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Insolvenz: Mitarbeiter in Angst: Muss Weltbild nochmals schrumpfen?

Insolvenz

Mitarbeiter in Angst: Muss Weltbild nochmals schrumpfen?

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    Die Erleichterung unter vielen Weltbild-Beschäftigten hielt nicht lange an. Mit der Münchner Finanzgesellschaft Paragon hat Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz für die insolvente Augsburger Verlagsgruppe zwar einen Investor gefunden. In den nächsten Tagen könnte es aber nochmals zum Stellenabbau kommen. Im Unternehmen kursieren Berichte und Gerüchte. Niemand im Haus wisse, wen es „erwischen“ könnte, sagt ein Beobachter. Alle bangen.

    Die Zahlen, die genannt werden, fallen immer höher aus. Zuletzt hieß es aus dem Umfeld der Mitarbeiter, dass nochmals 200 bis 250 Beschäftigte entlassen werden könnten. Als Indiz gilt, dass das neue Bürogebäude (früher genutzt von der Deutschen Papier) deutlich kleiner ist als die bisherige Zentrale. Der Sprecher von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz, Patrick Hacker, kommentiert die Spekulationen nicht. „Insolvenzverwalter und das Unternehmen Paragon arbeiten zügig und konstruktiv zusammen“, sagt er lediglich.

    Aus gut informierten Unternehmenskreisen wird aber bestätigt, dass derzeit nochmals Gespräche über Mitarbeiterzahlen mit der Gewerkschaft Verdi und dem Betriebsrat stattfinden. Insolvenzverwalter Geiwitz will das Unternehmen anscheinend so übertragen, dass es handlungsfähig ist. Eine mit den Vorgängen vertraute Person berichtet, dass es in vergleichbaren Fällen üblich ist, in einem ersten Schritt mehr Kündigungen als unbedingt nötig auszusprechen, in einem zweiten Schritt aber Gekündigte wieder einzustellen. Ein Investor schaffe sich so Spielräume.

    Der Niedergang von Weltbild

    Mit Pornoliteratur fing vor knapp zweieinhalb Jahren der Niedergang des Weltbild-Verlages an.

    Dass ausgerechnet ein von der katholischen Kirche getragenes Medienunternehmen Geld mit Erotikangeboten oder Esoterikbüchern macht, sorgte für Schlagzeilen und stürzte die Augsburger Verlagsgruppe in die Krise.

    Seitdem hat sich Weltbild nicht mehr erholt. Der Insolvenzantrag ist der vorläufige traurige Höhepunkt der Entwicklung bei dem Konzern mit mehr als 6000 Beschäftigten und etwa eineinhalb Milliarden Euro Umsatz.

    Als im Oktober 2011 das Erotikangebot bei Weltbild bekannt wurde, trat zunächst der von der Kirche entsandte Aufsichtsratsvorsitzende zurück. Dann preschte der Kölner Kardinal Joachim Meisner vor und verlangte eine Trennung von Weltbild.

    Seitdem wurde breit darüber diskutiert, wie sich die Diözesen von Weltbild trennen können. Eine Stiftung war im Gespräch, eine Lösung gab es nicht. Die Beschäftigten appellierten dabei immer wieder an die soziale Verantwortung der Bischöfe.

    Doch nicht nur der Wirbel um Buchtitel wie "Zur Sünde verführt" oder "Das neue Kamasutra" setzte dem Unternehmen zu. Im Wettbewerb mit Online-Gigant Amazon hatten es die Augsburger zunehmend schwer mit ihrem eher klassischen Katalog-Versandhandel.

    Seinen stationären Buchhandel hatte Weltbild im Jahr 2007 mit der Familie Hugendubel zusammengelegt. Das damals gegründete Gemeinschaftsunternehmen betreibt seitdem die Filialen unter etlichen Markennamen wie "Hugendubel", "Weltbild plus", "Jokers" sowie die Karstadt-Buchabteilungen.

    Dass die angeschlagene Verlagsgruppe zuletzt ihre zweiköpfige Geschäftsführung extra um den Sanierungsexperten Josef Schultheis erweiterte, konnte Weltbild nicht mehr retten. Er sollte den Umbau des Hauses in Richtung digitalem Handel beschleunigen.

    Möglicherweise kam dieser Schritt zu spät: Obwohl Weltbild im Weihnachtsgeschäft sogar etwas über dem Plan lag, musste das Unternehmen im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres (30. Juni) Einbußen bei Umsatz und Ergebnis verbuchen.

    "Das auch für die nächsten drei Jahre erwartete geringere Umsatzniveau verdoppelt den Finanzierungsbedarf bis zur Sanierung", begründete das Unternehmen den Insolvenzantrag.

    Die Gewerkschaft Verdi warf der Kirche umgehend vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

    Erst im Oktober wurde bekannt, dass Weltbild in Augsburg ihren Kundendienst auslagern will - 140 Mitarbeiter sind davon betroffen. Doch weitere konkrete Zahlen und detaillierte Planungen zur Sanierung waren seit jeher von Weltbild kaum zu erfahren. Denn was Transparenz anging, operierte das Unternehmen ähnlich verschwiegen wie der große Konkurrent Amazon.

    In jedem Fall sei die derzeitige Phase „äußerst sensibel“, heißt es weiter. Noch hat Paragon keinen Kaufvertrag unterschrieben. Damit wird nun im Juni gerechnet. Derzeit gibt es nur einen Vorvertrag. Ist die Unterschrift unter dem Kaufvertrag einmal trocken, können die Weltbild-Beschäftigten aber anscheinend aufatmen. Dann nämlich dürfen für zwölf Monate keine Kündigungen mehr ausgesprochen werden. Dies sei Vertragsbestandteil.

    Viele Beschäftigte befürchten außerdem, dass sie in der neuen Gesellschaft für weniger Geld oder zu schlechteren Konditionen arbeiten könnten. Den Plänen zufolge soll Weltbild nach dem Paragon-Kauf an eine neue Gesellschaft überführt werden, an der Paragon 51 Prozent und Insolvenzverwalter Geiwitz als Vertreter der Gläubiger 49 Prozent hält. „Neuer Arbeitgeber – neue Verträge“, lautet die Befürchtung der Mitarbeiter.

    Abstriche beim mittleren und höheren Management

    Hier muss offenbar differenziert werden: Für die meisten Beschäftigten dürfte alles beim Alten bleiben, heißt es. Die Verträge würden 1:1 in die neue Gesellschaft übernommen. Anders sieht es für das mittlere und höhere Management aus. Hier sei „mit Einschnitten“ zu rechnen. Aktuell arbeiten bei Weltbild in Augsburg rund 1200 Mitarbeiter. Dazu kommen nochmals rund 1200 Beschäftigte in den Filialen.

    Einem Gutachten der Unternehmensberatung KPMG zufolge, das unserer Zeitung vorliegt, sind die Umsätze des Weltbild-Konzerns schrittweise von 862,7 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2010/11 auf 680,5 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2012/13 gesunken. Die Personalkosten stiegen dagegen um im Schnitt 3,4 Prozent pro Jahr. Der Jahresfehlbetrag betrug 2012/13 rund 94,9 Millionen Euro.

    Auch an der Weltbild-Spitze (bisher um Carel Halff) soll es Änderungen geben. Paragon sei auf der Suche nach einem neuen Management, von dem erwartet wird, dass es sich mit eigenem Kapital am Unternehmen beteiligt und damit ein Stück weit ein Risiko trägt, heißt es. Nach Informationen unserer Zeitung ist mit Entscheidungen erst im Juli oder August zu rechnen.

    Kommt es zum Verkauf ganzer Unternehmensteile?

    Das Unternehmen Weltbild

    Zahlen und Fakten zur Augsburger Weltbild-Gruppe:

    Weltbild beschäftigte einst insgesamt rund 6800 Mitarbeiter, davon 2200 am Standort Augsburg.

    Weltbild gehörte den zwölf katholischen Bistümern, dem Verband der Diözesen Deutschlands und der Soldatenseelsorge Berlin.

    Weltbild startete 1948 als Winfried-Werk in Augsburg. Der Verlag gab katholische Zeitschriften heraus. Als zusätzlichen Service gab es einen Bücherdienst.

    In den 1980er Jahren blühte das Unternehmen auf, es kaufte Verlage und Zeitschriften dazu. 1994 eröffnete man die ersten Filialen.

    Seit 1997 gibt es den Onlinehandel. Während das Buchgeschäft floriert, kränkelte das Zeitschriftengeschäft. 2008 stieß Weltbild den kompletten Bereich ab.

    Unter dem Dach der Holding DBH waren die Buchhandlungen Hugendubel, Weltbild und Jokers gebündelt. Zum Konzern gehörten auch die Vertriebsmarken Weltbild, Jokers, Kidoh und buecher.de.

    2012 verkündete die Verlagsgruppe 1,59 Milliarden Euro Umsatz.

    In den vergangenen Jahren geriet das Unternehmen unter Druck - die Konkurrenz von Amazon und anderen machte Weltbild zu schaffen.

    Im Januar 2014 meldete Weltbild Insolvenz an.

    In den folgenden Monaten bekamen hunderte Beschäftigte die Kündigung ausgesprochen.

    Im Mai kündigte Investor Paragon an, Weltbild zu übernehmen.

    Wenig später stieg Paragon wieder aus. Anfang August übernahm dann die Beratungs- und Investmentgruppe Droege die Mehrheit an Weltbild.

    Der Online-Medienhändler bücher.de gehört ab August 2014 vollständig zur Weltbild-Gruppe.

    September 2014: Nach der Mehrheitsübernahme durch den Düsseldorfer Investor Droege gibt es eine neue Geschäftsführung: Gerd Robertz, Patrick Hofmann und Sikko Böhm.

    Nach nur sieben Wochen tritt Gerd Robertz ab und widmet sich wieder nur dem Onlinegeschäft bücher.de.

    Im November kündigt die Geschäftsführung von Weltbild an, in der Verwaltung rund 200 Arbeitsplätze zu streichen.

    2015: Weltbild verkauft 67 Filialen an die kleine Kette "Lesenswert".

    Juli 2015: Rund ein halbes Jahr nach der Übernahme der 67 Filialen ist der Käufer pleite.

    Juli 2015: Knapp ein Jahr nach der Übernahme des Weltbild-Konzerns durch den Düsseldorfer Investor Droege muss der Logistikbereich von Weltbild erneut Insolvenz anmelden.

    Eine Frage wird auch der weitere Sanierungskurs sein. Katalog und das Sortiment sollen überarbeitet werden, heißt es. Rasenmäher, die in Innenstadt-Filialen vergeblich auf Käufer warten, soll es nicht mehr geben. Mehrere Beobachter halten es auch für denkbar, dass ganze Unternehmensteile verkauft werden. Als Problem gilt das nicht ausgelastete Logistikzentrum.

    Hier sind laut Berichten aus Unternehmenskreisen zwei Szenarien denkbar: Entweder die neuen Eigentümer behalten die Logistik. Dann müsste diese durch zusätzliche Aufträge anderer Firmen ausgelastet werden. Oder Weltbild verkauft das Logistikzentrum, bucht aber den neuen Eigentümer als Dienstleister. Es heißt, die Bertelsmann-Tochter Arvato sei noch immer am Logistikzentrum interessiert.

    Auch über einen Verkauf anderer Unternehmensteile – beispielsweise des Filialgeschäfts in Österreich oder der Schweiz – wird spekuliert. Experten von Paragon seien jedenfalls gerade dabei, sich bei Weltbild genau umzusehen, heißt es.

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