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China: Wer kennt schon Liu Xiaobo?

China

Wer kennt schon Liu Xiaobo?

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    Ein Protestplakat in Hongkong zeigt ein Porträt des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo mit der Forderung, den Bürgerrechtler freizulassen. Was in der früheren britischen Kronkolonie zwar auch riskant, aber noch möglich ist, wäre beispielsweise in Peking kaum möglich.
    Ein Protestplakat in Hongkong zeigt ein Porträt des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo mit der Forderung, den Bürgerrechtler freizulassen. Was in der früheren britischen Kronkolonie zwar auch riskant, aber noch möglich ist, wäre beispielsweise in Peking kaum möglich. Foto: Kin Cheung, dpa

    Wer Passanten im Pekinger Einkaufsviertel Sanlitun befragt, was für sie in diesen Tagen das wichtigste Thema in den Nachrichten ist, bekommt viele Antworten: „Das Wetter“, platzt es aus einer 45-jährigen Frau heraus. „Hier in Peking die schreckliche Hitze. Und im Süden wird alles vom Regen überflutet.“ Andere nennen den Leihrad-Boom in chinesischen Städten oder auch den gerade zu Ende gegangenen G20-Gipfel in Deutschland. Der Namen Liu Xiaobo fällt kein einziges Mal. Wie sollte ein Durchschnittschinese den 61-Jährigen auch kennen?

    Chinas Staatsmedien halten komplett dicht, wenn es um das Schicksal des chinesischen Bürgerrechtlers geht. Dabei gäbe es durchaus Interessantes zu berichten: Liu Xiaobo bekam 2010 den Friedensnobelpreis verliehen. In Empfang nehmen konnte er die Auszeichnung allerdings nicht, weil er zu diesem Zeitpunkt schon im Gefängnis saß. Der Dissident hatte an einem Papier mitgeschrieben, in dem ein neues System für China gefordert wurde, ein „freier, demokratischer und verfassungsmäßiger Staat“ sollte her. Geschriebene Worte, für die Liu Xiaobo wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu elf Jahren Haft verurteilt wurde. Aus dem Gefängnis kam er Mitte Juni nur, weil er an Leberkrebs im Endstadium leidet. Seitdem wird er unter Bewachung in einem Krankenhaus der nordostchinesischen Stadt Shenyang behandelt. Informationen über seinen Gesundheitszustand dringen über knappe Mitteilungen des Krankenhauses an die Öffentlichkeit. In ihnen wird mit medizinischen Fachbegriffen jongliert, von einem „kritischen“ Zustand war zuletzt die Rede. Doch auch das taucht mit keinem Wort in Chinas streng kontrollierten Medien auf.

    Die Zensur wird nach Ansicht von Menschenrechtlern immer strikter. Als Chinas Präsident Xi Jinping vor zwei Wochen nach Hongkong reiste, um den 20. Jahrestag der Rückgabe der chinesischen Kronkolonie zu feiern, gab es im Staatsfernsehen zwar pompöse Bilder von einer Flaggenzeremonie. Zehntausende Demonstranten, die gegen den immer größeren Einfluss Pekings auf die Sonderverwaltungszone protestierten, wurden nicht erwähnt. Nicht nur die inländischen Medien stehen unter Pekings Kontrolle. China blockiert auch soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter sowie Google-Dienste oder die Videoplattform Youtube, internationale Medien wie die New York Times, das Wall Street Journal, oder Webseiten, die Pekings Politik kritisieren oder Menschenrechtsthemen ansprechen, sind ebenfalls gesperrt. Tunnelverbindungen (VPN – Virtual Private Network), die von Ausländern in China, aber auch vielen Chinesen zur Umgehung der Blockaden genutzt werden, wollen die Behörden laut jüngster Mitteilungen weiter einschränken. Lediglich einige englischsprachige Staatsmedien, die gezielt Chinas Stimme in der Welt verbreiten sollen, dürfen über den Fall Liu Xiaobo berichten.

    So kursieren seit Anfang der Woche einige kurze Videos, die zwei ausländische Ärzte am Krankenbett des Autors zeigen und die Behandlung der Chinesen loben. Nach Meinung von Liu Xiaobos Freuden sollen solche „Propaganda-Aktionen“ das Ausland davon überzeugen, dass keine Notwendigkeit besteht, den Bürgerrechtler zur Behandlung ausreisen zu lassen. Obwohl genau das der Wunsch von Liu Xiaobo und seiner Frau ist. Dass die Ärzte, zu denen auch der Heidelberger Spezialist Professor Markus Büchler gehört, in einer gemeinsamen Erklärung einen Transport grundsätzlich für unbedenklich hielten und eine Behandlung in Heidelberg oder den USA angeboten haben, davon ist in den chinesischen Clips nichts zu hören. Der Nachrichtenfluss ist so strikt überwacht, dass selbst das Pekinger Außenministerium die Mitschriften seiner Pressekonferenz frisiert. Mehrfach fragten ausländische Journalisten am Montag, ob der Patient nach dem „Okay“ der ausländischen Experten ausreisen dürfe. Beinahe roboterhaft wiederholte ein Sprecher, dass sich andere Länder nicht in die inneren Angelegenheiten Chinas einmischen mögen. Sämtliche Fragen und Antworten zum Fall Liu Xiaobo waren im später veröffentlichten Protokoll nicht mehr zu finden.

    Hinter den Kulissen hat der Besuch der Krebsspezialisten diplomatische Verstimmungen zwischen Deutschland und China ausgelöst. So verurteilte die deutsche Botschaft in Peking in einer ungewöhnlich scharfen Mitteilung, dass beim Besuch der Ärzte ohne Zustimmung Video- und Tonaufnahmen gemacht wurden, die später im Internet auftauchten. Jörn Petring, dpa

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