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Ulmer in China: Ulmer erhält ernüchternde Einblicke in Chinas Fabriken

Ulmer in China

Ulmer erhält ernüchternde Einblicke in Chinas Fabriken

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    Niklas Vesely sucht für deutsche Firmen Produzenten in China. Westliche Standards erfüllen wenige.
    Niklas Vesely sucht für deutsche Firmen Produzenten in China. Westliche Standards erfüllen wenige. Foto: Glizhinskiy

    „Made in China“ steht auf vielen Zettelchen, die in Rucksäcken und T-Shirts eingenäht sind. Niklas Vesely weiß genau, wie viele von ihnen hergestellt werden. Der Unternehmer aus Ulm lebt die Hälfte des Jahres in der chinesischen Hafenstadt Guangzhou und vermittelt westlichen Unternehmern chinesische Fabriken. Die Unterschiede bei den Zulieferern, die Vesely prüft, sind gewaltig. Da gibt es Fabriken, in denen die Arbeitszeiten ähnlich klar geregelt sind wie in Deutschland. Und da gibt es Wohnzimmer, in denen die ganze Familie samt Kindern und Großmutter im Kreis sitzt und näht und klebt. Und auch Kinderarbeit hat der Ulmer in China kennengerlernt.

    Der Dreißigjährige hatte schon als Zivildienstleistender eine Skateboard-Marke gegründet. Anfangs ließ er die Bretter über einen Hamburger Händler fertigen. Als dieser damit aufhörte, kaufte ihm Vesely die Maschinen und die Kontakte nach China ab. Dort zu produzieren ist lukrativ, die Kosten machen nur ein Dreihundertstel von dem aus, was Vesely in Deutschland bezahlen müsste. Als BWL-Student an der Hochschule Neu-Ulm verbrachte der Sohn eines Ärzte-Paars ein Praxissemester im Reich der Mitte und arbeitete bei Asiens größtem Skatenboard-Großhandel. Dort ließ sich Vesely zum Factory Sourcing Manager ausbilden – so heißt jemand, der passende Fabriken ausfindig macht. Nach dem Abschluss zog er nach China, absolvierte ein MBA-Studium mit Fokus auf Asien und Produktion in China, lernte Mandarin und knüpfte Kontakte mit chinesischen Herstellern.

    Mit der Zeit erkannte Vesely, der seit rund sechs Jahren zwischen China und Deutschland pendelt, die Unterschiede zwischen den Fabriken. Und er lernte die Fallstricke kennen, an denen viele Unternehmer hängen bleiben. Vor allem Gründer, die Produkte über den Online-Händler Amazon vertreiben wollen und nach billigen Fabriken in China suchen. 80 Prozent der Produktionsstätten, sagt Vesely, seien eigentlich gar keine Fabriken.

    Es sind eher Wohnzimmer, in denen die Familie im Kreis sitzt und auf Bestellung näht, klebt und bastelt. „Es gibt ein Dorf, da sitzen alle Familien zu Hause und basteln Feuerwerkskörper“, berichtet der Ulmer Unternehmer. Qualitätskontrollen gebe es nicht. Wenn Prüfsiegel wie das CE-Kennzeichen auf Böllern und Raketen aus dieser Fertigung angebracht sind, seien sie gefälscht, da ist sich der Ulmer inzwischen sicher.

    Vor allem in kleinen Familienbetrieben sind die Arbeitsbedingungen schlecht

    Es gebe zudem mittelgroße Firmen, die erfolgreich gewachsen sind und jetzt regelmäßig für ausländische Unternehmen produzieren, berichtet Vesely. Doch meist würden sie im Netz mit gestohlenen Bildern vorgeben, für Weltmarken zu produzieren, um so neue Kunden anzulocken. Denn es gebe nach seiner Erfahrung nur ein Prozent Fabriken, die wirklich für die ganz großen Unternehmen fertigen.

    Diese Ein-Prozent-Fabriken, wie Niklas Vesely sie nennt, hätten keine eigenen Internetseiten, um sich so vor unseriösen Geschäftspartnern zu schützen. Die Unternehmen haben ihre Produkte oft selbst weiterentwickelt, sie arbeiteten nach westlichen Standards und böten Produktionen oft schon ab 5000 Euro an. Dort werde nicht viel anders gearbeitet als in Deutschland, sagt Vesely. Er nennt als Beispiel eine nahegelegene Fabrik, die Rucksäcke für die Sport-Weltmarke Nike herstellt: „Gearbeitet wird von 9 bis 18 Uhr. Es gibt eineinhalb Stunden Pause. 30 Minuten fürs Essen, 60 Minuten zum Schlafen.“

    Schlecht seien die Arbeitsbedingungen vor allem bei den kleinen Familienbetrieben: „Da sitzt die Großmutter den ganzen Tag am Tisch und näht“, berichtet Vesely, der immer wieder in den ländlichen Außenbezirken Guangzhous unterwegs ist, wo so gearbeitet wird. Auch die Kinder helfen mit. Auf Kinderarbeit hat Ulmer eine eigene Sichtweise: „Die starke Kritik ist zu kurz gegriffen“, sagt er. „Man muss die Zusammenhänge kennen.“ In den Familien würden die Kinder gefragt: „Kannst du uns helfen – und wie viel?“. Wenn ein Kind lieber spielen wolle, dürfe es spielen gehen, versichert er.

    In den großen Fabriken geben die Kunden die Prozesse vor. Vesely hat von einem Fall erfahren, in dem ein 15-jähriges Mädchen in einer solchen Fabrik arbeitete. Sie hatte sich mit dem Ausweis ihrer Schwester als volljährig ausgegeben. Als der Schwindel aufflog, wurde die 15-Jährige entlassen. Vesely hat Verständnis, dass Jugendliche auf diese Weise zu einer Stelle kommen wollen. „Wenn ein Elternteil Krebs hat, muss die Familie dafür aufkommen“, sagt Vesely. Arbeit sei die einzige Chance, an Geld zu kommen. Das Problem liege weniger in der Arbeit selbst als in den gesellschaftlichen Umständen. Und: „In Deutschland macht man mit 16 eine Ausbildung und arbeitet auch.“

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