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Abgase: Der grüne Diesel-Fan

Abgase

Der grüne Diesel-Fan

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    Winfried Kretschmann ist ein sachlicher Typ. Der Grüne schaut sich die Dinge gerne an, ehe er eine Entscheidung trifft. So hält es der baden-württembergische Ministerpräsident auch mit dem Diesel-Motor, wie unser Bild zeigt.
    Winfried Kretschmann ist ein sachlicher Typ. Der Grüne schaut sich die Dinge gerne an, ehe er eine Entscheidung trifft. So hält es der baden-württembergische Ministerpräsident auch mit dem Diesel-Motor, wie unser Bild zeigt. Foto: Franziska Kraufmann, dpa

    Die Sätze sind vor langer Zeit gefallen, aber sie hängen ihm nach: Als Winfried Kretschmann vor sechs Jahren Regierungschef in Baden-Württemberg wurde, drohte der Grüne der Automobilbranche mit schärferen Klimaschutzbestimmungen, weil „ambitionierte Auflagen wie eine Innovationspeitsche wirken“. Das kam schlecht an im Autoland Baden-Württemberg.

    Inzwischen hat Kretschmann alles dafür getan, sein Verhältnis zu Daimler, Porsche und Co zu verbessern – ungeniert lässt er sich bei Terminen mit Auto-Managern ablichten. Und längst stimmt er versöhnlichere Töne an. Zuletzt sagte der Grüne sogar zum Zorn mancher Partei-Freunde: „Ich bin ein Freund des Diesels.“ Damit bezog der Regierungschef klar Position in der aktuellen Debatte um mögliche Fahrverbote in Stuttgart. Und zuletzt ließ Kretschmann verlauten, er hoffe auf wirksame Nachrüstungen von Diesel-Autos. Dann wären Fahrverbote wohl überflüssig. Die Autoindustrie bewege sich bei dem Thema, meint Kretschmann zu erkennen. Er erinnert aber auch immer wieder daran, dass Baden-Württemberg aufgrund der vorgegebenen EU-Grenzwerte und Gerichtsentscheidungen gezwungen sei, gegen dreckige Luft etwas zu tun. Kretschmann betont, Fahrverbote seien kein Selbstzweck. „Wir wollen ja keine Fahrverbote. Wir wollen saubere Luft.“ Wenn das Ziel auf andere Weise zu erreichen sei, werde die Regierung von Fahrverboten Abstand nehmen.

    Die grün-schwarze Landesregierung hatte beschlossen, dass Fahrverbote an Tagen mit hoher Luftverschmutzung ab 2018 in Stuttgart möglich sein sollen. Werden die von der Europäische Union vorgegebenen strengen Grenzwerte gerissen, drohen Strafzahlungen.

    Hinzu kommen eindeutige Befunde, dass die schlechte Luft in der Stadt den Menschen schadet: Nach Angaben des Umweltbundesamtes gingen von 2007 bis 2013 allein in Deutschland im Durchschnitt jährlich rund 46000 Todesfälle auf die Belastung mit Feinstaub zurück. Stickstoffdioxid wiederum reize die Atemwege, beeinträchtige die Lungenfunktion und führe zu chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

    Zuletzt erklärten aber sowohl Kretschmann als auch sein Vize Thomas Strobl (CDU), dass Verbote nur das letzte Mittel seien – wenn andere Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte nicht ausreichten.

    Tatsächlich wuchs nach der Ankündigung der Fahrverbote der Druck auf den grünen Ministerpräsidenten. Daimler-Chef Dieter Zetsche hielt ebenso wenig mit Kritik hinter dem Berg wie der sonst zurückhaltende Bosch-Aufsichtsrat Franz Fehrenbach. Bosch-Chef Volkmar Denner bezeichnete Fahrverbote jüngst als „Kurzschluss“, der schädlich für Arbeitsplätze und Handel wäre.

    Kretschmann höchstpersönlich besuchte Daimler-Entwicklungschef Ola Källenius, der als Nachfolger Zetsches gehandelt wird, kurz bevor er in einem Interview verkündete: „Denn es gibt diese sauberen Diesel tatsächlich, davon konnte ich mich kürzlich bei einem baden-württembergischen Autobauer überzeugen.“ Die Industriechefs wissen inzwischen, dass Kretschmann ein offenes Ohr für die Branche hat, von der in Baden-Württemberg hunderttausende Arbeitsplätze abhängen. Der Grüne macht das Thema gerne zur Chefsache – auch an den eigentlich zuständigen Ministerien für Wirtschaft oder Verkehr vorbei. Am 19. Mai lädt der Landesvater die Branchengrößen etwa zu sich ein, um Zukunftsthemen zu besprechen.

    Für Kretschmann ist das eine schwierige Gemengelage. Denn einerseits gibt sich der 68-Jährige als pragmatischer Wirtschaftsversteher: Er drückte etwa einen Test der umstrittenen Riesenlastwagen auf Autobahnen im Südwesten durch, obwohl sein grüner Verkehrsminister Winfried Hermann und Umweltverbände dagegen waren. Beim Bundesparteitag der Grünen im Herbst vergangenen Jahres sprach auf Druck der Südwest-Realos auch Daimler-Chef Zetsche – zum Leidwesen linker Grüner. Nach einem Beschluss der Bundesgrünen sollen ab 2030 nur noch abgasfreie Autos in Deutschland zugelassen werden. Kretschmann will sich auf dieses Datum nicht festlegen.

    Andererseits erwarten Verbände wie die Deutsche Umwelthilfe und BUND gerade von den Grünen konkrete Taten zur Luftreinhaltung. In einem gerichtlichen Vergleich hat das Land zugesichert, die Verschmutzung am besonders betroffenen Stuttgarter Neckartor deutlich zu reduzieren.

    Dass ausgerechnet das von dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn regierte Stuttgart, in dem auch noch von einem grünen Ministerpräsidenten regierten Bundesland, die hohe Luftverschmutzung nicht in den Griff bekommt, ist zudem peinlich. (dpa)

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