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Zentralbank: Wann steigen die Zinsen wieder?

Zentralbank

Wann steigen die Zinsen wieder?

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    Seine Politik des ultrabilligen Geldes ist bei deutschen Sparern unbeliebt. Wann wagt Mario Draghi die Zinswende?
    Seine Politik des ultrabilligen Geldes ist bei deutschen Sparern unbeliebt. Wann wagt Mario Draghi die Zinswende? Foto: Arne Dedert, dpa

    Augsburg Bankkunden erleben eine verkehrte Welt. Wer über das Portal Smava in Berlin einen 1000-Euro-Kredit nimmt, erhält sechs Euro geschenkt. Umgekehrt müssen Sparer mit sehr viel Geld bei einigen Instituten bereits Strafzinsen zahlen. Nun macht allerdings auch hierzulande das Wort der "Zinswende" die Runde. Grund ist die heutige Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB). Reißen EZB-Chef Mario Draghi und seine Kollegen bald das Ruder herum und heben die Zinsen an? Viele Bankfachleute machen Druck. Es sei "Zeit für den Ausstieg" aus der ultralockeren Geldpolitik forderte unlängst zum Beispiel Wolfgang Kirsch, Chef der genossenschaftlichen DZ-Bank (Lesen Sie auch: Druck auf EZB wird größer: Wann endet der Billiggeldkurs?).

    Zinserhöhung: Ein langer Weg

    Doch die Diskussion täuscht darüber hinweg, dass der Weg zu steigenden Zinsen lang werden könnte. Darauf weist Finanzfachmann Chris-Oliver Schickentanz im Gespräch mit unserer Zeitung hin. Er ist Chef-Anlagestratege der Commerzbank. "Das Wort der Zinswende ist ein bisschen zu epochal für das, was gerade passiert", meint er. Der Normalisierungsprozess stehe erst am Anfang. Noch sieht die Situation so aus, dass der Leitzins der EZB bei null Prozent liegt. Zudem pumpt die Zentralbank Geld in den Markt, indem sie Staats- und Unternehmensanleihen von den Geschäftsbanken aufkauft. Gegenwärtig umfasst das Programm 60 Milliarden Euro im Monat und läuft bis Ende dieses Jahres.

    Schickentanz erwartet, dass die EZB vielleicht noch nicht einmal jetzt, sondern erst im September andeutet, dass sie ihre Politik möglicherweise 2018 verändert. "Wir sind noch immer weit von einer ersten Zinserhöhung entfernt", sagt der Fachmann. Bevor Zinsen steigen, müsse die EZB erst ihre Anleihenkäufe reduzieren. Und auch dieser Prozess wird wohl dauern.

    "Wir gehen davon aus, dass die Zentralbank ab Januar 2018 rund zwanzig Milliarden Euro weniger an Anleihen pro Monat kaufen wird", sagt Schickentanz. Dann werde die EZB wohl zunächst beobachten, wie sich dies auf die Märkte auswirkt. "Im Frühsommer 2018 könnte dann der nächste Schritt einer Reduktion der Käufe um nochmals 20 Milliarden Euro folgen, sodass die EZB im Herbst nächsten Jahres ganz mit den Anleihekäufen aufhören könnte." Auch danach, meint Schickentanz, werde die EZB wohl erst einmal drei oder vier Monate die Füße stillhalten. "Eine Zinserhöhung ist dann frühestens im Frühjahr 2019 wahrscheinlich", sagt er.

    Risiken einer Zinserhöhung

    Verwerfungen an den Märkten: Ein Thema ist die Angst vor dem Platzen einer Blase am Markt für Staatsanleihen, wenn die EZB als Käufer bald ausfällt.

    Staatsschulden: Ein Argument ist auch, dass die hoch verschuldeten Staaten in Südeuropa höhere Zinsen kaum zahlen könnten.

    Konjunktur: Höhere Zinsen belasten die Unternehmen. Fachleute sagen aber, die Konjunktur sei robust genug, sodass Firmen höhere Kreditzinsen verkraften können (mke)

    Draghi mahnt zur Geduld

    Auch EZB-Chef Mario Draghi selbst äußert sich vorsichtig. Er stellte auf einer Tagung in Portugal Ende Juni zwar eine "graduelle Anpassung" der Notenbankpolitik in Aussicht, mahnte aber zur Geduld: "Wir brauchen Ausdauer in unserer Geldpolitik", sagte er. Als Grund für einen Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes wird häufig die anziehende Inflation genannt. Niedrige Preissteigerungen hat die Zentralbank stets als Begründung ihrer Nullzinspolitik angeführt. Ein Verfall der Preise – eine Deflation – gilt als Risiko für ganze Volkswirtschaften. Nun ziehen die Preise aber an. Die Bundesbank rechnet für 2017 mit einer Teuerung von 1,5 Prozent. Das ist bitter für die Sparer, die bei Nullzinsen einen Wertverlust erleiden. Doch zu stark setzt die Inflation Draghi nicht unter Druck, meint Commerzbank-Experte Schickentanz. Die Kerninflation liege noch unter dem Ziel von knapp unter zwei Prozent, das sich die EZB selbst gesetzt hat.

    EZB darf maximal ein Drittel der Anleihen eines Staates kaufen

    Entscheidender ist für Schickentanz, dass die EZB langsam die Grenzen des Anleihekaufprogramms erreicht: Der Europäische Gerichtshof habe der EZB das Limit gesetzt, maximal ein Drittel der Anleihen eines Landes kaufen zu dürfen. Und die EZB ist fleißig. "Diese Obergrenze wird sie in den kommenden Monaten für manche Länder erreichen", sagt er.

    Die Europäische Zentralbank

    Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt ist die Notenbank für die gemeinsame europäische Währung, den Euro.

    Sie soll vor allem Preisstabilität im gemeinsamen Währungsgebiet der 17 Eurostaaten wahren.

    Zudem soll sie auch die Wirtschaftspolitik unterstützen, soweit das Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird.

    Um die Inflation im Zaum zu halten, legt die EZB Leitzinsen fest. Über die Zinsen entscheidet der Zentralbankrat.

    Ihm gehören neben den sechs Direktoriumsmitgliedern der EZB auch die Präsidenten der 17 nationalen Zentralbanken an.

    EZB-Präsident ist seit November 2011 der Italiener Mario Draghi. dpa

    Was aber bedeutet die Zinswende im Schneckentempo für Sparer und Bauherren? Für Privatinvestoren wird die Situation in der Übergangszeit wohl schwierig bleiben. "Die Kurzfristzinsen werden erst einmal nicht anziehen", sagt Schickentanz. "Für das Tagesgeld und das Sparbuch wird der Nullzins zunächst Realität bleiben, denn die EZB wird wohl erst 2019 den Leitzins anheben", meint der Fachmann.

    Etwas schwieriger könnte es bald für Häuslebauer werden: Denn die Immobilienfinanzierung hängt am langfristigen Kapitalmarktzins, erklärt Schickentanz. "Hier haben wir bereits den Tiefpunkt hinter uns", sagt er. "Man merkt, dass es zunehmend schwieriger wird, eine Hausfinanzierung unter einem Prozent Kreditzins hinzubekommen." Wenn man aber daran denkt, dass einst fünf, sechs oder sieben Prozent üblich waren, ist dies noch immer keine Katastrophe.

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