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Bundestagswahl 2017: Wie geht es uns Deutschen wirklich?

Bundestagswahl 2017

Wie geht es uns Deutschen wirklich?

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    München: Dieter Schweiger, den alle nur „Obststandl-Didi“ nennen, ist eigentlich stolz auf die Kanzlerin. Doch ihre Flüchtlingspolitik sieht er kritisch.
    München: Dieter Schweiger, den alle nur „Obststandl-Didi“ nennen, ist eigentlich stolz auf die Kanzlerin. Doch ihre Flüchtlingspolitik sieht er kritisch. Foto: Michael Stifter

    Dieter Schweiger macht die Augen zu. Ein paar Sekunden Ruhe. Ist eh nicht viel los heute. Es regnet, und da sind die Leute dann nicht so, dass sie gerne stehen bleiben. Auf einen kurzen Plausch oder um ein paar Himbeeren zu kaufen. Sie schalten unter ihrem Schirm auf Autopilot. Schnell weiter über die Ampel, runter in die U-Bahn oder rüber an die Uni. Den weiß-blau gestreiften Stand von Dieter Schweiger, den sie hier alle nur Obststandl-Didi nennen, nehmen sie kaum wahr.

    Dem 58-Jährigen macht das nichts aus. „Ich kann mich nicht beklagen“, sagt der Mann mit dem grauen Seitenscheitel und der Filzjacke. Er ist das, was man als Münchner Original bezeichnet. Nun kann man sich natürlich fragen, was das eigentlich heißen soll. Und was die anderen dann sind? Fälschungen? Jedenfalls verspricht das Wort Original, dass es von einer Sorte nicht mehr besonders viele gibt. Und das trifft auf den Didi in jedem Fall zu.

    Seit 1984 betreibt er nun schon diesen Stand in der Maxvorstadt, auf dem Fußweg direkt am U-Bahn-Eingang. Und wenn man sich mit ihm unterhält, dann ahnt man auch, wie er das geschafft hat. Der Didi kann einfach mit den Leuten. Sofort ist man beim Du. Schnell gibt er einem das Gefühl, als würde man sich schon Jahre kennen, oder zumindest ein paar Tage. Dem desorientierten Touristen erklärt er in einer Art Bavarian-English den Weg.

    Einem jungen Mann mit Fahrrad nimmt er die Bestellung quasi aus dem Mund: zwei Bananen. Wie immer halt. Manche kommen auch einfach nur zum Ratschen vorbei. Am liebsten über Fußball. Denn der Obstverkäufer ist, wie es sich für ein Münchner Original gehört, Anhänger des TSV 1860. Aber auch in der Politik kennt er sich aus.

    Den „Seehofer Horst“ mag er. Und dass der CSU-Chef öfter mal seine Meinung ändert, ist dem Didi immer noch lieber als Politiker, die stur bei ihrem Plan bleiben und nicht zugeben können, dass sie sich mal geirrt haben. „Also Seehofer: guter Mann. Besser als der Stoiber“, sagt er und macht eine kurze Pause. „Aber der Franz Josef Strauß – unerreicht, auch wenn er natürlich ein Bazi war!“ Überhaupt fehlen ihm heute „gscheite“ Politiker, Charakterköpfe, an denen man sich reiben kann.

    Der Helmut Schmidt sei so einer gewesen. Obwohl er von der falschen Fakultät war. Weil als anständiger Bayer, sagt der Didi, wählt man natürlich die CSU. Und Angela Merkel? „Ja mei“, sagt er und schnauft. Eigentlich sei er ja schon ein bisschen stolz auf die Kanzlerin, wie sie das so schafft im Ausland, mit den ganzen mächtigen Männern auf Augenhöhe. Aber das mit den Flüchtlingen, das hätte sie nicht so unkontrolliert machen dürfen. Natürlich müsse man den Leuten helfen, freilich. Aber übertreiben dürfe man es eben auch nicht mit der Hilfsbereitschaft. Vor allem nicht, wenn das Geld dann für die eigenen Bürger fehlt.

    Handy-Empfang gibt es auf einem Hügel außerhalb des Ortes

    Mit den Merkel-muss-weg-Leuten von der AfD will er trotzdem nichts zu tun haben. Weil: „Das sind doch bloß Miesmacher und ich bin ein positiver Mensch, in Deutschland geht’s uns doch saugut.“ Und außerdem: „Die CSU ist für meinen Bedarf schon rechts genug.“ Was er von der nächsten Regierung erwartet? Vor allem, dass sie das Bargeld nicht abschafft. Das sei ein „kompletter Schmarrn“ und für ihn als Standbetreiber „eh ein Wahnsinn“.

    Irene Kipfmüller muss lachen. „Schnelles Internet? Da sind sie bei uns ganz falsch“, sagt sie und winkt ab. Die 49-Jährige lebt in einem Örtchen, das man nicht anders als idyllisch nennen kann. Nur ein paar Häuser, viel Grün, viele Tiere. Umgeben von Wald und Hügeln liegt ihr Bauernhof in Unterappenberg am Rande des Nördlinger Rieses. Erst vor kurzem hat die Familie den Betrieb mit 150 Milchkühen modernisiert. Neuer Stall, zwei neue Melk-Roboter, nur die Kommunikation ist immer noch aus einem anderen Jahrhundert. „Wenn mein Mann ins Internet will, schaltet er vor dem Mittagessen den Computer an und nach dem Essen schaut er, ob schon eine Verbindung da ist“, erzählt Kipfmüller. Klingt kurios, ist aber für einen landwirtschaftlichen Betrieb ein echtes Problem. Der ganze Papierkram mit den Ämtern oder mit Brüssel läuft heute online. Aber Unterappenberg ist offline. Manchmal geht gar nichts. Als eine Nachbarin ein Häuschen vermieten wollte, sagten ihr gleich reihenweise Bewerber ab. Kein Handynetz, kein schnelles Internet? Nein, dann lassen wir das lieber.

    Neulich streikte einer der neuen Melk-Roboter der Kipfmüllers. Ein Garantiefall. Eigentlich kein Problem. Man muss nur schnell ein Formular des Herstellers im Internet herunterladen und ausfüllen. Ging nicht. Nicht schnell. Und nicht einmal langsam. Datenmenge zu groß. Verbindung abgebrochen. Und als Sohn Markus Bewerbungen per Mail verschicken wollte, musste er zur Tante fahren. Telefonieren per Handy geht manchmal in der Küche, manchmal an einer Kreuzung im Dorf, manchmal auch hinter dem Stall. Man braucht halt ein bisschen Glück. Und wenn die Kinder Nachrichten über ihr Smartphone verschicken oder empfangen wollen, müssen sie dafür auf einen Hügel außerhalb des Ortes fahren.

    Dieses Bayern will ein Hightech-Land sein? Dieses Bayern feiert sich, dass auch der kleinste Ort digital erschlossen wird? Ein bisschen im Stich gelassen fühlen sich die Kipfmüllers schon manchmal. Aber sie tragen es mit Fassung. Neulich war ja immerhin der bayerische Finanzminister da. Er hatte einen symbolischen Scheck dabei. Noch in diesem Jahr soll Unterappenberg internetmäßig in die Moderne katapultiert werden. Oder spätestens im nächsten. Heißt es. Die Kipfmüllers warten. Das sind sie ja gewohnt.

    "Die Autoindustrie hat uns jahrelang belogen"

    Engin Keçeli sitzt in seinem Taxi und schüttelt den Kopf. Dass es Deutschland so gut gehen soll wie nie, kann er nicht glauben. Die Ampel schaltet auf Grün. „Bei uns kommt dieser Wirtschaftsboom, von dem jetzt im Wahlkampf alle reden, jedenfalls nicht an“, sagt er und lenkt das Auto durch eine Baustelle. „Wir kriegen den Mindestlohn von 8,84 Euro in der Stunde und müssen schauen, wie wir über die Runden kommen – dass das für eine Familie mit zwei Kindern eng wird, können Sie sich vorstellen“, sagt er in perfektem Deutsch. Keçeli kam schon im Alter von drei Jahren aus der Türkei nach Ulm. Er ist hier zur Schule gegangen, hat eine Ausbildung gemacht, sich gut integriert. Seine Kinder sind in Deutschland geboren, die Familie fühlt sich hier zu Hause.

    Trotzdem ist der Taxifahrer mit den Gedanken in letzter Zeit oft in seiner Heimat. Dass sich das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland so dramatisch verschlechtert hat, macht ihm Sorgen. „Mein Sohn wird in der Schule von den Lehrern auf Erdogan angesprochen – er muss sich für Dinge rechtfertigen, mit denen er überhaupt nichts zu tun hat“, erzählt er. Dass die Stimmung so eskaliert ist, könne man nicht nur dem türkischen Präsidenten anlasten. „Die Reaktionen aus der Türkei fallen sicher heftig aus, aber die Deutschen haben schon auch ihren Anteil“, findet der 45-Jährige. Er atmet tief durch und parkt seinen Mercedes Diesel vor dem Ulmer Münster. Ach ja, das mit dem Diesel, sagt er noch beim Aussteigen, das sei übrigens eine Unverschämtheit. „Die Autoindustrie hat uns jahrelang betrogen.“ Keçeli versteht vor allem nicht, warum die Kunden in den USA mit Milliarden entschädigt werden, die deutschen Autokäufer aber praktisch leer ausgehen. „Und das soll gerecht sein?“

    Die Sonne gibt noch einmal alles. Kuhglocken läuten den Herbst ein, aber noch liegt eine letzte Ahnung von Sommer in der Luft. Auf der Terrasse eines Berggasthofes bei Ofterschwang, in dem es einen grandiosen Pflaumenstreuselkuchen gibt, sitzen Jenny Brandner und Andreas Schratt und erzählen Freunden von ihrem neuen Leben. Ihrem Leben mit Kind. Sechs Wochen ist es her, dass aus dem Paar eine kleine Familie wurde. Töchterchen Magdalena scheint diesen Platz an der Sonne in den Oberallgäuer Bergen auch zu mögen. Sie schlummert friedlich auf Papas Arm. Es gibt keine Partei, die in diesem Wahlkampf nicht offensiv um die Familien wirbt. Das ist den beiden auch schon aufgefallen, jetzt, da sie selbst Eltern sind. Was ihnen besonders wichtig ist? Zum Beispiel die Sache mit der Betreuung.

    Kind vor Geburt bei der Kita angemeldet

    Kinderkrankenschwester Jenny will zwar erst mal zwei Jahre Pause von ihrem Beruf machen. Aber man weiß ja nie, was kommt, vielleicht steigt sie auch schrittweise schon früher wieder ein. Deshalb haben sich die beiden sicherheitshalber schon mal um das Thema Kita gekümmert. Das war gar nicht so einfach. Um einen Platz in der Nähe zu bekommen, mussten sie Magdalena anmelden, bevor sie überhaupt geboren war. So geht es vielen Familien. In den Kindergärten rund um Ofterschwang ist es nicht besser, dort müssen sich die Erzieherinnen um immer mehr Buben und Mädchen gleichzeitig kümmern.

    Jenny Brandner und Andreas Schratt wollen das Beste für Töchterchen Magdalena. Tut der Staat genug für Familien? Auch sie haben Erwartungen an die Politik.
    Jenny Brandner und Andreas Schratt wollen das Beste für Töchterchen Magdalena. Tut der Staat genug für Familien? Auch sie haben Erwartungen an die Politik. Foto: Michael Stifter

    Auch die Suche nach einem Kinderarzt kann in ländlichen Regionen durchaus zum Problem werden. „Alle Kinderärzte hier haben momentan einen Aufnahmestopp“, erzählt die 30-Jährige. Gerade beim ersten Kind, wenn die Eltern in vielem noch unsicher sind, ist ein Arzt, dem sie vertrauen, Gold wert. Schließlich geht es schon in den ersten Wochen um so wichtige Fragen wie die nach den Impfungen. Noch so ein Thema in diesem Wahlkampf: die Impf-Pflicht. Jenny hat eine klare Meinung dazu: „Ich finde, Babys sollten gegen bestimmte ansteckende Krankheiten geimpft werden müssen.“

    Nach einem Monat gemeinsamer Elternzeit geht Familienvater Andreas inzwischen wieder arbeiten. Doch der 29-jährige Steuerberater kann sich seine Zeit zum Glück so flexibel einteilen, dass er immer für Magdalena da sein kann, wenn sie ihn braucht. Sein Chef hat Verständnis dafür, dass es Momente gibt, in denen das Kind vorgeht. So funktioniert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die alle Parteien versprechen, also in der Praxis.

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