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Interview: Politikexperte zu Brinkhaus-Wahl: Kein Dolchstoß, sondern offene Feldschlacht

Interview

Politikexperte zu Brinkhaus-Wahl: Kein Dolchstoß, sondern offene Feldschlacht

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    Illustre Vorgänger: Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus steht vor einer Fotogalerie ehemaliger Fraktionschefvorsitzender.
    Illustre Vorgänger: Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus steht vor einer Fotogalerie ehemaliger Fraktionschefvorsitzender. Foto: Ralf Hirschberger, dpa

    Herr Professor Falter, Sie beobachten schon seit Jahrzehnten die Politik in diesem Lande. Haben Sie jemals ein solches Chaos in Berlin erlebt?

    Jürgen Falter: Es geht derzeit schon hoch her. Aber es gab in den Anfangsmonaten der rot-grünen Koalition auch ein totales Chaos. Was wir jetzt erleben, ist, dass sich sowohl Fraktionschef Volker Kauder als auch Kanzlerin Angela Merkel politisch abgenutzt haben.

    Hat Bundeskanzlerin Merkel noch eine realistische Chance, aus der Abwärtsspirale herauszukommen?

    Falter: Formal hat sie weiterhin alle Machtinstrumente in der Hand. Aber ihr Autoritätsverlust ist mit den Händen zu greifen. Und zwar seit den gescheiterten Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition mit der FDP und den Grünen.

    Alle sind jetzt überrascht, dass Volker Kauder als Fraktionschef abgewählt worden ist. Wie wichtig ist dieser Posten für die Kanzlerin?

    Falter: Der Fraktionschef der Union, das ist eine zentrale Position. Er ist der Transmissionsriemen zwischen Parlament und Regierung. Er ist dazu da, das Regieren zu ermöglichen. Und er ist dazu da, Mehrheiten zu organisieren.

    Also ist die Kanzlerin von der Abwahl Kauders ganz persönlich betroffen?

    Falter: Genau. Ganz persönlich. Da kommt einiges zusammen. Da geht es um ihre Autorität.

    War es ein Fehler, dass Merkel 2017 noch einmal angetreten ist?

    Falter: Ich kenne sie ganz gut. Und ich bin mir sicher, dass sie relativ uneitel ist und tatsächlich aus Pflichtgefühl noch einmal kandidiert hat.

    War der Wahlsieg von Ralph Brinkhaus ein gut vorbereiteter Coup von Gegnern der Kanzlerin oder gar eine Intrige gegen Merkel?

    Falter: Intrige ist der falsche Begriff. Das war kein Dolchstoß von hinten. Das war eine offene Feldschlacht. Viel eher geht es darum, dass Kauder als Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung und weniger als Fraktionschef wahrgenommen wurde.

    Was kann Merkel machen, um Ihre Karriere in Würde zu beenden? Oder hat sie den Zeitpunkt bereits verpasst?

    Falter: Politisch strategisch gesehen – also für die Geschichtsbücher – wäre es aus ihrer Sicht wohl besser gewesen, nicht mehr anzutreten. Den Zeitpunkt für einen Rücktritt auf dem Höhepunkt ihres Ansehens hat sie tatsächlich verpasst. Andererseits, wer hätte es denn machen sollen?

    Annegret Kramp-Karrenbauer gilt als intelligent. Man sagt, sie beherrscht sechs Sprachen.

    Falter: Eine davon ist Saarländisch. Spaß beiseite. Das große Charisma geht ihr offensichtlich ab.

    Wer ist der große Verlierer der Causa Maaßen?

    Falter: Es gibt vier Verlierer. Ganz sicher die Kanzlerin, natürlich die SPD-Chefin Andrea Nahles und sicher auch Innenminister Horst Seehofer. Aber auch, und das wird oft vergessen, Hans-Georg Maaßen selber.

    Hat die SPD mit ihrem aktuellen Personal noch die Chance, ihren Absturz aufzufangen?

    Politikprofessor Jürgen Falter.
    Politikprofessor Jürgen Falter. Foto: Falter

    Falter: Ob Andrea Nahles die Sozialdemokraten über 20 Prozent halten kann, da habe ich meine Zweifel. Ich glaube, dass Finanzminister Olaf Scholz – er ist ja ähnlich spröde wie Merkel – als Kanzlerkandidat ernster zu nehmen wäre. Wenn ich aber sehe, dass Personen wie Juso-Chef Kevin Kühnert das große Wort führen, dann mache ich mir schon Sorgen um die Sozialdemokraten. In den Medien wird der Mann ja hofiert. Ich frage mich, warum. Die Jusos hatten mal 300,000 Mitglieder, jetzt sind es noch 50.000.

    In Bayern wird am 14. Oktober gewählt. Ist das der Termin, an dem Horst Seehofer die Quittung von seiner eigenen Partei erhält?

    Falter: Das ist durchaus möglich. Die Leute merken das ja auch. Da kommt ein CSU-Politiker nach Berlin als wichtigster Minister. Dann kommen die großen Ankündigungen – doch nichts passiert. Da hat jemand die Backen gewaltig aufgeblasen, doch heraus kommt ein dünner Pfeifton. So etwas wird in Bayern auch nicht mehr einfach so hingenommen. Der Freistaat hat sich verändert. Die Leute registrieren, dass es Seehofer nicht gelingt, Flüchtlinge, die kein Bleiberecht haben, tatsächlich abzuschieben oder die Grenzen wirkungsvoll zu kontrollieren.

    Wie soll man mit der AfD umgehen. Ignorieren oder diskutieren?

    Falter: Auf jeden Fall muss man offen über die Themen debattieren, die die AfD groß gemacht haben. Es ist doch völlig falsch, zu sagen, dass Probleme nicht diskutiert werden, nur weil die AfD damit Politik macht. Im Gegenteil: Genau dieser Ansatz hiflt am Ende nur der AfD.

    Bald läuft der TV-Zyklus „Babylon Berlin“ an. Darin geht es um die fiebrige Stimmung in der Hauptstadt zwischen den beiden Weltkriegen. Kann sich das Drama der Weimarer Republik heute wiederholen?

    Falter: Ich habe alle Folgen bereits gesehen. Kann ich nur empfehlen. Aber es gibt gewaltige Unterschiede zu der Situation in den zwanziger Jahren. Damals haben die staatlichen Institutionen versagt, heute sind sie im Großen und Ganzen funktionsfähig. Damals haben die Eliten und Teile der Medien ganz bewusst den Sturz der Demokratie betrieben, heute kann ich so etwas glücklicherweise nicht erkennen.

    Also alles in Butter?

    Falter: Das wieder auch nicht. Wir müssen aufpassen, dass unsere Demokratie nicht ausgehöhlt wird. Denn das ist ein Prozess, den man nur ganz schwer bemerkt, weil er schleichend abläuft.

    Zur Person: Jürgen Falter, 74, ist einer der bekanntesten deutschen Politikwissenschaftler. Er forscht derzeit an der Uni Mainz.

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