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Föderalismus: Schiebt jetzt bald der Bund ab?

Föderalismus

Schiebt jetzt bald der Bund ab?

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    Der Staat greift durch: Abgelehnte Asylbewerber steigen am Flughafen Karlsruhe in eine Maschine, die sie im Rahmen einer Sammelabschiebung wieder zurück in ihre Heimatländer bringt.
    Der Staat greift durch: Abgelehnte Asylbewerber steigen am Flughafen Karlsruhe in eine Maschine, die sie im Rahmen einer Sammelabschiebung wieder zurück in ihre Heimatländer bringt. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Das neue Jahr war noch keine zwei Tage alt, als Thomas de Maizière in eine für uneinnehmbar gehaltene Bastion der Länder einbrach. „Die Sicherheit im Bund muss auch vom Bund zu steuern sein“, verlangte der Innenminister in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen. Mehr Befugnisse für das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei, der Verfassungsschutz komplett in der Hand des Bundes: Das Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt Mitte Dezember hat für de Maizière auch eine Reihe von alten Gewissheiten in der Sicherheitspolitik infrage gestellt – allen voran die, dass jedes Bundesland seine Bürger selbst am besten schützen kann.

    Ein Flüchtling aus Tunesien, der die Wohnorte wechselt wie andere Leute ihre Hemden und dabei immer wieder von den Radarschirmen der Behörden verschwindet: Um Fälle wie den von Anis Amri künftig zu verhindern, will de Maizière nicht nur die Landesämter für Verfassungsschutz unter die Aufsicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellen. Auch die Verschärfung der Abschiebepraxis, auf die Bundeskanzlerin Angela Merkel sich am Donnerstag mit den Ministerpräsidenten geeinigt hat, stand bereits in seinem Vorschlagskatalog.

    Großteil der Ausreisepflichtigen wird weiter geduldet

    Abgelehnte Asylbewerber wie Amri sollen danach nicht nur deutlich schneller abgeschoben werden – sie sollen rechtzeitig vor ihrer Ausreise auch in speziellen, vom Bund betriebenen Einrichtungen untergebracht und dann in vom Bund organisierten Sammelabschiebungen außer Landes gebracht werden, obwohl das eigentlich Ländersache ist. Mit dem Hin- und Hergeschiebe der Verantwortlichkeiten, sagt de Maizière, müsse Schluss sein. „Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung.“ Vor allem die Abschiebepraxis in den rot-grün regierten Ländern, sekundiert CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, lasse bisher zu wünschen übrig.

    Wie unterschiedlich die einzelnen Landesregierungen mit Menschen umgehen, die streng genommen schon hätten ausreisen müssen, zeigt eine Übersicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die unserer Redaktion vorliegt. Danach erhalten in Bayern etwa 60 Prozent aller Ausreisepflichtigen eine Duldung, in Baden-Württemberg, Bremen, Schleswig-Holstein und Thüringen dagegen sind es mehr als 80 Prozent. Bundesweit zählten die Behörden 207.484 Ausreisepflichtige, tatsächlich abgeschoben wurden im vergangenen Jahr aber nur 25.375 abgelehnte Asylbewerber, dazu kamen 54.000 freiwillige Ausreisen.

    Wenn sich an den Verfahren nichts ändere, rechnet der Städte- und Gemeindebund vor, werde die Zahl der potenziellen Abschiebekandidaten bis Jahresende auf 450.000 steigen. Geschätzte Mehrkosten: Drei Milliarden Euro pro Jahr. Mit der Zahl der Flüchtlinge wird mit einer gewissen Verzögerung ja auch die Zahl der abgelehnten Asylbewerber kräftig steigen.

    Freiwillige Rückkehrer bekommen Geld vom Staat

    Bei seinem Versuch, den Einfluss des Bundes zu stärken, zielt de Maizière weniger auf Länder wie Bayern und Baden-Württemberg mit einer leistungsfähigen Polizei und einem schlagkräftigen Verfassungsschutz. Er hat vor allem Stadtstaaten wie Berlin und Bremen im Auge. In Bremen zum Beispiel, sagt ein Insider, sei das Landesamt für Verfassungsschutz nur noch damit beschäftigt, sich selbst zu verwalten, so knapp sei das Personal dort.

    In Berlin wiederum hat das zuständige Landesamt den späteren Attentäter Amri im Glauben, er sei nach Nordrhein-Westfalen gezogen, von der Liste „seiner“ Gefährder gestrichen, obwohl der Tunesier immer wieder in die Hauptstadt zurückkam. Dabei zeigte sich ein ähnliches Muster wie im Skandal um die rechte Terrorzelle NSU: Je häufiger ein zu Beobachtender das Bundesland wechselt, umso größer ist die Gefahr, dass die Sicherheitsbehörden ihn aus den Augen verlieren.

    Anders als beim Thema Verfassungsschutz haben die Länder de Maizières Zentralisierungspläne in der Abschiebepolitik weitgehend akzeptiert. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Erwin Sellering formuliert es so: Wenn ausreisepflichtige Ausländer merkten, dass es Deutschland ernst meine mit den Abschiebungen, werde auch die Zahl der freiwilligen Rückkehrer steigen. Sie nämlich bekommen Geld vom Staat, wenn sie gehen.

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