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Arbeitsleben: Arbeitsseelsorger im Interview: Wenn sich kein Job finden lässt...

Arbeitsleben

Arbeitsseelsorger im Interview: Wenn sich kein Job finden lässt...

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    Viele Arbeitslose schotten sich von ihrer Umwelt ab.
    Viele Arbeitslose schotten sich von ihrer Umwelt ab. Foto: Julian Stratenschulte, dpa/lnw /Archiv

    Herr Gallen, Sie haben Ihr Büro in München und sind in Deutschland der einzige hauptamtliche Arbeitslosenseelsorger. Wer wendet sich an Sie?

    Es sind überwiegend Menschen über 50, Frauen ebenso wie Männer.

    Mit welchen Sorgen kommen die Menschen zu Ihnen?

    Das ist sehr unterschiedlich. Der unmittelbare Anlass ist nicht immer etwas Seelisches. Manchmal sind es auch einfach Fragen, an wen sie sich wenden können. Aber sehr oft kommen sie auch einfach mit ihrer Angst, mit ihrer Verzweiflung.

    Sind es vor allem Menschen, die schon länger erwerbslos sind?

    Meistens schon. Aber nicht immer. Erst kürzlich rief mich ein Mann an, Ende 40, der bei einer sozialen Einrichtung gearbeitet hat, immer alles für seinen Arbeitgeber getan hat und völlig überraschend entlassen wurde. Das ist dann ein Schock. Doch der überwiegende Teil der Arbeitslosen, der bei mir anruft und zu mir kommt, ist schon länger auf der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz.

    Wovor haben die arbeitslosen Menschen vor allem Angst?

    Gerade, wer länger als ein Jahr keinen Arbeitsplatz gefunden hat und in Hartz IV gerutscht ist, hat oft Probleme, wieder eine feste Anstellung zu finden, von der er vor allem auch leben kann. Aber die Menschen haben auch Angst vor den Jobcentern. Vor jedem Brief vom Jobcenter haben sie oft Angst. Und es gibt fürchterliche Briefe mit langen Rechtsbelehrungen, was alles passiert, wenn man das oder jenes nicht machen kann. Nicht wenige lassen die Briefe einfach liegen, weil sie sich nicht in der Verfassung fühlen, sie zu öffnen. Hartz IV ist ein Angstthema.

    Existenz abhängig vom Jobcenter

    Was genau bereitet Angst?

    Es ist das Ausgeliefertsein. Ihre ganze Existenz hängt vom Jobcenter ab. Die Menschen haben Angst vor Kürzungen des sogenannten Existenzminimums. Oder sie befürchten, dass am Anfang des Monats gar nichts überwiesen wird, weil etwa die Bewilligungszeiten lang sind. Obwohl wir ein Grundrecht auf ein Existenzminimum haben, wird in unserer Gesellschaft der Ruf lauter, dass Menschen, die Geld vom Staat erhalten, etwas arbeiten müssen. Das war früher nicht so stark.

    Wie können Sie helfen?

    Ich höre vor allem den Menschen zu. Ich habe sehr lange selbst mit dem Begriff Seelsorger gehadert. Denn manche Menschen schreckt er auch ab. Und ich bin ja auch nicht nur für die Seele zuständig. Mir ist der ganze Mensch wichtig. Ich nehme die finanziellen Probleme der Hartz-IV-Empfänger, die gerade in den letzten Tagen des Monats oft nicht mal mehr Geld für Lebensmittel haben und nur noch Haferflocken essen, ebenso ernst wie die psychische Not. Hartz IV ist entwürdigend. Daher ist es mir so wichtig, zu den Betroffenen zu sagen: „Komm, bleib aufrecht! Niemand kann dir deine Würde nehmen.“ Das klingt einfach. Aber das ist es für die Betroffenen nicht.

    Aber was raten Sie konkret?

    Ich frage zum Beispiel: „Was tut dir gut? Vielleicht ein Spaziergang? Vielleicht Schwimmen? Dann gönn dir das. Du musst für dich selbst etwas tun.“ Vor allem aber höre ich den Menschen zu, ich nehme mir Zeit für sie. Es tut gut, wenn jemand zuhört und nicht gleich mit Ratschlägen kommt.

    Arbeitslose sollen sich gegenseitig helfen

    Das heißt, viele Arbeitslose haben niemanden, mit dem sie sprechen können oder?

    Nun, München zum Beispiel ist eine Single-Stadt. Freunde sind oft auch überfordert. Und wer arbeitslos ist, schottet sich selbst schnell ab. Nicht wenige gehen gar nicht mehr aus der Wohnung. Die Scham spielt bei der Arbeitslosigkeit eine ganz große Rolle. Viele ziehen sich komplett zurück. Die erreiche ich leider oft auch nicht. Wer seine Arbeit verloren hat, kann sich am Anfang vielleicht schon noch den Sport oder den einen oder anderen Restaurantbesuch leisten – solange er nicht nur auf Hartz IV angewiesen ist. Aber worüber wollen sie nach dem Sport, nach dem Kino plaudern? Über ihre Arbeitslosigkeit? Oft haben die Menschen, die ihre Stelle verloren haben, doch das Gefühl, versagt zu haben. Wir leben in einer Arbeitsgesellschaft! Was zählt, ist Leistung. Da spricht niemand gerne von seiner Arbeitslosigkeit. So vereinsamen viele Arbeitslose schnell.

    Daher laden Sie alle zwei Wochen zu Ihren Treffen ein.

    Ja. Weil es meiner Meinung nach das Entscheidende ist, dass sich die Arbeitslosen gegenseitig helfen. Keiner weiß so gut, wie es sich anfühlt, wenn man schon lange einen Job sucht und keinen findet, wie einer, der in der gleichen Situation ist. Und daher frage ich auch immer: „Haben Sie jemanden, der Sie begleitet?“ Gerade auch zu den Ämtern ist eine Begleitung wichtig und hilft den Betroffenen. Die Erwerbslosen haben keine Lobby, sie müssten sich viel stärker solidarisieren.

    Sie arbeiten im Auftrag des Erzbistums München und Freising. Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrer Arbeit? Oder anders gefragt: Sind Sie vor allem für katholische Arbeitslose Ansprechpartner?

    Nein, ich bin für alle Menschen da. Ob sie gläubig sind oder an was sie glauben, das spielt für mich keine Rolle. Das ist nur für mich persönlich wichtig. Denn mein Glaube verleiht mir eine bestimmte Bodenständigkeit.

    Mike Gallen ist seit 18 Jahren Arbeitslosenseelsorger für das Erzbistum München und Freising. Der Theologe ist gebürtiger Neuseeländer, lebt aber seit über 30 Jahren in Deutschland. Er ist mit einer Psychologin verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Informationen zu seiner Arbeit finden sich im Internet unter www.arbeitslosenseelsorge.de; erreichbar ist er über E-Mail: mgallen@eomuc.de

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