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Flüchtlinge: Sigmaringen: Protest gegen große Flüchtlingsunterkunft

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Sigmaringen: Protest gegen große Flüchtlingsunterkunft

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    Eine Frau und ihre Tochter in Sigmaringen auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle für Asylbewerber.
    Eine Frau und ihre Tochter in Sigmaringen auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle für Asylbewerber. Foto: Thomas Warnack, dpa

    "Da oben", sagt der Sigmaringer Bürgermeister Thomas Schärer (CDU), wenn er von der Landeserstaufnahmestelle in seiner Stadt spricht. Auf der Höhe am Stadtrand liegt die ehemalige Graf-Stauffenberg-Kaserne, in der statt Soldaten heute Flüchtlinge leben. Und das soll noch lange so bleiben - das Innenministerium will die Landeserstaufnahmestelle (Lea) in Sigmaringen mit 1250 Plätzen zur größten in ganz Baden-Württemberg machen. Das passt vielen Sigmaringern und ihrem Bürgermeister nicht. Sie haben mit Unterschriften und kritischen Worten dagegen protestiert.

    Sigmaringen: So vehement war der Protest sonst nirgendwo

    Weitere langfristige Leas sind in Ellwangen, Karlsruhe und Freiburg geplant. Auch die Ellwanger wehren sich, pochen auf eine Vereinbarung, die nur eine Lea in der Stadt bis 2020 vorsieht. Aber so vehement wie in Sigmaringen war der Protest sonst nirgendwo.

    Bis zu 1250 Flüchtlinge könnten in der Sigmaringer Lea leben, weitere 450 wohnen derzeit nach Angaben des Bürgermeisters in anderen Unterkünften im Stadtgebiet. Insgesamt hieße das, dass Sigmaringen im Extremfall 1700 Flüchtlinge beherbergt - das wären gut 10 Prozent der rund 16 000 Einwohner. "Das hieße, dass zum Beispiel eine 100 000 Einwohner-Stadt wie Reutlingen 10 000 Leute aufnehmen müsste", sagt Schärer. "Aus meiner Sicht ist das nicht verträglich."

    Im Forderungskatalog, den der Gemeinderat verabschiedet hat, pocht die Stadt auf eine Belegung mit maximal 500 Menschen und eine Schließung der Einrichtung im Juli 2020. 700 Sigmaringer haben die Forderungen unterschrieben. Die Listen waren auch in Läden der Stadt ausgelegt, das Zentrum liegt knapp drei Kilometer Fußweg von der Lea entfernt. 

    Der Vorsitzende des Handels- und Gewerbevereins, Matthias Eisele, bemerkt in der Bevölkerung eine diffuse Angst vor steigender Kriminalität, die aber nicht an konkreten Vorfällen festgemacht werden könne. Er sieht eine Dreiteilung der Sigmaringer Gesellschaft. Da gebe es diejenigen, die ohne wenn und aber helfen wollen, und jene, die eine Flüchtlingsaufnahmestelle ablehnen. "Und dann gibt es die, die sagen, Flüchtlinge können kommen, aber irgendwann muss das Maß voll sein."

    Was bekommen Flüchtlinge?

    Flüchtlinge erhalten gemäß Asylbewerberleistungsgesetz Mittel zur Sicherung ihres Existenzminimums. Wie viel Bargeld ein Flüchtling bekommt, hängt davon ab, wie lange er in Deutschland ist und welche Sachleistungen er in seiner Unterkunft erhält.

    In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden vorrangig Sachleistungen gewährt. Dinge des täglichen Bedarfs wie Essen oder Möbel werden dort meist zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es Bargeld für persönliche Bedürfnisse.

    Alleinstehende erhalten 143 Euro im Monat. Erwachsene, die als Partner einen Haushalt teilen, bekommen je 129 Euro. Wer sonst noch im Haushalt lebt, kriegt 113 Euro. Für Kinder stehen Familien je nach Alter 85 bis 92 Euro zu.

    Wenn Asylbewerber nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften des Landes untergebracht sind und damit in der Regel Essen und andere Sachleistungen wegfallen, gibt es mehr Bargeld.

    Erwachsene Alleinstehende erhalten dann 216 Euro, Kinder oder weitere Haushaltsmitglieder 133 bis 194 Euro.

    Hier gibt es allerdings etwas Spielraum: Anstelle der Geldleistungen können auch - "soweit es nach den Umständen erforderlich ist", wie es im Gesetz heißt - Wertgutscheine und Sachleistungen gewährt werden.

    Zudem übernehmen die Behörden anfallende Wohnkosten. Auch bei Krankheit, Schwangerschaft oder Geburt erstattet der Staat die Kosten.

    Ist ein Flüchtling länger als 15 Monate im Land, stehen ihm bei Bedürftigkeit Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe zu. Damit erhält ein Alleinstehender etwa 392 Euro. Zudem werden seine Wohnkosten erstattet. (dpa)

    Die Flüchtlingsbetreuer in der Erstaufnahmestelle gehören eher zu den pragmatischen Helfern. Sie haben im Winter 2014 zeitweise rund 2500 Flüchtlinge mit Ehrenamts-Angeboten betreut, sagt die Pressesprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Sigmaringen, Alexandra Freund-Gobs. Das DRK ist mit der Ehrenamtskoordination in der Lea beauftragt. "Insofern ist die Zahl 1250 für uns kein Problem." 

    Aber an anderen Stellen in der Stadt ächzen Ehrenamtliche - jüngst vor allem bei der Feuerwehr. Sie musste nach Angaben des Bürgermeisters kürzlich innerhalb von 18 Stunden sechs Mal wegen Brandalarms in der Erstaufnahme ausrücken - "weil Brandmelder von alkoholisierten Asylbewerbern ausgelöst wurden", sagt Schärer. Ein Feuerwehreinsatz musste laut Polizei sogar abgebrochen werden, weil den Einsatzkräften 200 aggressive Bewohner gegenüberstanden. "Wenn die Leute lesen, dass die Flüchtlinge undankbar sind und sich flegelhaft verhalten, steigt die Ablehnung, das ist menschlich."

    Beschwerden aus der Bevölkerung erreichen den Leiter der Lea, Fabian Heilmann, nach eigenen Angaben selten, und wenn, dann drehen sie sich um Ruhestörung oder falsche Müllentsorgung. Dass Unterschriften gegen die dauerhafte Lea gesammelt wurden, ist bei den Flüchtlingen laut Heilmann nicht angekommen. Die Stimmung in Sigmaringen beschäftige aber die Mitarbeiter, weil ihre Arbeitsplätze von der Zukunft der Einrichtung abhängen. 

    Bis zu welcher Größe eine Lea "verträglich" für eine Stadt ist, kann auch der Städtetag als Interessenvertreter der Kommunen nicht beantworten, wie die Pressestelle mitteilt. "Dazu sind die Kommunen viel zu unterschiedlich: Was die eine gut verträgt, ist für die andere zu viel." 

    Protest in Sigmaringen: Ist ein Kompromiss möglich?

    Sigmaringen stelle sich der Verantwortung, bis zum Jahr 2020 Flüchtlinge zu beherbergen, betont CDU-Politiker Schärer. "Die mittelfristige Unterbringung lehnen wir nicht ab, sonst hätten wir gesagt: Wir fordern die Schließung", erklärt er. Aber ab 2020 wolle die Stadt wieder eigene Pläne auf dem Kasernengelände verfolgen. Schließlich habe die Kommune schon mehrere Hunderttausend Euro für ein Zukunftskonzept ausgegeben. Gewerbe, ein medizinisches Versorgungszentrum und barrierefreies Wohnen sind angedacht. "Seit Juli 2015 ist keine Entwicklung möglich", sagt Schärer.  

    Der Bürgermeister hat ein Ziel seines Protests bereits erreicht: Das Land und die Stadt führen Gespräche miteinander. Möglicherweise könne man einen Kompromiss schließen, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Die Konzeption künftiger Erstaufnahmestellen ist noch nicht in Stein gemeißelt. "Der Forderungskatalog ist letztlich nichts anderes als eine Bitte", sagte Rathauschef Schärer. "Das Land könnte letztendlich tun, was es will." Ein Enddatum der Erstaufnahme in Sigmaringen indes werde das Land nicht nennen, das sei beim ersten Gespräch deutlich geworden. dpa/lsw/AZ

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