Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Euro-Krise: Ausschreitungen und Polizeigewalt: Europas Süden in Aufruhr

Euro-Krise

Ausschreitungen und Polizeigewalt: Europas Süden in Aufruhr

    • |
    In Rom setzte die Polizei Tränengas ein und rückte mit gepanzerten Fahrzeugen vor, um randalierende Schüler und Studenten vom Tiber-Ufer zu vertreiben.
    In Rom setzte die Polizei Tränengas ein und rückte mit gepanzerten Fahrzeugen vor, um randalierende Schüler und Studenten vom Tiber-Ufer zu vertreiben. Foto: dpa, Matteo Minnella Insidefoto

    Schwere Krawalle haben die europaweiten Protesten gegen die Sparpolitik überschattet. In Spanien wurden bei gewaltsamen Zwischenfällen während eines Generalstreiks insgesamt mehr als 74 Menschen verletzt, darunter 18 Polizisten. Nach Angaben der Sicherheitsbehörden gab es 142 Festnahmen.

    Krawalle bei Protesten gegen Sparpolitik - Festnahmen und Verletzte

    In Madrid und Barcelona lieferten sich radikale Gruppen in der Nacht zum Donnerstag Straßenschlachten mit der Polizei. Randalierer setzten Müllcontainer und Polizeifahrzeuge in Brand. In beiden Städten wurden dabei 30 Menschen verletzt und 28 mutmaßliche Gewalttäter festgenommen. Auch in Lissabon artete eine Protestkundgebung von Tausenden von Menschen am Rande eines Generalstreiks in Gewalt aus. In Rom sprachen Reporter am Mittwoch von Guerilla-ähnlichen Szenen.

    Millionen Beschäftigte hatten am Mittwoch in mehreren Euro-Krisenländern die Arbeit niedergelegt. In Spanien und Portugal brachten 24-stündige Generalstreiks ganze Wirtschaftsbereiche zum Erliegen. Von den Aktionen waren auch der internationale Flug- und Bahnverkehr betroffen. Ein Verkehrschaos blieb jedoch weitgehend aus.

    Hunderttausende Spanier und Portugiesen demonstrieren friedlich

    Am Abend protestierten Hunderttausende Spanier und Portugiesen auf friedlich verlaufenen Massendemonstrationen gegen die Sparpolitik ihrer Regierungen. In Spanien bezifferte das Innenministerium die Zahl der Demonstranten auf 800 000. Die Gewerkschaften sprachen allein in Madrid und Barcelona von zwei Millionen. In beiden Städten kam es im Anschluss an die Kundgebungen zu Auseinandersetzungen zwischen radikalen Gruppen und der Polizei. Die Beamten gingen mit Tränengas, Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen Randalierer vor.

    In Lissabon wurden Polizisten in der Nähe des Parlaments mit Steinen, Flaschen, Böllern und Farbbeuteln beworfen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Lusa feuerten die Beamten Schüsse in die Luft ab, um Demonstranten auseinanderzutreiben. In Rom warfen Schüler und Studenten Steine, Flaschen und Sprengsätze auf die Polizei, die Sicherheitskräfte rückten mit gepanzerten Fahrzeugen vor.

    Generalstreik in Spanien

    Euro-Krise: Diese Finanzbegriffe sollten Sie kennen

    Staatsanleihen: Sie sind für Staaten die wichtigsten Instrumente, um ihre Finanzierung langfristig sicherzustellen. Der ausgebende Staat sichert in der Regel die Rückzahlung der Summe plus einen festen Zinssatz zu einem festgelegten Zeitpunkt zu. Die Laufzeiten liegen bei bis zu 30 Jahren.

    Auktion: Dies ist der bevorzugte Weg für Staaten, um ihre Schuldpapiere zu verkaufen. Einige Tage vor dem Verkauf werden Summe und Laufzeiten der Anleihen bekannt gemacht. An einem festgelegten Tag können dazu berechtigte Investoren ihre Gebote abgeben. Die Bieter mit den günstigsten Geboten erhalten den Zuschlag. In der Euro-Krise haben einige Staaten, darunter auch Deutschland, bei Auktionen auch schon nicht genug Käufer gefunden. Andere Staaten mussten höhere Zinsen als geplant bieten, um ihre Papiere loszuwerden.

    Primär- und Sekundärmarkt: Die Neuausgabe von Staatsanleihen wird als Primärmarkt bezeichnet. Danach werden sie wie gewöhnliche Wertpapiere weitergehandelt, am sogenannten Sekundärmarkt. Er funktioniert wie ein Gebrauchtwarenmarkt - bereits ausgegebene Staatsanleihen werden während ihrer Laufzeit weiterverkauft. Dabei können sie im Laufe der Zeit an Wert zunehmen oder verlieren. Ein Verkauf vor Ablauf der Laufzeit kann also Gewinn bringen - oder Verlust.

    Zins: Dies ist die Summe, die ein Schuldner - bei Staatsanleihen also der Staat - pro Jahr zusätzlich zahlen muss, damit er für eine bestimmte Zeit Geld geliehen bekommt. Bei den Staatspapieren haben die Zinsen für kriselnde Länder wie Italien in den vergangenen Wochen ständig neue Höchstwerte erreicht. Bei einer Neuausgabe zehnjähriger Staatsanleihen musste das Land zuletzt mehr als sieben Prozent Zinsen bieten - schon sechs Prozent Zinsen gelten als kritischer Wert, ab dem Länder wie Irland oder Griechenland um internationale Hilfe bitten mussten.

    Rating: Rating ist das englische Wort für Bewertung. Es wird für die Noten benutzt, die Prüfunternehmen - die Ratingagenturen - vergeben, um die Kreditwürdigkeit von Staaten zu beurteilen. Verschlechtern diese Unternehmen etwa wegen hoher Schulden die Note eines Landes, ist von einer Herabstufung die Rede. Das betroffene Land muss dann höhere Zinsen zahlen, um sich Geld zu leihen.

    Rendite: Damit wird im Prinzip der tatsächliche Gewinn bezeichnet, den ein Käufer von Schuldpapieren am Ende eines Jahres macht. Depotgebühren werden dabei eingerechnet genauso wie Kursgewinne oder -verluste. Die Rendite liegt derzeit in der Regel höher als der Zinssatz, der bei der Erstausgabe für die Staatsanleihen festgelegt wurde. Denn aufgrund der krisenhaften Entwicklung verlangen die Investoren am Sekundärmarkt Risikoaufschläge, wenn sie Staatspapiere kaufen. Unterm Strich zahlen sie damit für eine Anleihe also einfach weniger - und machen am Ende einen größeren Gewinn. An der aktuellen Rendite orientiert sich der künftige Zinssatz, der für neue Staatsschuldtitel bezahlt werden muss.

    Spread: Damit wird der Unterschied am Markt bei der Rendite von zwei Staatsanleihen angegeben. Dieser Wert, der in Basispunkten oder Prozentpunkten angegeben wird, ist umso höher, je größer das Risiko eines Zahlungsausfalls eines Landes ist. In der Euro-Krise sind die zehnjährigen Staatsanleihen Deutschlands ein Referenzwert, weil diese als besonders sicher gelten: Wenn also der «Spread» für Frankreich auf zwei Prozentpunkte steigt, dann bedeutet dies, dass das Land einen um diesen Wert höheren Zinssatz als Deutschland bei einer Neuausgabe von Schuldpapieren zahlen muss.

    In Spanien brachte der Generalstreik die Produktion in den Autowerken von Konzernen wie Volkswagen, Seat, Opel oder Nissan weitgehend zum Erliegen. Die Gewerkschaften bezifferten die Beteiligung am Generalstreik auf über 70 Prozent der Beschäftigten. Bei den Bahnen, U-Bahnen und Bussen war ein Mindestbetrieb vereinbart worden. In Portugal waren vor allem der Verkehrsbereich und der öffentliche Dienst betroffen. In Lissabon fuhr die U-Bahn nicht, im ganzen Land blieben Züge und Busse stehen. Auch die Post, Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen wurden bestreikt.

    In Griechenland legten Zehntausende Beschäftigte, hauptsächlich Staatsbedienstete, für drei Stunden die Arbeit nieder. Auch in Paris protestierten mehrere Tausend Menschen unter dem Motto "Für Beschäftigung und Solidarität - gegen Sparmaßnahmen". Rund 250 Demonstranten versammelten sich am Brandenburger Tor in Berlin. Der Europäische Gewerkschaftsbund hatte den Mittwoch zum "Solidaritätstag" erklärt.

    Hunderte Flüge abgesagt

    Durch die Streiks kam es zu erheblichen Behinderungen und Ausfällen im Bahn- und Flugverkehr. Dutzende Verbindungen von und nach Deutschland wurden gestrichen. In Spanien und Portugal sagten die Fluggesellschaften Hunderte Flüge ab. In Belgien legte ein 24-stündiger Streik der Bahnmitarbeiter den Zugverkehr weitgehend lahm. Die Deutsche Bahn setzte auf der ICE-Verbindung von Aachen nach Lüttich Ersatzbusse ein. Der Hochgeschwindigkeitszug Thalys zwischen Deutschland und Belgien verkehrte nicht.

    Schwere Ausschreitungen bei Protesten in Italien

    In Italien ist es am europaweiten Demonstrationstag gegen die Sparpolitik zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Randalieren und der Polizei gekommen. In Rom setzte die Polizei Tränengas ein und rückte mit gepanzerten Fahrzeugen vor, um randalierende Schüler und Studenten vom Tiber-Ufer zu vertreiben. Diese hatten zuvor Steine, Flaschen und Sprengkörper auf die Sicherheitskräfte geworfen. Reporter sprachen von Guerilla-ähnlichen Szenen. In Turin wurden fünf Polizisten bei Krawallen verletzt, einer von ihnen schwer; Demonstranten hatten seinen Schutzhelm mit Stöcken und Baseballschlägern zertrümmert. Auch an anderen Orten wurden Beamte verletzt, es gab mehrere Festnahmen.  dpa/AZ

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden