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Kommentar: Warum wir nach den Anschlägen nicht von "Krieg" sprechen sollten

Kommentar

Warum wir nach den Anschlägen nicht von "Krieg" sprechen sollten

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    Stille Trauer in Paris mit einem zum Friedenszeichen geformten Eiffelturm. Frankreichs Präsident Hollande sprach nach den Anschlägen von Krieg.
    Stille Trauer in Paris mit einem zum Friedenszeichen geformten Eiffelturm. Frankreichs Präsident Hollande sprach nach den Anschlägen von Krieg. Foto: dpa

    Mit dem Ausdruck „Krieg“ sind wir, die Verwüstungen und Entmenschlichungen des 20. Jahrhunderts immer vor Augen, aus gutem Grund vorsichtig. Das lässt sich schon an Formulierungen wie „kriegsähnliche Zustände“, „kriegerischer Akt“ oder „fast wie im Krieg“ ablesen. Solche Wendungen sind nichts anderes als sprachliche Deeskalationsversuche. Der Krieg wird zwar zitiert, aber gleichzeitig geht man relativierend auf Distanz. Wenn nach der Terrorserie von Paris nun vom „Dritten Weltkrieg“ geschrieben und gesprochen wird und davon, dass Frankreich nunmehr einen Krieg führe, dann ist das auch eine verbale Eskalation. Eine Überreaktion zudem im historischen Kontext von Kriegen.

    Eben weil das Wort „Krieg“ das schlimmstmögliche, unausweichliche Gewaltszenario beschreibt und Bilder und Urängste aus dem kollektiven Gedächtnis wachruft, wird es nun gebraucht, um die schockierende Wucht und das Ausmaß des Angriffs und der Bedrohung zu umschreiben und gleichzeitig auch eine uneingeschränkte Vorstellung davon zu geben, was als Gegenwehr und Reaktion denkbar ist. Nicht umsonst hat Frankreichs Präsident Hollande seine Kriegsrhetorik mit Attributen wie „gnadenlos“ und „unbarmherzig“ noch verstärkt. Doch kann sich eine aufgeklärte Zivilisation nicht auch entschlossen zur Wehr setzen und verteidigen, ohne auf das Pathos von Kriegsvokabular zurückzugreifen? Krieg ist für die meisten Europäer gleichbedeutend mit Inferno, Apokalypse und totaler Rechtlosigkeit. Davon sind wir weit entfernt. Die 132 Opfer von Paris sind keine Kriegstoten – sie sind Opfer gnadenloser Verbrecher.

    Ein vom Westen ausgerufener Kriegszustand wertet den IS propagandistisch auf

    Vom Krieg spricht man normalerweise, wenn es sich um die militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten handelt. Gerade weil der sogenannte „Islamische Staat“, der hinter der Terrorserie von Paris vermutet wird, von den zivilisierten Staaten dieser Welt explizit nicht anerkannt wird und tatsächlich ja auch kein verfasstes Staatswesen ist, sondern allenfalls ein zusammenfantasiertes „Kalifat“, verwischt die Kriegsrhetorik Grenzen.

    Als die USA nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 den „Krieg gegen den Terror“ ausriefen, war das zwar eine noch vergleichsweise abstrakte Formulierung, aber doch schon der Anfang einer Aufrüstung. Kanzlerin Angela Merkel spricht weiter vom „Kampf“ gegen den IS. Es ist die bessere Formulierung. Denn obgleich natürlich niemand das beabsichtigt, wertet ein vom Westen ausgerufener Kriegszustand den IS propagandistisch auf. Was in Paris geschah, war menschenverachtender Terror, war verbrecherisch. Aber war es Krieg?

    Mit seinen wahllosen Angriffen und Morden an Konzert- und Restaurantbesuchern verfolgt der IS auch eine perfide Taktik, die Teil seiner schmutzigen psychologischen Kriegsführung ist: totale Verunsicherung. Im Schrecken, den man erzeugt, möchte man selbst groß erscheinen, allmächtig, weil in der Lage, jederzeit überall zuzuschlagen. Eine Auseinandersetzung mit solchen Gegnern und Milizen wird zwar als „asymmetrische Kriegsführung“ bezeichnet. Und doch ist es nicht zwingend, vom „Krieg“ zu sprechen, wenn man das entschlossene Vorgehen gegen Terroristen meint.

    Weil fast alle jener Attentäter, die in Frankreich gemordet haben, Franzosen waren, Leute aus den Vorstädten, könnte auch jemand auf die Idee kommen, vom „Bürgerkrieg“ zu sprechen. Das wäre ebenso überzogen und falsch wie die Rede vom „Krieg“ gegen den IS. Es geht in diesem Fall auch gar nicht darum, dass andere Begriffe als „Krieg“ die Tatsachen beschönigen oder verschleiern würden. Bombardements und militärische Interventionen sind kriegerische Mittel – aber sie allein definieren noch nicht den Krieg. Nicht fahrlässig vom Krieg zu reden, das ist auch eine Verpflichtung Europas vor der eigenen Geschichte.

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