In der deutschen Sprache gibt es das schöne Wort „Eigengewächs“. Richard Lutz ist ein Manager, der aus den eigenen Reihen der Bahn stammt und durch Leistung im Konzern aufgestiegen ist. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern Rüdiger Grube, Hartmut Mehdorn, Johannes Ludewig und Heinz Dürr gilt er als Mann mit einem Gespür für Züge und Schienen – und das seit langem. Lutz stammt aus einer Eisenbahnerfamilie und wurde schon 1994 Teil der Bahn-Familie.
Ein solches Eigengewächs ist die richtige Wahl für den mit am schwierigsten zu regierenden deutschen Konzern. Lutz kennt die Schwachstellen der Bahn. Wer wie er so lange im Unternehmen arbeitet, bringt eine zentrale Eigenschaft zur Führung des Riesen mit, nämlich Leidensfähigkeit. Wann immer ein Zug zu spät kommt oder eine Toilette defekt ist, der Bahn-Chef ist daran mitschuldig.
Kaum auszudenken, der leicht reizbare Bahn-Manager Ronald Pofalla wäre Chef des Konzerns geworden. Wie würde der Ex-CDU-Politiker auf die Provokationen von Kritikern reagieren? Seinen querdenkenden Parteifreund Wolfgang Bosbach soll er jedenfalls mit „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“ angeschnauzt haben.
Dass Pofalla nicht Bahn-Boss wurde, hat er vor allem der politischen Konstellation vor der Bundestagswahl zu verdanken. Der Union fällt zwar das Vorschlagsrecht für den Posten des Bahn-Chefs zu. Die SPD verfügt aber über ein Veto, müsste also zustimmen. Doch die Sozialdemokraten haben kein Interesse an Mauscheleien mit CDU und CSU.
Denn ein Bahn-Chef Pofalla würde als Ausdruck eines egoistischen Politik-Establishments empfunden, das Mitglieder mit gut dotierten Versorgungs-Jobs belohnt. Daran haben weder Merkel noch ihr Herausforderer Martin Schulz Interesse. Es ist gut, dass Pofallas weiterer Aufstieg bei der Bahn gestoppt wurde. Wenn Lutz falsche Weichen stellt, wird sein Name aber rasch wieder genannt.