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Asylpolitik: Urteile und Vorurteile über Flüchtlinge - ein Faktencheck

Asylpolitik

Urteile und Vorurteile über Flüchtlinge - ein Faktencheck

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    Handys sind kein Zeichen von übermäßigem Wohlstand der Asylbewerber. Sie dienen hauptsächlich als Kommunikationsmittel zur Familie.
    Handys sind kein Zeichen von übermäßigem Wohlstand der Asylbewerber. Sie dienen hauptsächlich als Kommunikationsmittel zur Familie. Foto: Felix Kästle/dpa (Symbolbild)

    Asylbewerber haben teure Handys, lassen sich aber alles vom Steuerzahler bezahlen. Überhaupt nimmt Deutschland sowieso alle auf - die anderen Länder tun gar nichts. Und nicht zu vergessen - ungebildet sind alle Flüchtlinge auch noch: Vorurteile über Flüchtlinge gibt es zuhauf. Meist stimmen sie nicht, oft genug werden Fakten auch "passend gemacht", wenn sie Vorurteile unterlegen sollen.

    Wir haben einige verbreitete Vorurteile unter die Lupe genommen - und Fakten gegen Phrasen gestellt. 

    Vorurteil: „Flüchtlinge haben teure Handys, lassen sich aber alles vom deutschen Steuerzahler zahlen“

    In „asylkritischen“ Kreisen ist das Smartphone zum Beweis für Reichtum und Sozialschmarotzertum der Flüchtlinge geworden. Tatsächlich kommen die meisten Flüchtlinge schon mit Handys an. Sie dienten und dienen als Kommunikationsmittel zwischen auf der Flucht getrennten Familien, als Übersetzer, als Informationskanal (wenn die Diktatur im Heimatland zum Beispiel Medien zensiert und Festnetztelefone überwacht) und als Zeuge für Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel im syrischen Bürgerkrieg, zählt die österreichische Tageszeitung Der Standard auf.

    Auf dem Smartphone speichern Flüchtlinge oft wichtige Dokumente und Bilder, hat Pro Asyl festgestellt. Die laufenden Kosten in Deutschland gehen für sie gegen null. Für den Internetzugang nutzen sie Hotspots und können so Kontakt zur Heimat halten.

    Außerdem: So teuer wie sie aussehen, sind viele der Mobiltelefone gar nicht. "Teils sind die Handys in den Herkunftsländern nicht so teuer wie hier", heißt es bei Pro Asyl. Denn Unternehmen wie Samsung, HTC oder LG werfen außerhalb Europas und den USA längst auch Handys auf den Markt, die optisch zwar aussehen wie westliche Premiummodelle, aber weniger Leistung oder eine schlechtere Kamera haben - und damit viel billiger sind.

    Vorurteil: „Deutschland nimmt mehr Flüchtlinge auf als andere EU-Staaten.“

    Tatsächlich kamen 2014 zahlenmäßig mit Abstand am meisten Flüchtlinge nach Deutschland. Zum Vergleich: Deutschland registrierte 202.815 Menschen, Schweden 81.325 und Italien 64.625 (Zahlen: Bundesamt für Migration, Broschüre Seite 29).

    Ganz anders ist das Bild allerdings, wenn man die Zahlen in Relation zur Bevölkerungszahl betrachtet. Da trägt plötzlich Schweden die größte Last in Europa. Auf 1000 Einwohner kommen dort 8,4 Antragssteller. Deutschland liegt nun nur noch auf Rang 7 – mit 2,5 Antragstellern pro 1000 Einwohnern. Die zweitgrößte Last trägt Ungarn: 4,3 Flüchtlinge, die einen Antrag stellen, kommen dort auf 1000 Einwohner.

    Der europäische Durchschnitt liegt bei 1,3 pro 1000 Einwohnern. In die bevölkerungsmäßig kleineren Staaten wie Schweden, Ungarn, Österreich und Malta kommen relativ mehr Asylbewerber als in die mit über 30 Millionen Einwohner wie Frankreich, Großbritannien, Polen und Spanien. Letztere haben alle unter einem Antragsteller pro 1000 Einwohner. Ausnahmen davon sind Deutschland und Italien.

    Vorurteil: „Es kommen fast nur junge Männer.“

    Richtig ist, dass mehr männliche Flüchtlinge einen Asylantrag in Deutschland als weibliche. Je nach Herkunftsland sind es jedoch mal mehr, mal weniger viele. Aus Serbien kommen beispielsweise fast genauso viele Frauen – von Januar bis Juni 2015 waren es 7689 - wie Männer (8133) nach Deutschland. Aus Syrien kamen dagegen 26.066 Männer und 8362 Frauen.

    Wieso diese Aufteilung so ist, darüber liegen laut einer Sprecherin des Bundesamtes für Migration dem Amt keine auswertbaren Erkenntnisse vor. Bernd Mesovic von Pro Asyl kennt verschiedene Gründe. In mehreren Staaten seien Männer von „bestimmten Verfolgungsmaßnahmen“ eher betroffen als Frauen. Zum Beispiel würden sie eher im Krieg eingesetzt.

    Dann kommt dazu, dass für Familien häufig nur ein Mitglied nach Europa geht. „Zum Teil ist es zu teuer, zum Teil wollen die Familien das Risiko minimieren“, sagt Mesovic. Denn der Weg sei gefährlich, zum Beispiel die Überfahrten über das Mittelmeer und die Ägais. Diesen Fluchtweg müssten die Flüchtlinge überstehen.

    Viele Asylbewerber in Deutschland hoffen, die Familie auf legalem Weg nachzuholen – und so für diese Familienmitglieder die Reise deutlich weniger gefährlich zu machen. „Da sitzen viele auf heißen Kohlen. Sie fühlen sich auch häufig verpflichtet gegenüber den Zurückgebliebenen", sagt Mesovic.

    Für Frauen droht in manchen Gebieten die Gefahr, verschleppt und vergewaltigt zu werden. Mesovic nennt als Beispiel den Weg über Sinai. Ein weiterer Grund: In Westafrika gibt es traditionell eine starke Arbeitsmigration der jüngeren Männer. In diesem Fall muss dann der Migrant für eine finanzielle Entlastung der Familie zuhause sorgen.

    Asylantragsteller Januar – Juni 2015 Gesamt Männlich Weiblich
    Bundesweit 179.037 120.559 58.478
        
    Top-10-Herkunftsländer   
    Syrien 34.428 26.066 8.362
    Kosovo 31.400 20.739 10.661
    Albanien 22.209 13.647 8.562
    Serbien 15.822 8.133 7.689
    Irak 9.286 6.578 2.708
    Afghanistan 8.179 6.188 1.991
    Mazedonien 6.704 3.534 3.170
    Eritrea 3.636 2.769 867
    Nigeria 2.864 1.800 1.064
    Pakistan 2.841 2.487 354

    Quelle: Bundesamt für Migration

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    Vorurteil: „Flüchtlinge arbeiten alle nicht.“

    Tatsächlich hängt die Frage, ob Flüchtlinge arbeiten dürfen, maßgeblich von ihrem Aufenthaltsstatus ab, heißt es im Bundesamt für Migration. Die genauen Bestimmungen regelt das Asylverfahrensgesetz

    Zunächst haben Asylbewerber ein dreimonatiges generelles Arbeitsverbot. Danach können sie arbeiten - je nach Status unter bestimmten Voraussetzungen.

    Anerkannte Asylbewerber, die vom Bundesamt einen positiven Bescheid erhalten haben, dürfen uneingeschränkt arbeiten. (Ausnahme: Liegt ein Abschiebungsverbote vor, erteilen die Ausländerbehörden ihre Arbeitserlaubnis gesondert.)

    Anders ist das für Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsgestattung oder einem Duldungsstatus. Sie brauchen zunächst eine Genehmigung ihrer Ausländerbehörde, damit sie arbeiten dürfen. Zustimmen muss außerdem die örtliche Arbeitsagentur. Denn die muss unter anderem den "Vorrang" prüfen - also ob nicht ein Bürger aus Deutschland oder der EU vor dem Asylbewerber Vorrang auf die Stelle hat.

    Erst nach vierjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet ist die Zustimmung der Arbeitsagentur nicht mehr erforderlich. Dann haben Asylbewerber einen unbeschränkten und gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Eine Ausnahme sind laut dem Bundesamt Tätigkeiten wie Praktika, Berufsausbildung sowie Tätigkeiten als Hochqualifizierte. Die sind für Asylbewerber und Geduldete zustimmungsfrei.

    Viele Asylbewerber gehen schon einer Arbeit nach. Die Bundesagentur für Arbeit hat allerdings noch nicht viele aussagekräftige Daten. Denn bisher werde nur die Staatsangehörigkeit erfasst, nicht aber der Asylstatus, sagt Sprecher Paul Ebsen. Über die Staatsangehörigkeit lässt sich aber dennoch eine Näherung ableiten.

    Im Februar 2015 waren 357.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus den Asylzugangsländern registriert. Nur etwa ein Viertel davon sind allerdings Flüchtlinge. 2014 stimmte die Agentur für Arbeit außerdem 67.795 Beschäftigungen zu. 26.408 Mal erteilte sie keine Zustimmung. Die von der Ablehnung betroffenen Menschen können allerdings über die Ausnahmen wie Praktika und Ausbildungen auf den Arbeitsmarkt kommen. 

    Vorurteil: „Flüchtlinge sind ungebildet.“

    Falsch. Tatsächlich haben viele Asylbewerber einen akademischen Abschluss  – allerdings hängt dies auch von der Herkunft ab, so das Bundesamt für Migration. Von den Migranten aus Syrien stammen zum Beispiel rund 78 Prozent aus durchschnittlichen oder guten wirtschaftlichen Verhältnissen und haben eine gute Schulbildung. Das ergab eine Befragung der Agentur für Arbeit im Zeitraum von 1. Januar 2013 bis 30. September 2014.

    21 Prozent der Befragten hatten eine Fachhochschule oder Universität besucht, rund 22 Prozent ein Gymnasium, rund 47 Prozent eine Grund- oder Mittelschule. Nur wenige hatten gar keine Schule besucht. Diese Angaben liegen weit über den Daten vieler anderer Herkunftsländer.

    Das Bundesamt erfasst nicht statistisch und systematisch die Ausbildung und Qualifikation der Asylsuchenden. Allerdings werden die Flüchtlinge, wenn sie ihren Asylantrag stellen, auch zu ihrer Bildung befragt – eine Antwort ist freiwillig, die Daten sind nicht repräsentativ. Bei den Asylsuchenden des Jahres 2014 gaben 15 Prozent an, eine Hochschule besucht zu haben, 16 Prozent ein Gymnasium und 35 Prozent eine Mittelschule besucht zu haben. 11 Prozent der Befragten hatten keine Schule, 24 Prozent lediglich eine Grundschule besucht.  

    Vorurteil: „Flüchtlinge schleppen Krankheiten ein.“

    Flüchtlinge sind von manchen Krankheiten - Hepatitis B und Aids tatsächlich etwas häufiger betroffen als Deutsche. Allerdings, sagt das Bayerische Gesundheitsministerium, "wie die infektionsepidemiologischen Erkenntnisse sowie Erfahrungen aus der Praxis zeigen, besteht insgesamt nur ein geringes Infektionsrisiko, da Asylbewerber durch das Gesundheitsamt nach § 62 AsylVfG auf übertragbare Krankheiten untersucht werden."

    Das heißt: Bei der Registrierung werden die Asylbewerber erst einmal auf übertragbare Krankheiten untersucht. Sie werden mit Röntgenaufnahmen (wenn sie älter als 15 Jahre sind) auf eine Tuberkulose der Atemwege getestet, ihr Blut wird nach dem Aids-Erreger HIV und nach Hepatitis B untersucht. Wenn ansonsten ein Verdacht auf eine Infektionskrankheit besteht oder wenn Infektionen in der Familie bekannt sind, werden die Asylbewerber ebenfalls untersucht, sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. 

    Die Untersuchungen ergaben laut dem Ministerium: HIV-positiv sind seit Jahren unter ein Prozent der Asylbewerber, Hepatitis-B-positiv unter fünf Prozent. Bei den Untersuchungen des Gesundheitsamtes waren im ersten Halbjahr 2015 0,76 Prozent der untersuchten über 15-jährigen Asylbewerber auf HIV auffällig, bei 0,6 Prozent der Asylbewerber wurde eine HIV-Infektion neudiagnostiziert. Zum Vergleich: In der bayerischen/deutschen Bevölkerung tritt in den vergangenen Jahren HIV relativ konstant mit etwa 0,1 Prozent auf.

    Im selben Zeitraum wurde außerdem in vier Prozent der getesteten Proben ein Oberflächenantigen des Hepatitis B-Virus nachgewiesen, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. In Deutschland tritt diese Krankheit bei weniger als einem Prozent der Bevölkerung auf.

    Was bekommen Flüchtlinge?

    Flüchtlinge erhalten gemäß Asylbewerberleistungsgesetz Mittel zur Sicherung ihres Existenzminimums. Wie viel Bargeld ein Flüchtling bekommt, hängt davon ab, wie lange er in Deutschland ist und welche Sachleistungen er in seiner Unterkunft erhält.

    In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden vorrangig Sachleistungen gewährt. Dinge des täglichen Bedarfs wie Essen oder Möbel werden dort meist zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es Bargeld für persönliche Bedürfnisse.

    Alleinstehende erhalten 143 Euro im Monat. Erwachsene, die als Partner einen Haushalt teilen, bekommen je 129 Euro. Wer sonst noch im Haushalt lebt, kriegt 113 Euro. Für Kinder stehen Familien je nach Alter 85 bis 92 Euro zu.

    Wenn Asylbewerber nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften des Landes untergebracht sind und damit in der Regel Essen und andere Sachleistungen wegfallen, gibt es mehr Bargeld.

    Erwachsene Alleinstehende erhalten dann 216 Euro, Kinder oder weitere Haushaltsmitglieder 133 bis 194 Euro.

    Hier gibt es allerdings etwas Spielraum: Anstelle der Geldleistungen können auch - "soweit es nach den Umständen erforderlich ist", wie es im Gesetz heißt - Wertgutscheine und Sachleistungen gewährt werden.

    Zudem übernehmen die Behörden anfallende Wohnkosten. Auch bei Krankheit, Schwangerschaft oder Geburt erstattet der Staat die Kosten.

    Ist ein Flüchtling länger als 15 Monate im Land, stehen ihm bei Bedürftigkeit Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe zu. Damit erhält ein Alleinstehender etwa 392 Euro. Zudem werden seine Wohnkosten erstattet. (dpa)

    Das Gesundheitsamt treffe die notwendigen Maßnahmen, um die Bevölkerung vor drohenden Gefahren zu schützen, falls doch einmal Anzeichen zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit bestehen sollten, so das Ministerium.

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