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MH17 abgeschossen: Russland-Experte erklärt: Wie kann der Ukraine-Konflikt gelöst werden?

MH17 abgeschossen

Russland-Experte erklärt: Wie kann der Ukraine-Konflikt gelöst werden?

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    Die Lage im Osten der Ukraine ist nach wie vor kritisch.
    Die Lage im Osten der Ukraine ist nach wie vor kritisch. Foto: Sergey Kozlov (dpa)

    Mit dem mutmaßlichen Abschuss der Passagiermaschine MH17 über der Ukraine hat der Ukraine-Konflikt eine neue Dimension erreicht. Der SPD-Russland-Experte Gernot Erler erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, wie der Konflikt gelöst werden könnte.

    Herr Erler, es wird von „dem Konflikt in der Ostukraine“ gesprochen. Handelt es sich nicht schlicht um Krieg?

    Die Tatsachen sprechen dafür. Es gibt täglich Todesopfer, die Kämpfe werden mit schweren Waffen ausgetragen, die Separatisten haben das Kriegsrecht erklärt.

    Was wissen Sie über die Stimmung in der Bevölkerung der Ostukraine?

    Die Lage ist sehr schwer einzuschätzen, da es fast nur tendenziöse Berichte aus der Region gibt. Augenzeugen berichten von Erpressung und willkürlichen Verhaftungen durch prorussische Milizen. Amnesty International hat belegt, dass es massive Menschenrechtsverletzungen gibt – von beiden Seiten.

    Augenscheinlich mangelt es auch an Wasser, viele Gebiete sind ohne Strom.

    Die Regierung in Kiew muss in den Städten, die sie zurückerobert hat, beweisen, dass sie in der Lage ist, die katastrophale Versorgungslage zu verbessern. Das würde ihr Ansehen in der Bevölkerung erhöhen.

    Stimmen Sie der These zu, dass alleine der Kreml den Krieg in der Ostukraine initiiert hat und steuert?

    So absolut würde ich das nicht formulieren. Dafür, dass die Russen alles kontrollieren, fehlen die Beweise. Man kann ja Waffen und Hilfsgüter auch stillschweigend passieren lassen.

    Aber es gibt doch massive Unterstützung von russischem Gebiet aus für die Separatisten.

    Es gab ohne Zweifel Konvois in Richtung Ostukraine, auch mit russischen Söldnern. Aber es sind in erster Linie Milizen aus der Ostukraine aktiv, die große Mengen an Waffen aus den Depots der regulären Armee erbeutet haben. Natürlich könnte Russland seine Grenze dichtmachen. Der Kreml hat zuletzt – politisch geschickt – ukrainische Grenzbeamte und OSZE-Beobachter eingeladen, die Kontrollen zu überwachen. Doch das ist schwierig, solange geschossen wird.

    Was können die neuen Sanktionen der USA und der EU bewirken?

    Im Text, der jetzt auf dem EU-Gipfel ausgearbeitet wurde, heißt es lediglich, dass die Sanktionen verschärft werden, weil die Anstrengungen Russlands zur Stabilisierung der Ukraine unzureichend seien. Dahinter steht natürlich die Aufforderung an Moskau: „Sorgt gefälligst dafür, dass nichts mehr rübergeht.“

    Muss der Westen bereit sein, noch härtere Sanktionen durchzusetzen?

    Die EU ist da nach wie vor vorsichtig. Schließlich haben die Mitgliedsländer weit mehr zu verlieren als die USA. Alleine 350000 deutsche Arbeitsplätze hängen am Handel mit Russland. Dennoch ist besonders wichtig, dass EU und die USA weiterhin gemeinsam handeln.

    Wie wird Russland nun reagieren?

    Auch wenn die Sanktionen – insbesondere gegen Unternehmen – Russland wehtun: Ich glaube, dass der Kreml nun, anders als nach der ersten Stufe der Sanktionen, erstmals ernsthaft Gegenmaßnahmen einleiten könnte. Denkbar wäre, dass Moskau einzelnen Ländern drohen könnte, die Gaslieferungen zu drosseln. Ich hoffe aber nach wie vor, dass eine Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen vermieden wird.

    Glauben Sie, dass es Wladimir Putin hinnehmen würde, wenn die Separatisten militärisch unterliegen würden?

    Wir sind uns in der EU einig, dass es eine militärische Lösung nicht geben kann. Das hat auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko deutlich gesagt – und sich damit in Kiew nicht beliebt gemacht. Stellen Sie sich vor, was Häuserkämpfe in der Millionenstadt Donezk für die Bevölkerung bedeuten würden.

    Haben Sie die Hoffnung, dass sich Russland eine Ukraine vorstellen kann, die für Moskau, aber auch die EU ein attraktiver Partner ist?

    Ich bin der Überzeugung, dass sich Russland dies noch bis 2013 vorstellen konnte. Es war ein Fehler der EU, die Ukraine vor eine Entweder-oder-Entscheidung zu stellen. Immerhin hat erst kürzlich ein Gespräch zwischen Brüssel, Kiew und Moskau über den Ausgleich der verschiedenen Interessen begonnen, der in zwei Monaten fortgesetzt werden soll. Das macht Hoffnung. Aber ich bleibe dabei: Im Moment ist es noch zu früh, über dauerhafte Friedenslösungen zu sprechen. Solange vor Ort Menschen sterben, kann es nur um Deeskalation und ein Ende der Kämpfe gehen. Und da gibt es klare Erwartungen an Russland.

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