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Interview: WM-Star Odonkor erzählt vom Spiel seines Lebens

Interview

WM-Star Odonkor erzählt vom Spiel seines Lebens

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    David Odonkor war bei der WM 2006 im eigenen Land mit dabei.
    David Odonkor war bei der WM 2006 im eigenen Land mit dabei. Foto: dpa/Archiv

    Frage: Fast auf den Tag genau vor zehn Jahre hat Deutschland bei der WM 2006 Polen in der Nachspielzeit besiegte. Ihr Flankenlauf, der dem Siegtreffer von Oliver Neuville vorausging, gehört zu den Schlüsselszenen des „Sommermärchens“. Ist das Spiel heute gegen Polen ein besonderes für Sie?

    Odonkor: Ja, schon. Das war damals ein überragendes Erlebnis. So etwas vergisst man nicht – auch weil es ein Moment war, der mir in meiner Karriere enorm weitergeholfen hat.

    Frage: Bis zur 63. Minute mussten Sie von der Bank aus verfolgen, wie sich Ihre Teamkollegen gegen defensiv eingestellte Polen vergebens um den Führungstreffer bemühten. Bei der Einwechslung soll Ihnen Jürgen Klinsmann ins Ohr geflüstert haben: „Genieß es!“

    Odonkor: Das weiß ich nicht mehr so genau. Ich meine, dass er zu mir gesagt hat, ich soll meine Schnelligkeit ausspielen – so wie ich das schon im Verein und dann im Training bei der Nationalmannschaft gemacht habe. Klose, Podolski – wir hatten ja gute Chancen, konnten die aber nicht verwerten. Dann hat der Trainer drei Mann zum Warmmachen geschickt. Und als ich gerufen wurde, bin ich auf den Platz gegangen – ohne Angst. Ich hab’ einfach mein Spiel gemacht.

    Frage: Flanke Odonkor, Tor Neuville –viele sehen darin den Start des „Sommermärchens“. Sie auch?

    Odonkor: Natürlich hat dieses späte Tor der Mannschaft einen großen Schub gegeben. Und wir haben auch mitbekommen, was anschließend auf den Straßen alles los war, was das ausgelöst hat. Das Tor war für alle eine große Erleichterung – auch für uns Spieler. Wir wollten unbedingt Gruppensieger werden und haben das in der 90. Minute geschafft. Das war einmalig. Ich glaube, dass 2006 etwas begonnen hat, das 2014 mit dem Weltmeistertitel seinen Höhepunkt gefunden hat. Wir haben damals guten, attraktiven Fußball gespielt, und das hat sich später fortgesetzt.

    Frage: Als Klinsmann bei der Nominierung des WM-Kaders Ihren Namen nannte, war das eine große Überraschung. Sie hatten bis dahin noch kein Spiel in der A-Nationalmannschaft bestritten.

    Odonkor: Für mich kam die Nominierung ja auch sehr überraschend. Ich habe dann später erfahren, dass mich Klinsi schon viel früher zur Nationalmannschaft hätte einladen wollen. Aber dann wäre der Hype noch größer geworden. Er wollte mich wohl davor schützen und hat mich deshalb erst zur WM in die Mannschaft geholt.

    Frage: Wie war das für Sie als junger Spieler, nach dem Polen-Spiel in den Mittelpunkt des Interesse gespült zu werden?

    Odonkor: Ich in den Mittelpunkt gespült worden? Im Mittelpunkt stand die Mannschaft, kein Einzelspieler. Das ist und bleibt das Erfolgsrezept: Im Mittelpunkt muss allein die Mannschaft stehen.

    Frage: Aber mit dem Flankenlauf gegen Polen haben Sie das Interesse ausländischer Klubs geweckt. Es folgte nach der WM der Wechsel vom BVB zu Betis Sevilla. Man hatte damals den Eindruck, Sie wollten Dortmund eigentlich nicht verlassen...

    Odonkor: Ich habe acht Jahre bei diesem Verein gespielt und wäre schon gerne dort geblieben. Aber der BVB hat für mich eine hohe Ablöse bekommen, die der Verein damals gebraucht hat.

    Frage: Ihr WM-Flügellauf nicht nur als Segen, sondern ein bisschen auch als Fluch?

    Odonkor: Nein, bestimmt nicht. Das Angebot von Betis war auch für mich gut. Es hatte für mich als jungen Spieler seinen Reiz, in der Primera División zu spielen. Insgesamt gesehen, war es eine positive Zeit in Sevilla. Ich konnte mich menschlich weiterentwickeln. Sportlich wegen der vielen Verletzungen leider nicht – aber ich kann mich trotzdem nicht beklagen. Zu 99,9 Prozent war der Wechsel zu Sevilla die richtige Entscheidung.

    Frage: Sie wurden während Ihrer Zeit in Sevilla fünfmal am Knie operiert – der letzte Eingriff hätte beinahe mit einer Katastrophe geendet.

    Odonkor: Es hatte sich eine Infektion gebildet. Schlimmstenfalls hätte das Bein amputiert werden müssen.

    Frage: Haben Ihnen im Krankenbett die Erinnerung an die WM, an das Spiele gegen Polen weitergeholfen?

    Odonkor: In einer solchen Situation denkt man nicht an Fußball. Da denkt man an gar nichts. Da geht es nur noch darum, wieder gesund zu werden, einfach nur wieder normal gehen zu können. Verträge, ein Wechsel zu einem anderen Verein – all das ist in diesem Augenblick kein Thema.

    Frage: Als Sie wieder gesund waren, kamen Sie zurück nach Deutschland, zum Zweitligisten Alemannia Aachen.

    Odonkor: Nach fünf Jahren in Spanien war das ein guter Schritt. Ich habe mich bei der Alemannia wohlgefühlt – (lacht) auch weil die Vereinsfarben Gelb und Schwarz sind. Leider haben wir aber den Klassenerhalt nicht geschafft.

    Frage: Deshalb ging es weiter in der Ukraine zum Erstligisten FC Hoverla-Zakarpattya Uschhorod. Die Ukraine, ebenfalls Gruppengegner der deutschen Mannschaft bei der EM 2016, galt schon damals, vor Ausbruch dem Bürgerkrieg, nicht gerade als Schlaraffenland.

    Odonkor: Man hat schon viel Armut gesehen. Das Leben ist dort wirklich nicht berauschend. Aber ich bin einer, der sich schnell auf neue Situationen einstellen kann. Und in fußballerischer Hinsicht lief es sehr ordentlich. Ich hatte eine gute Hinrunde gespielt. Aber dann kam eine erneute Verletzung gezwungen, meine Karriere zu beenden.

    Frage: Sie waren anschließend Trainer bei verschiedenen Amateur-Clubs und sind heute sportlicher Leiter des Fünftligisten Hammer SpVg. Haben Sie dort die Freude am Fußball neu entdeckt?

    Odonkor: Wieso neu entdeckt? Ich hatte die ganzen Jahre über Freude am Fußball. Ich wollte weiter im Bereich Fußball bleiben. Bei der Hammer Spielvereinigung bin ich zuständig für die 1. und 2. Mannschaft. Es geht darum, ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen, was in jedem Klub die Aufgabe des sportlichen Leiters ist – egal ob in der 1., 4. oder 5. Liga.

    Frage: Wie werden Sie das Spiel heute Abend gegen Polen erleben?

    Odonkor: Ich werde im Stadion in Saint Denis sein.

    Frage: Auch ein Zeichen der besonderen Bedeutung, die die Begegnung Deutschland gegen Polen für Sie hat?

    Odonkor: Ja.

    Frage: Wie wäre wohl Ihr Leben ohne diesen Flügellauf und die Flanke auf Neuville am 14. Juni 2006 verlaufen?

    Odonkor: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Das war Schicksal. Es ist so gekommen, wie es gekommen ist.

    Das Interview führte Roland Wiedemann

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