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Abgas-Affäre: Sammelklage gegen VW: Hoffnung für viele Dieselfahrer

Abgas-Affäre

Sammelklage gegen VW: Hoffnung für viele Dieselfahrer

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    Abgasbetrug, drohende Fahrverbote und ein dramatischer Wertverlust: Dieselfahrer haben es nicht leicht. Eine mögliche Sammelklage gibt ihnen Hoffnung.
    Abgasbetrug, drohende Fahrverbote und ein dramatischer Wertverlust: Dieselfahrer haben es nicht leicht. Eine mögliche Sammelklage gibt ihnen Hoffnung. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Wer einen Diesel fährt, konnte zuletzt fast nur verlieren: Abgasbetrug, Werkstattbesuche, dramatischer Wertverlust auf dem Gebrauchtwagenmarkt, jetzt auch noch Fahrverbote. Am liebsten würden viele Dieselfahrer in Deutschland ihren Wagen wohl einfach zurückgeben - oder zumindest Schadenersatz bekommen. Eine neue Verbraucherklage, die am 1. November eingereicht wird, macht den Betroffenen des VW-Skandals Hoffnung. 

    Rund 2,5 Millionen Autos hatte der Konzern nach "Dieselgate" zurückgerufen - die Besitzer können sich nun der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen anschließen. Mehrere Zehntausend dürften das tun, meinen die Anwälte. Schon jetzt gebe es um die 30.000 Anfragen und Interessenten. 

    Was ist das für eine Klage?

    Die Musterfeststellungsklage ist eine Art "Einer-für-alle"-Klage. Das Instrument ist neu, der VW-Fall der erste Praxistest. Verbraucherschutzverbände klagen dabei stellvertretend für Gruppen von Betroffenen - mit weniger Aufwand und Risiko für den Einzelnen. 

    Können alle Dieselfahrer mitmachen?

    Nein, erstmal nicht. Die Verbände klagen nur für Dieselfahrer, die vom Volkswagen-Pflichtrückruf betroffen waren und noch nicht selbst geklagt haben. Das betrifft Diesel von VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA 189 (Vierzylinder, Hubraum: 1,2 oder 1,6 oder 2,0 Liter), die nach dem 1. November 2008 verkauft wurden. Auch wer sein Auto inzwischen verkauft hat oder verschrotten ließ, kann mitmachen. 

    Wie funktioniert die Musterfeststellungsklage?

    Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) arbeitet zehn Fälle auf und reicht seine Klage auf dieser Grundlage am 1. November beim Oberlandesgericht Braunschweig ein. An diesem Tag tritt das Gesetz in Kraft. Hält das Gericht die Klage für zulässig, können sich weitere Betroffene kostenlos beim Bundesamt für Justiz in ein Klageregister eintragen. Das soll einfach und ohne Anwälte möglich sein. In zwei Monaten müssen insgesamt 50 Menschen zusammenkommen. Wenn die Verhandlung begonnen hat, kann man nicht mehr einsteigen.

    Diesel-Skandal: Was nach Entdeckung der VW-Affäre passierte

    3. September 2015:
    VW räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein.

    18. September 2015:
    Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    23. September 2015:
    Rücktritt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller als Nachfolger.

    15. Oktober 2015:
    Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

    22. April 2016:
    Der Abgas-Skandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust der Geschichte ein.

    8. August 2016:
    Das Landgericht Braunschweig gibt den Startschuss für ein Musterverfahren wegen milliardenschwerer Aktionärsklagen gegen VW.

    25. Oktober 2016:
    US-Rechtsstreit um VW-Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren: VW einigt sich auf 16 Milliarden Dollar Entschädigung an Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten.

    11. Januar 2017:
    VW und das US-Justizministerium vergleichen sich in strafrechtlichen Fragen auf eine Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar.

    31. Mai 2017:
    Es wird bekannt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland und Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

    25. August 2017:
    VW-Ingenieur James Liang wird in den USA zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte 2016 als Kronzeuge ausgepackt.

    6. Dezember 2017:
    Der frühere VW-Manager Oliver Schmidt wird in den USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze zu sieben Jahren Haft verurteilt.

    12. April 2018:
    VW-Markenchef Herbert Diess wird zum Nachfolger von Müller an der Konzernspitze berufen.

    18. Juni 2018:
    Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, wird verhaftet. Die Ermittler werfen ihm Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen vor.

    10. September 2018:
    Beginn des Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Musterklägerin ist die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment. Ziel des Prozesses ist eine Rahmenentscheidung, die für alle Beteiligten bindend ist.

    30. Oktober 2018:

    Rupert Stadler wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Seinen Posten als Vorstandsvorsitzender ist er jedoch los. Bram Schot übernimmt seinen Posten.

    31. Juli 2019:

    Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage gegen Rupert Stadler und drei weitere Manager. Ihnen wird Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen.

    Was kann dabei rauskommen?

    Schadenersatz wird es wohl nicht direkt geben. Bei dem Verfahren geht es erstmal nur darum, ob Volkswagen unrechtmäßig gehandelt hat. Wird den Kunden ein Recht auf Schadenersatz zugesprochen, müssen sie dies selbst durchsetzen. Auf Grundlage des Musterprozesses ist das aber einfacher als ohne. Noch bequemer wäre ein Vergleich zwischen VW und den Kunden. "Unser Ziel ist, dass Autobesitzer entweder das Auto zurückgeben können und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen, oder wenn sie es behalten wollen den Wertverlust kompensiert bekommen, oder wenn sie das Auto bereits verkauft haben, eine entsprechende Entschädigung bekommen", sagt vzbv-Vorstand Klaus Müller.

    Hab ich ein Risiko, wenn ich mich melde?

    Das Prozesskostenrisiko trägt allein der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Wer im Klageregister steht, kann das Urteil also in Ruhe abwarten und dann entscheiden, wie er weitermacht. Wenn die Verbraucherzentralen verlieren, sind alle Eingetragenen allerdings an diese Entscheidung gebunden. Sie können also nicht mehr vor anderen Gerichten auf Schadenersatz klagen.

    Wie groß sind die Chancen auf Erfolg?

    Die Anwälte sind sehr zuversichtlich, Volkswagen dagegen sieht wenig Aussichten für die Klage. Wer recht hat, lässt sich schlecht abschätzen - zumal es so eine Klage in Deutschland noch nie gab. 

    Wie lange dauert es, bis die Dieselfahrer Geld sehen, wenn die Verbraucherzentralen gewinnen?

    Das kommt darauf an, ob VW einem Vergleich mit den Kunden zustimmt. Dann könnte es schnell gehen. Geht der Autobauer durch alle Instanzen, könnte es aber Jahre dauern. Die Kläger rechnen mit einer mündlichen Verhandlung 2019 und einer Gerichtsentscheidung 2020. Danach könnte der Fall an den Bundesgerichtshof gehen, der wohl 2022 entscheiden würde. Danach müsste in weiteren Verhandlungen noch über die Höhe des individuellen Schadenersatzes im entschieden werden.

    Wie hoch könnte der Schadenersatz sein?

    Das lässt sich noch nicht genau sagen. Anwalt Ralf Stoll, der die Klage für die Verbraucherzentralen betreut, hält 15 bis 20 Prozent des Kaufpreises für angemessen. In den bisherigen Fällen hätten die Richter den Betroffenen zwischen 7 und 25 Prozent zugestanden. 

    Könnten das Diesel-Paket der Bundesregierung und die Fahrverbote am Streitwert noch etwas ändern?

    Der Verband und seine Anwälte gehen nicht davon aus. Auch die Software-Updates spielten wohl keine Rolle. "Der Schaden ist bereits mit dem Kauf des Autos entstanden und durch ein Update nicht wettzumachen", sagt der vzbv. Auch Stoll hält die Nachrüstungs- und Prämienversprechen der Bundesregierung nicht für umfassend genug, um den Prozess zu beeinflussen. Die Fahrverbote wirkten sich deshalb nicht aus, weil man nicht behaupten könne, sie seien allein wegen des Dieselskandals eingeführt worden. 

    Wie ist der Stand bei anderen Kundenklagen zum Diesel-Skandal?

    Volkswagen zufolge waren im September rund 23.800 Verfahren von Diesel-Besitzern gegen Händler oder Hersteller anhängig. Mehr als 6000 Urteile gab es schon. Laut dem Konzern blieben die Kundenklagen vor Landgerichten überwiegend erfolglos. Oberlandesgerichte hätten in zwölf Fällen im Sinne von Volkswagen und der Händler entschieden. Doch oft komme es gar nicht zum Urteil, weil VW schon vorher per Vergleich einer Entschädigung zustimme, sagt Stoll. Bei Einzelklagen mit Erfolgsaussicht bot VW Klägern laut ADAC gar Geld für ein Stillschweige-Abkommen an. (dpa)

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