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Sommerserie - Tag 1: Einmal im Hochfeld, immer im Hochfeld

Sommerserie - Tag 1

Einmal im Hochfeld, immer im Hochfeld

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    Unser erster Tag an unserem mobilen Schreibtisch im Hochfeld.
    Unser erster Tag an unserem mobilen Schreibtisch im Hochfeld. Foto: Michael Schreiner

    „Drei Milchläden gab’s damals noch im Hochfeld“ … „Ja, wo man gepumpt hat“ … „Da vorne waren die Bäcker“... „Jetzt haben wir gar nix mehr hier“ … „Die werben mit Stadtmitte, wenn sie hier Wohnungen verkaufen“ … „Wir haben als Kinder hier die Bauern geärgert, war ja alles grün und frei.“ … „Also, ich wohne gerne hier“ … „Die Türken bleiben doch lieber unter sich.“ … „Das Kino? Gibt’s schon ewig nicht mehr.“ Aus solchen Gesprächsfetzen, aus Erzählungen, die quer über den mobilen Schreibtisch in alle Himmelsrichtungen ausgetauscht werden, formt sich an diesem Dienstagnachmittag ein erstes Bild vom Hochfeld. Jenem Stadtteil, der in nur einem Jahrhundert, angetrieben von der Eisenbahn, aus Grünland und Schafweiden erwachsen ist und heute knapp 10 000 Einwohner zählt.

    „9680 sind es genau“, sagt Wilfried Matzke. Der Leiter des Geodatenamtes der Stadt ist einer von vielen, die zur Premiere mit am Tisch sitzen vor der Kerschensteiner Schule, wo wir diesen Sommer unsere Redaktions-Außenstelle einrichten. Jeden Dienstag, bis 6. September. „Das Hochfeld hat leider keinen guten Ruf“, sagt Lydia Theiner. Sie kenne Leute, die sagten, sie würden lieber in Göggingen wohnen. Blödsinn, denn es sei doch wunderbar im Hochfeld. Mit Vorurteilen über das Hochfeld kennt sich Albert Kaps ganz gut aus. Er hatte selber Vorbehalte, als er vor 15 Jahren als Schulleiter an die Kerschensteiner Schule wechseln sollte. „Ich weiß noch, dass ich freitagmittags hier mal vorbei bin und die Schule sah: Der Putz fiel runter, es sah grausam aus. Da mochte ich nicht hin.“ Kaps sagte ab, ließ sich dann aber doch überreden, verliebte sich in den schönsten und größten Pausenhof der Stadt und lernte die Leute im Hochfeld schätzen. Heute sagt er: „Es war das Beste, was mir hatte passieren können.“

    Eine seiner ersten Erfahrungen im Hochfeld: Zusammenhalt, gemeinsames Anpacken, kein Herumgedruckse, keine Hochnäsigkeit, keine Falschheit, kein Dünkel. „Wir haben damals ein Gerüst aufgebaut. Eltern, Lehrer und Schüler haben gemeinsam die Fassade verputzt und angemalt. Auf dem Gerüst habe ich erfahren: Die Leute hier haben das Herz am rechten Fleck“, so der Schulleiter. Das hören die Hochfelder gerne. Auch die Ehemaligen, die längst weggezogen sind, aber an dem Stadtteil, in dem sie aufgewachsen sind, weiterhin hängen. Und auch an dieser 1954 eröffneten Schule. So wie Anneliese Neu.

    Verändert hat sich in fünfzig Jahren ziemlich viel

    Sie ist aus Friedberg West zu „Kultur aus der Hochfeldstraße“ gekommen und schwärmt von ihrer Kindheit. „Es war ein schönes Viertel, da unten war alles Wiese, da vorne der Rodelberg, der Siebentischwald nah – für uns war es toll.“ Und heute? „Ich bin immer noch gern da.“ Auch wenn sich so viel verändert habe. Das „Regina“ zum Beispiel: Seit über 50 Jahren schon gibt es das Hochfeld-Kino nicht mehr. „15 Pfennig kostete die Sonntagsvorstellung, 13 Uhr“, erinnert sich Anneliese Neu – und ihre Augen weiten sich, als säße sie noch einmal vor der Leinwand im Regina.

    „Jetzt, wo ich das alles höre und nachdenke, fällt mir auf: Ich bin ja auch ein Hochfelder, ein gebürtiger, auch wenn ich nie hier gewohnt habe.“ Der Fotograf Walter Käsmair, dessen Freiluftausstellung vor der Schule mit Fotos aus dem Hochfeld viel diskutiert wird, scheint über sich selbst verblüfft. „Geboren bin ich in der Frisch-Klinik, also müsste ich ...“, meint Käsmair. Wilfried Matzke kann anhand seiner Pläne amtlich bestätigen: eindeutig Hochfeld.

    Je länger wir an diesem Dienstagnachmittag zusammensitzen, umso verheißungsvoller klingt das: Hochfeld. Sieglinde Gindhart, die sich die Fotos von Walter Käsmair aus ihrem Stadtteil sehr genau anschaut und – was sonst – alles zuordnen und benennen kann, fällt den Redakteuren ins Wort, als diese mit der Frage anheben: „Wie lebt es sich hier, das Hochfeld hat ja kein so gutes Image ...“ „Hatte! Hatte!“, ruft Frau Gindhart, „hatte!“ Vergangenheitsform. „Es ist in den letzten Jahren so viel getan worden, so viele Mietshäuser sind toll saniert worden“, sagt sie und deutet in einer 360-Grad Armbewegung an, was sie damit meint. Tatsächlich hat sich die Wohnqualität im Hochfeld gewaltig verbessert. „Und sehr nah am Mittelpunkt der Stadt sind wir sowieso!“, sagt Gindhart, die seit 46 Jahren im Hochfeld lebt. Was nicht heißt, dass sie ihren Stadtteil verklärt. „Es fehlen Läden. Aber die müssen auch überleben – und wenn die Leute woanders einkaufen, ist das halt schwer.“ Und das Kulturangebot? „Auch da gilt: Wenn keiner hingeht, gibt’s auch nicht viel.“ Die Türken blieben eben auch lieber unter sich …

    Der Rodelberg hat auch einen Namen

    Was die Hochfelder wirklich vermissen, das ist ihr Römerhof – das Lokal, das vor Jahren geschlossen wurde und eine Institution im Viertel war, die auch Ausflügler von weiter her anzog. Heute werden die Räume als Schulkantine genutzt. Auch die Senioren vom Mehrgenerationen-Treffpunkt essen dort ein Mal die Woche. Immer freitags, erzählt Renate Ott, 84, deren Eltern 1926 hergezogen sind – „in den grünen Block“. Sie wohnt heute noch dort, das unter Denkmalschutz stehende Mietshaus ist inzwischen aber gelb. Sie richtet uns einen schönen Gruß von der Leiterin des Mehr-Generationen-Treffpunkts aus, der in der Hochfeldstraße beheimatet ist. Renate Ott geht dort ein und aus. Sowie Erna Neueder, 84, die jetzt auch vor der Schule Platz nimmt: „Du wolltschd doch hoim.“ Jetzt erfahren wir gleich von zwei Kronzeuginnen, dass der Rodelberg auch einen Namen hat, der dem Geodatenamt unbekannt ist: „d’ Katzabuckel“.

    Es gibt auch Stimmen, die in den Hochfeld-Hymnus nicht einstimmen. Elke zum Beispiel, die mit ihrem Mann vor 15 Jahren vom Bismarkviertel ins Hochfeld gezogen ist, weil sie mehr Platz für die Familie gebraucht haben. Mehr als ihren Vornamen möchte sie uns nicht preisgeben, weil sie immer wieder mit den Jugendlichen des Viertels Probleme hat. Etwa wenn sie ihnen vom Fenster aus zuruft, dass es keine gute Idee sei, die Sperrmüll-Matratzen anzuzünden. Fast schon erleichtert seien sie und ihr Mann gewesen, als die Freinacht im Hochfeld nicht zu größerem Vandalismus führte. Das böse Erwachen kam und kommt aber alljährlich an Halloween. Denn einige Jugendliche nützen die Nacht als Vorwand, Eier an Hauswände zu werfen. Und ihre Hauswand sei doppelt beliebt, weil sie immer wieder den Mund aufmache, sagt Elke.

    Der erste Tag im Hochfeld 

    Derweil stellt sich heraus, dass Anneliese Neu den Mann, der seit 30 Minuten neben ihr sitzt, langsam wiederkennt, nachdem der so beseelt von seiner Kindheit im Zeppelinhof erzählt. Andreas Berchtold, heute 55 Jahre alt. „Sie sind das! Ich seh’ Sie noch heute vor mir. Es war ein Rosenmontag, Sie hatten einen Cowboyhut auf, liefen über die Straße, dann hat das Auto Sie erwischt … Es war schrecklich!“ Berchtold war damals elf Jahre alt. 1984 ist er aus dem Hochfeld weggezogen – aber er hat es nie wirklich verlassen. Zu viele Erinnerungen. Und weil ihm bis heute so viel liegt an diesem Hochfeld, ist er hergeradelt, um die Zeitungsleute auf ihren dummen Fehler aufmerksam zu machen. In der Bildunterschrift, am Dienstag, letzte Seite: Wir haben den abgebildeten Zeppelinhof versehentlich zum Römerhof gemacht. Unverzeihlich, eigentlich. Doch so wie Berchtold sind auch die anderen Besucher, die uns diesen groben Fehler unter die Nase reiben, bereit zur Nachsicht – auf Bewährung allerdings. Wir haben jetzt noch fünf Dienstage Zeit.

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