Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Gewerkschaft: Nach 40 Jahren Arbeit eine Rente auf Hartz-IV-Niveau?

Gewerkschaft

Nach 40 Jahren Arbeit eine Rente auf Hartz-IV-Niveau?

    • |
    Verdi-Chef Frank Bsirske traf sich im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche  mit Beschäftigten des Amazon- Logistikzentrums in Graben.
    Verdi-Chef Frank Bsirske traf sich im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche mit Beschäftigten des Amazon- Logistikzentrums in Graben. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa-Archiv

    Rund 7000 bis 8000 Euro mehr im Jahr haben oder nicht. So viel mehr würden nach Berechnungen von Verdi-Chef Frank Bsirske die Mitarbeiter von Amazon in Graben bei Augsburg im Schnitt im ersten Beschäftigungsjahr in der untersten Lohngruppe erhalten, wenn sich ihr Unternehmen an den Tarifvertrag des bayerischen Versandhandels halten würde. Tut es bekanntlich nicht. Da sich Amazon nicht als Händler sieht, sondern als Logistiker. Seit 2013 kämpft die Gewerkschaft Verdi für einen Tarifvertrag bei dem US-Konzern. Denn Amazon sei nicht irgendein Unternehmen: „Hier hat sich ein Konzern auf den Weg zu einem globalen Monopol gemacht“, sagt Bsirske. Bei den Arbeitsbedingungen wolle Amazon aber zurück ins 19. Jahrhundert, als es weder Gewerkschaften noch Tarifverträge gab.

    Verdi-Chef Frank Bsirske: Wollen wir künftig weniger planbar streiken

    Um den Druck auf Amazon zu erhöhen, „wollen wir künftig weniger planbar streiken“, kündigt Bsirske gestern in einem Pressegespräch in Augsburg an. Zuvor besuchte er die knapp 2000 Mitarbeiter im Logistikzentrum in Graben. Bsirske warb für Tarifverträge, für eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Denn die bröckelnde Tarifbindung in Deutschland hält er für eine wirtschaftliche Fehlentwicklung. Sie spüren seiner Einschätzung nach immer mehr Beschäftigte auch bei Lohn und Gehalt.

    Denn wessen Unternehmen nach einem Tarifvertrag bezahlt, der bekomme mehr Geld: Mit einem Branchentarifvertrag verdienten Arbeitnehmer im Schnitt 5,6 Prozent mehr als Kollegen ohne gültigen Tarifvertrag. Auch bei der Zahl der Urlaubstage und bei Urlaubs- und Weihnachtsgeld würden Beschäftigte mit einem Tarifvertrag besser fahren. Doch Bsirske kritisiert nicht nur, dass immer mehr Arbeitgeber um Tarifverträge einen Bogen machen. Auch bei den Beschäftigten beobachtet er die Einstellung: „Das sollen die anderen machen. Das hat mit mir nichts zu tun.“ Gerade die, die nicht organisiert sind, beschwerten sich aber oft als Erste, dass sie nicht mehr Geld erhalten. Daher gehen er und seine Kollegen von Verdi in diesen Tagen zu den Beschäftigten in die Betriebe und appellieren an die Solidarität.

    Streit um Höhe des Mindestlohns

    Keinen Einfluss haben die Beschäftigten auf die Festlegung des Mindestlohns. Um seine Höhe streiten jetzt Arbeitgeber und Gewerkschaften wieder. Denn die seit Januar 2015 gültige gesetzliche Lohnuntergrenze soll alle zwei Jahre angepasst werden. Eine erste Erhöhung würde damit im Januar 2017 erfolgen. Doch in der Mindestlohnkommission, die bis zum 30. Juni ihren Vorschlag abgeben muss, gibt es Ärger: Sie hat festgelegt, dass sie sich bei der erstmaligen Anpassung an dem durchschnittlichen Plus beim tariflichen Stundenlohn orientieren will. Das Statistische Bundesamt errechnete einen Wert von 3,2 Prozent. Es berücksichtigte aber nicht die jüngst erfolgten Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst und in der Metall- und Elektroindustrie. Sie würden den Wert nach oben ziehen und damit zu einem höheren Mindestlohn führen: Eine Erhöhung um 3,2 Prozent würde 27 Cent mehr bedeuten, also einen Mindestlohn von 8,77 Euro ergeben. Würden auch die jüngsten Tarifabschlüsse miteinberechnet werden, kommt man auf einen Wert von 4,4 Prozent. Für Verdi-Chef Bsirske steht fest: „9 Euro sollten 2017 erreicht sein.“ Aktuell liegt er bei 8,50 Euro.

    Bsirske warnt vor Altersarmut

    Doch nicht nur die Mindestlohndebatte treibt Bsirske um. Zusammen mit allen Kollegen im Deutschen Gewerkschaftsbund strebt er einen Kurswechsel bei der Rentenpolitik an: Wenn ein 1964 geborener „Babyboomer“, der 2012 ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen von 2500 Euro hat, nach 40 Beitragsjahren 786 Euro Rente erhält, ist das für Bsirske „ein Desaster“. Zumal 2012 ein Drittel aller Arbeitnehmer in Deutschland weniger als 2500 Euro brutto im Monat verdient hätte. Das bedeute, dass elf bis zwölf Millionen Arbeitnehmer nach 40 Jahren Arbeit in ihrer Rente auf Hartz-IV-Niveau fallen.

    „Hier tickt eine soziale Bombe, die dringend entschärft werden muss.“ Bsirske hält es für falsch, dass über Jahre nur auf die stabilen Beiträge geachtet wurde. Er ist sich sicher, dass die Menschen gewillt sind, drei bis vier Prozent mehr Beitrag zu zahlen, wenn sie damit eine auskömmliche Rente erhalten. Für die Finanzierung sieht er aber auch steuerliche Spielräume. Mit Blick auf die aktuelle Reform der Erbschaftsteuer sagt er: „Wir können es uns offensichtlich leisten, für große Vermögen und Erbschaften eine Steueroase zu sein.“ Gleichzeitig laufen elf bis zwölf Millionen Beschäftigte in die Altersarmut. Für ihn ist das Umsteuern in der Rentenpolitik „ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit“.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden