Gegensatz zu anderen Ländern steht der deutsche Journalismus gut da

    Es gibt den Vorwurf, dass die Presse über die Ukraine-Krise in einigen Punkten einseitig berichtet, die Rolle der EU zu positiv dargestellt hat. Hätte eine differenziertere Darstellung diese Leute tatsächlich überzeugt?

    Schwer zu sagen – und doch ist Fehlertransparenz eine Kardinaltugend des Qualitätsjournalismus. Und tatsächlich hat es Fehler in der Ukraine-Berichterstattung gegeben. Diese müssen benannt und offen gelegt werden. Sie liefern aber keine Begründung für die pauschalisierende Totalabwertung des Journalismus. Diese halte ich für nicht gerechtfertigt. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht der deutsche Journalismus nach wie vor wirklich gut da.

    Was könnten die Medien dennoch besser machen?

    Es lässt sich zeigen, dass das Wissen, wie Medien eigentlich arbeiten, was Journalismus ausmacht, wie eine Recherche und ein Faktencheck funktionieren, oft äußerst gering ist. Hier müssen Journalisten entschiedener für eine Selbstaufklärung der Branche sorgen, ihre Arbeitsweise erläutern, ihre Fehler benennen, die Mechanismen der Nachrichtenauswahl und die Formen der Nachrichtenpräsentation begründen. Denn eine sich weiter verstärkende Glaubwürdigkeitskrise wäre fatal. Medien brauchen ein Publikum, das ihnen glaubt; sie leben existenziell vom Vertrauen in ihre Arbeit. Nur dann kann eine kritische Enthüllung auch tatsächlich wirken.

    Bernhard Pörksen, 45 Jahre, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und erforscht die Empörungsdynamik des digitalen Zeitalters. Kürzlich veröffentlichte er – gemeinsam mit Friedemann Schulz von Thun – das Buch „Kommunikation als Lebenskunst“.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden