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Kommentar: Wird die WM in Katar tatsächlich "katarstrophal"?

Kommentar

Wird die WM in Katar tatsächlich "katarstrophal"?

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    Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar steht unter einem schlechten Licht. Doch dabei gibt es auch Gründe, warum sie gar nicht so schlecht werden wird.
    Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar steht unter einem schlechten Licht. Doch dabei gibt es auch Gründe, warum sie gar nicht so schlecht werden wird. Foto: Symbolbild/Stringer (dpa)

    Die Fußball-WM 2022 in Katar wird als Katarstrophe empfunden. Bild Online jedenfalls hat gestern 77 Gründe für diese These vorgestellt. Und Bild-Autor Alfred Draxler hat in der gestrigen Ausgabe des Blattes gleich mal den Boykott der WM gefordert.

    Wir wollen dagegen halten. Und präsentieren – weitgehend ironiefrei – vier Gründe, warum die WM in Katar gar nicht soooooo schlecht werden wird.

    1. Kosten Die Turniere in 2010 in Südafrika und 2014 in Brasilien haben Sinnfragen aufgeworfen. Hunderte von Millionen ausgeben damit in einem Stadion weit hinten im Dschungel drei Spiele ausgetragen werden können – was soll das? Wenn das Land doch viel dringender Schulen und Krankenhäuser benötigt. Im unvorstellbar reichen Katar stellt sich das Thema nicht. Hier muss sich kein Schulkind in ein überfülltes Klassenzimmer zwängen und hier wird kein Krankenbett auf dem Flur stehen. Katar kann sich die WM leisten.

    WM könnte Menschenrechte in Katar voranbringen

    2. Menschenrechte Katar kann es sich auch leisten, andere die schwere Arbeit machen zu lassen. Dass Katar seine Gastarbeiter schlecht behandelt und mies bezahlt, ist ein Problem, das nicht durch die WM verursacht wird. Schon bevor das Turnier nach Katar vergeben wurde, starben Arbeiter auf den vielen Baustellen im Land, von denen die meisten nichts mit der WM zu tun haben.

    Protestiert hat dagegen lange fast niemand. Die westliche Welt profitiert gerne von Geschäften mit den Scheichs – aber blickt lieber weg, wenn die ihr Personal menschenunwürdig behandeln.

    Erst die WM hat das Augenmerk auf dieses Problem gelenkt. Es sollte natürlich niemand erwarten, dass sich nun alles schnell bessert. Aber es ist zumindest ein Anfang gemacht. Jede Firma, jeder Verein (Schalke, Bayern), jeder Politiker der mit den Kataris verbandelt ist, muss sich jetzt Fragen gefallen lassen. Erinnerst Du die Scheichs daran, dass es so was wie Menschenrechte gibt? Das ist schon mal ein Fortschritt. Ein kleiner. Aber wenigstens ein Fortschritt.

    WM in Katar ist immer noch besser als in Russland

    3. Komfort Der WM-Gast wird 2022 in Katar viele Segnungen touristischen Fortschrittes genießen können. Die Stadien werden topmodern sein, die Hotels luxuriös, die Infrastruktur perfekt. Und vor allem: Um von Spielort zu Spielort zu gelangen, müssen nicht die riesigen Entfernungen überwunden werden wie zuletzt in Südafrika und Brasilien. Die WM im vergleichsweise winzigen Katar wird sich fan-, spieler- und umweltfreundlich in Bus und Bahn bewältigen lassen.

    4. 2018 wird schlimmer Strapaziöse Reisen werden nur eines der Probleme sein, die die nächste WM aufwirft. Russland 2018 wird von politischen Diskussionen überfrachtet werden. Dass Wladimir Putin in den nächsten drei Jahren den Friedensnobelpreis erhält, weil er Ukrainer und Separatisten versöhnt – unwahrscheinlich. Im besten Fall wird der Ukraine-Konflikt weiter vor sich hin köcheln, im schlimmsten Fall...

    Chronologie zur umstrittenen WM 2022 in Katar

    20. Oktober 2010: Die Exekutivmitglieder Reynald Temarii (Tahiti) und Amos Adamu (Nigeria) werden von der FIFA wegen Korruptionsverdachts vorläufig suspendiert. Sie sollen bereit gewesen sein, ihre Stimmen bei der Vergabe der WM 2018 und 2022 zu verkaufen.

    18. November 2010: Sechs Funktionäre werden von der FIFA mit Strafen belangt. Die Ethikkommission schließt Adamu für drei Jahre von allen Aktivitäten im Fußball aus, Temarii für ein Jahr. Beide dürfen bei den WM-Vergaben nicht abstimmen. Vier ebenfalls ins Visier geratene ehemalige Offizielle werden ebenfalls gesperrt. «Alle Zweifel sind ausgeräumt», sagt FIFA-Chef Joseph Blatter.

    29. November 2010: Neue Bestechungsvorwürfe gegen drei weitere Exekutivmitglieder: Ricardo Texeira (Brasilien), Nicolás Leoz (Paraguay) und Issa Hayatou (Kamerun). Die Verfehlungen des Trios sollen schon einige Jahre zurückliegen.

    2. Dezember 2010: Die FIFA vergibt die nächsten Weltmeisterschaften nach Russland (2018) und Katar (2022). Beide Länder sind erstmals Veranstalter einer Endrunde.

    6. Dezember 2010: Die Wahl Katars gerät immer mehr ins Zwielicht, wiederum tauchen Bestechungsvorwürfe auf. FIFA-Vizepräsident Julio Grondona soll laut einem Bericht als Chef des argentinischen Fußball-Verbandes AFA etwa 59 Millionen Euro aus Katar erhalten haben. Grondona verweigert einen Kommentar dazu.

    4. Februar 2011: Der Einspruch von Adamu und Temarii gegen die Sperren wird von der FIFA-Berufungskommission abgelehnt.

    10. Mai 2011: Der frühere englische Verbandschef David Triesman beschuldigt das FIFA-Quartett Teixeira, Leoz, Vize Jack Warner (Trinidad und Tobago) und Worawi Mukudi (Thailand) unlautere Forderungen vor den WM-Vergaben gestellt zu haben. Der Weltverband will den Vorwürfen nachgehen. Zugleich beschuldigte der britische Politiker Damian Collins die Exekutivmitglieder Issa Hayatou (64, Kamerun) und Jacques Anouma (Elfenbeinküste). Sie sollen je 1,5 Millionen Dollar dafür bekommen haben sollen, um bei der Vergabe der WM 2022 für Katar zu votierten.

    30. Mai 2011: Es wird bekannt, dass Generalsekretär Valcke in einer E-Mail an Jack Warner angedeutet haben soll, dass Katar die WM 2022 gekauft habe. Darin soll unter anderem zum FIFA-Präsidentschaftskandidaten Mohamed bin Hammam stehen: «Vielleicht hat bin Hammam geglaubt, dass man die FIFA kaufen könnte, so wie sie die WM gekauft haben.»

    1. Juni 2011: DFB-Chef Theo Zwanziger spricht sich für eine kritische Überprüfung der WM-Vergabe 2022 an Katar aus. Er sei «der Meinung, dass diese WM-Vergabe nochmals auf den Prüfstand gebracht werden sollte», sagt der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes.

    3. Juni 2011: Die FIFA engagiert den früheren FBI-Boss Louis Freeh. Der auf Industriespionage spezialisierte US-Amerikaner soll bei der Aufklärung helfen und «unter direkter Aufsicht» von Robert Torres (Guam) arbeiten, einem Mitglied der FIFA-Ethikkommission.

    20. Juni 2011: FIFA-Vize Jack Warner tritt von all seinen Ämtern im internationalen Fußball zurück. Die FIFA teilt dazu mit: «Als Folge dieses Rücktritts wurden alle von der Ethikkommission gegen Jack A. Warner eingeleiteten Verfahren geschlossen, und die Unschuldsvermutung bleibt bestehen.»

    21. Oktober 2011: Die FIFA setzt zur Aufarbeitung seiner Skandale auf die Hilfe externer Experten und gründet diverse Arbeitsgruppen. Auch die Ethikkommission wird in zwei Kammern unterteilt.

    17. Juli 2012: Der frühere US-Staatsanwalt Michael Garcia wird zum Vorsitzenden der FIFA-Ethikkommission ernannt.

    29. Januar 2013: Das französische Magazin «France Football» behauptet, UEFA-Präsident Michel Platini habe auf Drängen des damaligen französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy dem Wüstenstaat die Stimme gegeben. Als Gegenleistung sollen die Katarer Investitionen im französischen Fußball zugesichert haben. Platini weist die Vorwürfe zurück und droht mit juristischen Schritten.

    2. März 2013: Die FIFA zieht wegen der hohen Temperaturen im Sommer von über 40 Grad erstmals eine Verlegung der WM in den Winter in Betracht.

    27. März 2013: Der Internationale Gewerkschaftsbund ITUC spricht wegen der Arbeitsbedingungen im Wüstenstaat von einem «Sklavenhändler-Staat». Um die Infrastruktur zu bauen, würden wahrscheinlich mehr Arbeiter sterben als die 736 Fußballer, die bei der WM auf dem Rasen stehen.

    31. Mai 2013: Die FIFA entscheidet auf ihrem Kongress auf Mauritius, dass künftig der Kongress und nicht mehr das Exekutivkomitee die WM-Gastgeber bestimmen soll.

    17. September 2013: Australiens Fußballverband FFA warnt die FIFA vor einer Verlegung der WM in den Winter und droht mit Schadenersatzforderungen.

    18. September 2013: Blatter räumt in einem Interview der Wochenzeitung «Die Zeit» politische Einflüsse bei der WM-Vergabe ein. Europäische Regierungschefs hätten demnach ihren stimmberechtigten Mitgliedern aufgrund von wirtschaftlichen Interessen empfohlen, für Katar zu stimmen.

    26. September 2013: Laut der englischen Tageszeitung «Guardian» sind zwischen dem 4. Juni und dem 8. August 2013 insgesamt 44 nepalesische Gastarbeiter auf den WM-Baustellen wegen Herzversagens oder Arbeitsunfällen gestorben. In dem Bericht ist von Zwangsarbeit und menschenunwürdigen Zuständen die Rede.

    4. Oktober 2013: FIFA-Präsident Blatter stellt klar, dass die WM 2022 in Katar stattfindet. Zugleich setzt das FIFA-Exekutivkomitee eine Task Force ein, die ein Konsultierungsverfahren zum bestmöglichen Termin für die WM 2022 durchführen soll. Eine Entscheidung soll frühestens Ende 2014 fallen.

    27. Mai 2015: Die Schweizer Staatsanwaltschaft eröffnet im Zusammenhang mit den Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar ein Strafverfahren. Im Hauptquartier des Fußball-Weltverbandes FIFA in Zürich werden elektronische Daten und Dokumente sichergestellt. Es bestehe der Verdacht auf ungetreue Geschäftsbesorgung sowie Geldwäscherei. Die Ermittlungen würden nicht gegen konkrete Personen laufen, so die Behörde. Am selben Tag hatte die Schweizer Polizei auf Antrag der USA in Zürich mehrere FIFA-Funktionäre festgenommen. Einen Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen gibt es laut der Schweizer Behörden nicht.

    Deshalb gilt: Wenn sich die Menschen irgendwann einmal über die Katarstrophen-WM etwas müde geärgert haben, wird die Diskussion über Russland 2018 beginnen. Wer fordert als Erster den Boykott dieser WM? Draxler in der Bild?

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