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Untersuchungsausschuss: Winterkorn sieht sich beim Diesel-Betrug als Betrogener

Untersuchungsausschuss

Winterkorn sieht sich beim Diesel-Betrug als Betrogener

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    Martin Winterkorn musste sich gestern in Berlin den Fragen des Untersuchungsausschusses zum Volkswagen-Diesel-Skandal stellen.
    Martin Winterkorn musste sich gestern in Berlin den Fragen des Untersuchungsausschusses zum Volkswagen-Diesel-Skandal stellen. Foto: Odd Andersen, afp

    „Dass das bei uns passiert ist, muss in Ihren Ohren wie Hohn klingen“, sagt Martin Winterkorn. Einst der vielleicht mächtigste Manager der Republik, sitzt der Ex-VW-Chef nun kleinlaut vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags, blickt durch eine riesige Glasfront auf die eiskalte Spree und soll erklären, wie es mit Ruf und Börsenwert von Volkswagen im Sog der Dieselaffäre derart den Bach runtergehen konnte.

    Winterkorn will vom Diesel-Betrug nichts gewusst haben

    „Ich suche bis heute nach Antworten“, sagt Winterkorn. Doch selbst lässt er viele Fragen unbeantwortet, mit Verweis auf ein laufendes Ermittlungsverfahren. Und was der dann doch sagt, manchmal stammelnd, manchmal ungewöhnlich leise, das dürfte in den Ohren der Ausschussmitglieder tatsächlich klingen wie Hohn. Denn der nach Bekanntwerden des Skandals zurückgetretene 69-Jährige bleibt dabei: Er will bis zum September 2015 nichts gewusst haben vom millionenfachen Betrug mit VW-Dieselautos, die nur dank einer eingebauten Betrugs-Software als so sauber durchgingen, wie vom Gesetzgeber verlangt – in Wirklichkeit aber wahre Dreckschleudern waren.

    Schon die Angaben, die Winterkorn zur Person macht, wollen nicht so recht passen zu seiner Version vom ahnungslosen Opfer skrupelloser Betrüger in den niederen Rängen der VW-Ingenieure. Winterkorn selbst stellt sich dar als Vollblutingenieur, Materialexperte, lange Jahre bei VW und Tochter Audi für Qualitätssicherung zuständig.

    Die zwei Gesichter des Martin Winterkorn

    Auch als er 2007 Vorstandsvorsitzender bei VW wird, so heißt es in der Firma, geht jedes kleinste Teil durch Winterkorns Hand. Stücke, die seinem kritischen Blick nicht standhalten, wirft er schon mal durch den Raum, trifft dabei angeblich einmal auch einen Untergebenen. Der qualitätsversessene Macher, der schwäbische Tüftler, der sich um alles selbst kümmert, der höchstpersönlich sogar die Lackdicke an Autos nachmisst – jahrelang hat Winterkorn selbst dieses Image gepflegt. Doch wenn sogar kleinste Details Chefsache waren, warum soll dies ausgerechnet für das so wichtige Amerika-Geschäft nicht gegolten haben?

    Den Ausschussmitgliedern, so zeigen viele ihrer Fragen, fällt es ganz offensichtlich schwer, die Geschichte vom gutgläubigen Chef zu schlucken, der von den eigenen Ingenieuren ruchlos hintergangen wurde.

    Denn der so riesige wie umkämpfte US-Automobilmarkt ist schon seit langem die ganz große Baustelle des Weltkonzerns VW. Toyota, der global schärfste Konkurrent, verkauft in den Staaten zeitweise siebenmal mehr Autos als die Wolfsburger. Gefragte Fahrzeugtypen wie große SUVs und Pickups hat VW lange Zeit gar nicht erst im Programm. Nach Diesel-Fahrzeugen, einer VW-Spezialität, kräht zwischen New York und Los Angeles viele Jahre kein Hahn.

    Das sollte sich nach dem Plan der VW-Strategen ändern, als auch in den USA Umweltschutz zunehmend ein Thema wird, manche Bundesstaaten strenge Abgasvorschriften erlassen und gleichzeitig das Benzin teurer wird. Ab Ende der 2000er Jahre sieht VW in den USA die Chance des Diesels gekommen – mit Sauberkeit als stärkstem Verkaufsargument. Ein blütenweißer Schal, der an den Auspuff eines Diesel-VWs gehalten wird, bleibt absolut rein – zumindest im US-Fernsehspot. In Wirklichkeit ist die Mär vom „absolut sauberen Diesel eine glatte Lüge. Eine Software erkennt, wenn sich der Wagen auf dem Rollenprüfstand befindet – ausschließlich dann arbeitet die Abgasreinigung.

    Diesel-Volkswagen gibt bis zu 40 mal mehr Abgase in die Luft, als gesetzlich erlaubt

    Chronologie der Abgasaffäre bei VW und Audi

    VW steckt tief in der Krise. Der Abgas-Skandal hat Konzernchef Martin Winterkorn den Job gekostet - nun müssen sein Nachfolger Matthias Müller und der neue Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch die Affäre aufklären.

    3. September 2015: Volkswagen räumt gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Abgastests ein.

    18. September 2015: Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    22. September 2015: Der Konzern gibt eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Milliarden-Rückstellungen an. VW-Chef Martin Winterkorn bittet um Entschuldigung.

    23. September 2015: Rücktritt Winterkorns. «Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren», erklärt er seinen Schritt.

    25. September 2015: Der VW-Aufsichtsrat tagt. Nach langer Sitzung beruft das Gremium Porsche-Chef Matthias Müller zum neuen Konzernchef und trifft einige weitere Personal- und Strukturentscheidungen.

    28. September 2015: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen.

    29. September 2015: Volkswagen legt einen Aktionsplan zur Nachbesserung von Dieselwagen mit manipulierter Software vor und will fünf Millionen Fahrzeuge der Kernmarke VW in die Werkstätten holen.

    1. Oktober 2015: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig rudert zurück: Entgegen früheren Angaben führt sie kein formelles Verfahren gegen Winterkorn. Neuer VW-Finanzchef wird nach dem Wechsel von Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat der Leiter der Finanzsparte, Frank Witter.

    2. Oktober 2015: Auf speziellen Internetseiten können Kunden von VW und Audi prüfen, ob ihr Wagen die Manipulations-Software verwendet.

    4. Oktober 2015: Laut «Bild am Sonntag» sollen VW-Ingenieure der internen Revision gesagt haben, sie hätten 2008 die Software installiert.

    6. Oktober 2015: Betriebsratschef Bernd Osterloh und Müller sprechen bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg zur Belegschaft. Osterloh betont, bisher gebe es noch keine Konsequenzen für Jobs - laut Müller stellt die Abgas-Affäre aber bereits geplante Investitionen infrage.

    7. Oktober 2015: Erneutes Krisentreffen der VW-Aufseher, Pötsch wird an die Spitze des Kontrollgremiums gewählt. Nach Aussage Müllers in einem «FAZ»-Interview kann der Auto-Rückruf im Januar 2016 beginnen.

    8. Oktober 2015: Razzia bei Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ordnet Durchsuchungen in Wolfsburg und an anderen Orten an. VW-US-Chef Michael Horn muss dem US-Kongress Rede und Antwort stehen.

    9. Oktober 2015: US-Bundesstaat Texas verklagt Volkswagen. VW habe seine Kunden über Jahre hinweg vorsätzlich getäuscht, sagt ein texanischer Staatsanwalt.

    15. Oktober 2015: Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) lehnt die von Volkswagen angebotene freiwillige Reparatur ab. Rund 2,4 Millionen betroffene Fahrzeuge von VW werden zurückgerufen.

    2. November 2015: Auch Porsche und Audi geraten unter Verdacht. Die US-Umweltbehörde prüft die von Audi gebauten und von Porsche verwendeten Dreiliter-Dieselaggregate.

    4. November 2015: VW, Porsche und Audi stoppen in den USA den Verkauf von Fahrzeugen, die mit der umstrittenen Dreiliter-Dieselmaschine ausgerüstet sind.

    12. November 2015: Martin Winterkorn gibt Vorsitz bei Audi auf. Nach dem Rückzug von VW und Porsche legt Winterkorn auch sein Amt bei Audi nieder.

    5. Januar 2016: Die US-Regierung reicht im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen ein. Das Justizministerium wirft dem Konzern vor, Betrugssoftware eingesetzt und gegen das Luftreinhaltegesetz "Clean Air Act" verstoßen zu haben.

    27. Januar 2016: VW beginnt mit dem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge. Zunächst ist der Pick-up Amarok dran. Danach folgen die Passat-Modelle.

    15. März 2016: Knapp 300 Großaktionäre verklagen VW auf Schadensersatz in Höhe von rund drei Milliarden Euro.

    22. April 2016: VW muss den höchsten Verlust in der Geschichte des Unternehmens bekannt geben.

    28. Juni 2016: Entschädigungen in Rekordhöhe: 15 Milliarden Dollar kostet der Abgasskandal VW in den USA allein an Strafen an die Umweltbehörden und Entschädigungen an Autofahrer.

    7. September 2016: Auch der Autozieferer Bosch gerät immer mehr in Kritik. Ohne das Stuttgarter Unternehmen habe Volkswagen die Software nicht anpassen können, berichten Medien.

    23. September 2016: Neue Vorwürfe aus den USA belasten VW-Tochter Audi schwer. Bisher bestritt Audi stets manipuliert zu haben.

    22. November 2016: VW will weltweit 30.000 Jobs abbauen. Allein in Deutschland sollen bis zu 23.000 Jobs wegfallen.

    15. Dezember 2016: Sigmar Gabriel (SPD), Peter Altmaier (CDU) und Barbara Hendricks (SPD) sagen im U-Ausschuss aus, sie hätten erst nach Aufdeckung des Skandals 2015 von verbotenen Praktiken erfahren.

    20. Dezember 2016: Nächste Vergleichszahlung: VW und Audi sollen in Kanada bis zu 1,5 Milliarden Euro an Autokäufer zahlen.

    9. Januar 2017: Amerikanisches FBI nimmt einen VW-Manager wegen des Dieselskandals fest.

    11. Januar 2017: VW und das US-Justizministerium einigen sich zu einem Vergleich. VW muss wegen rund 4,3 Milliarden Dollar zahlen.

    19. Januar 2017: Martin Winterkorn wird im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Diesel-Skandal befragt. Der damalige Vorstandsvorsitzende des VW-Konzerns betont erneut, "nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt" worden zu sein.

    27. Januar 2017: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt jetzt auch gegen den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wegen des Verdachts auf Betrug.

    3. Februar 2017: Ferdinand Piëch, der frühere VW-Aufsichtsratschef, belastet Martin Winterkorn. Demnach soll Winterkorn doch schon früher als von ihm eingeräumt vom Abgasbetrug erfahren haben.

    18. Februar 2017: Interne Dokumente belasten Audi-Chef Rupert Stadler. Er soll schon 2007 von der Schummelei zu den Abgaswerten gewusst haben.

    8. März 2017: Kanzlerin Angela Merkel sagt als letzte Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss zur Abgasaffäre aus. Sie will von der Affäre erst durch die Medien erfahren haben.

    15. März 2017: Razzia bei Audi: Kurz vor Beginn der Jahrespressekonferenz durchsuchen Fahnder die Konzernzentrale in Ingolstadt.

    Im normalen Betrieb aber bläst ein derart manipulierter Diesel-Volkswagen bis zu 40 mal mehr Abgase in die Luft, als gesetzlich erlaubt. Das stellen verblüffte US-Umweltschützer fest, als sie die Prüfstandsergebnisse mit den Abgaswerten im normalen Betrieb vergleichen. Wie sich in der Folge zeigt, wird die Schummel-Software nicht nur in den USA, sondern weltweit in rund elf Millionen Fahrzeuge eingebaut. 2,8 Millionen Volkswagen sind in Deutschland betroffen. Mindestens sechs Jahre lang läuft der Betrug – von dem Winterkorn bis kurz vor seinem Rücktritt am 23. September 2015 nichts gewusst haben will.

    Was es mit dem Rückruf einer halben Million VW-Dieselautos in den USA Anfang 2015 auf sich hat, inwiefern ihn der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch auf das brisante Thema schon im Frühjahr 2015 hingewiesen hat – all das lässt Winterkorn offen.

    Winterkorn kassiert wohl höchste Rente Deutschlands

    Entsprechend enttäuscht lässt er nach zwei Stunden die Ausschussmitglieder zurück. Ulrich Lange (CSU) aus Nördlingen etwa sagt: „Er hat heute eine Chance verpasst, seiner persönlichen und gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und zur Aufklärung beizutragen. Dies gilt gerade gegenüber den Kunden und den eigenen Mitarbeitern.

    Schlagzeilen über außerordentlich hohe Rentenzahlungen tragen jedenfalls nicht dazu bei, Vertrauen zurückzugewinnen.“ Lange spielt darauf an, dass Winterkorn nach Medienberichten die wohl höchste Rente der Republik kassiert. 3100 Euro sollen es sein – pro Tag.

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