Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Milchgipfel: Milchbauern erhalten 100 Millionen "plus X"

Milchgipfel

Milchbauern erhalten 100 Millionen "plus X"

    • |
    Milchbauern demonstrieren in Bayern gegen die aktuelle Milchpreispolitik.
    Milchbauern demonstrieren in Bayern gegen die aktuelle Milchpreispolitik. Foto: Karl-Josef Hildenbrand (dpa), Archivbild

    Christian Schmidt hat Glück gehabt. Früher haben wütende Bauern mit ihren Traktoren schon mal das halbe Regierungsviertel lahmgelegt – heute liegen nur ein paar schmutzige Gummistiefel neben dem Eingang ins Agrarministerium, wo der Hausherr Schmidt gerade zum Milchgipfel gebeten hat: Ein stummer Protest gegen den anhaltenden Preisverfall und die Ohnmacht der Politik. Die versucht nun zwar, mit einem Notprogramm die drohende Pleite von tausenden von Milchbauern zu verhindern. Ob das allerdings schon ausreicht, wagt auch der Landwirtschaftsminister Schmidt nicht vorherzusagen. Möglicherweise, deutet der CSU-Mann aus Mittelfranken an, müsse der Milchgipfel mit Vertretern von Bauern, Industrie und Handel in ein paar Monaten noch nachsitzen.

    Sicher ist nach diesem Treffen nur eines: Als Ausgleich für den Preisverfall bei der Milch sollen die betroffenen Bauern eine Soforthilfe von 100 Millionen Euro „plus X“ bekommen. Wie hoch dieses „X“ am Ende ausfällt, will Schmidt allerdings erst nach weiteren Gesprächen mit dem Agrarkommissar der EU, dem Iren Phil Hogan, und den Agrarministern der Bundesländer in der kommenden Woche verraten. Spekulationen, der Gipfel könnte ein Paket deutlich größeren Umfangs schnüren, haben sich damit nicht bestätigt. Die Landwirtschaftsminister von Bayern, Helmut Brunner (CSU), und Schleswig-Holstein, Robert Habeck (Grüne), hatten zuvor noch Hilfen von einer Milliarde Euro gefordert.

    In den 100 Millionen enthalten sind unter anderem 20 Millionen Euro an Steuervorteilen für betroffene Bauern. Schmidt hat sich mit Finanzminister Wolfgang Schäuble bereits darauf verständigt, dass sie ihre Verluste aus dem Milchgeschäft rückwirkend mit anderen Gewinnen verrechnen können. Den Betrieben, denen das berühmte Wasser bereits bis zum Hals steht, soll der Fiskus beim Verkauf von Grundstücken überdies einen Freibetrag von 150 000 Euro einräumen, den sie nicht versteuern müssen – vorausgesetzt, die Einnahmen dienen zum Tilgen von Schulden und der Acker oder die Wiese wird noch drei Jahre landwirtschaftlich genutzt. Flankierend dazu ist auch ein Bürgschaftsprogramm der landwirtschaftlichen Rentenbank für Betriebe in Schwierigkeiten im Gespräch.

    Wann fließt das erste Geld?

    Außerdem überweist der Bund knapp 80 Millionen Euro an die landwirtschaftliche Unfallversicherung und nimmt damit etwas Druck von den Beiträgen – allerdings nicht nur für die der Milchbauern, sondern für die aller Landwirte. Wann das erste Geld aus dem Notprogramm fließen wird, lässt Schmidt noch offen. Bauernpräsident Joachim Rukwied mahnt daher zur Eile: „Ich erwarte, dass wir innerhalb der nächsten zwei Monate erste konkrete Ergebnisse haben. Viel länger Zeit haben unsere Milchbauern nicht.“ Bereits im vergangenen Jahr seien die Einkommen der Bauernfamilien um 35 Prozent gesunken, für das laufende Jahr drohten nun Einbußen in ähnlicher Höhe.

    Wegen des Überangebotes erhalten viele Landwirte nur noch 20 bis 25 Cent je Kilo, in Bayern sind es im Schnitt knapp 28. Um ihre Kosten zu decken, bräuchten sie nach verschiedenen Berechnungen aber mindestens 35 Cent. Auch deshalb hat sich die Zahl der Milchbetriebe in den vergangenen 15 Jahren nahezu halbiert – auf gut 70 000. Mehr als 30 000 von ihnen stehen in Bayern. Als Ursachen für den Preisverfall nennt Bauernpräsident Rukwied vor allem das Russland-Embargo und die schwindende Nachfrage in China und den arabischen Ländern.

    Auf größere Unterstützung des Handels dürfen die Bauern offenbar nicht hoffen. Zwar haben sich die Lebensmittelkonzerne bereit erklärt, mit den Landwirten und den Molkereien eine Art Branchendialog zu führen, um einen Weg aus der Milchkrise zu finden – verbindliche Zusagen allerdings gibt es beim Milchgipfel keine. Der Handel orientiere sich an den Grundregeln der Marktwirtschaft, hatte Verbandspräsident Josef Sanktjohanser bereits vor dem Treffen betont. Forderungen wie die nach einem Hilfsfonds, in den die Unternehmen einzahlen sollten, seien schon kartellrechtlich unzulässig. Beim Gipfel selbst bietet der Handel lediglich an, über eine Ausweitung des Angebots an Premium-, Bio- und Regionalmarken zu reden. Für solche Produkte zahlen die Molkereien teilweise deutlich höhere Literpreise.

    Um ein Überangebot wie im Moment künftig gar nicht mehr entstehen zu lassen, schwebt Schmidt eine flexiblere Vertragsgestaltung zwischen den Molkereien und ihren Lieferanten vor. Danach sollen die Bauern „auf Anfrage“ ihre Liefermengen reduzieren, um den Auszahlungspreis nicht unter ein bestimmtes Niveau sacken zu lassen. Dies rechtlich umzusetzen, so der Minister, gehe aber „nicht von heute auf morgen“. Einen „Milch-Soli“ von zwei Cent je Liter oder gar einen fixen Mindestpreis lehnt Schmidt ab: „Es ist nicht Aufgabe des Staates, Preise oder Produktionsmengen festzusetzen. Und wir wollen auch keine Landwirtschaft, die am Tropf von Hilfszahlungen hängt.“

    Kommentar: Politik bekämpft nicht die wirklichen Ursachen der Milchkrise 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden