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Arzneiflut in Deutschland: 20.000 verschreibungspflichtige Medikamente: zu viele, meinen Ärzte

Arzneiflut in Deutschland

20.000 verschreibungspflichtige Medikamente: zu viele, meinen Ärzte

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    Viel zu viele verschreibungspflichte Medikamente soll es in Deutschland geben. Tausende Arzneimittel sind angeblich überflüssig.
    Viel zu viele verschreibungspflichte Medikamente soll es in Deutschland geben. Tausende Arzneimittel sind angeblich überflüssig. Foto: dpa/Klaus Rose

    20.000 verschreibungspflichtige Medikamente gibt es in Deutschland, aus Ärztesicht sind das viel zu viele. Die wenigsten neuen Wirkstoffe auf dem reichlich gefüllten Arzneimittelmarkt bringen wirklichen Fortschritt. Nur 10 bis 30 Prozent der neuen Medikamente helfen besser als ihre Vorläufer, so die ernüchternde Bilanz der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. "Auf die restlichen Präparate könnten wir in Zukunft verzichten, ohne dass sich die Qualität der Patientenversorgung verschlechtert", sagt ihr Chef Wolf-Dieter Ludwig. Jetzt laufen neue Arznei-Prüfungen an.

    Neue Medikamente sind selten besser als gebräuchliche Therapien

    Bis Jahresende will der zuständige Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken erstmals den Nutzen neuer Mittel bewerten. Damit beginnt eine Zeitenwende auf dem Pharmamarkt. Künftig sollen alle neuen Medikamente offiziell auf ihren Zusatznutzen gegenüber schon gebräuchlichen Therapien geprüft werden. Was nicht mehr nutzt, darf auch nicht mehr kosten. Das ist in der jüngsten Arzneireform der Koalition festgelegt.

    Die Branche ist in heller Aufregung. Über Jahre konnte die Industrie für neu zugelassene Pillen in Deutschland nach Belieben viel verlangen. Dieses Jahr machten gleich zwei Firmen wegen der neuen Prüfungen im letzten Moment einen Rückzieher. Novartis nahm einen Blutdrucksenker vom Markt. Der Hersteller Merckle Recordati ließ einen neuen Cholesterinsenker kurzerhand unter die bestehenden Obergrenzen für die Bezahlung gängiger Mittel einordnen.

    "Deutschland geht bei der frühen Nutzenbewertung für neue Arzneimittel einen riskanten Weg", warnt die Geschäftsführerin des Pharmaverbands vfa, Birgit Fischer. "Zum ersten Mal gibt es in Deutschland einen realen Anlass darüber nachzudenken, ob Patienten Medikamente nicht zur Verfügung stehen werden, die andernorts in Europa verfügbar sind."

    Entsprechend gibt es Streit übers Kleingedruckte. Mit welchen gängigen Mitteln sollen die neuen Medikamente verglichen werden, um herauszufinden, wie teuer sie die Kassen zu stehen kommen sollen? Laut Fischer ist die Vergleichbarkeit immer wissenschaftlich umstritten. Der Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Rainer Hess, hält dagegen: "Vorwürfe, dass der G-BA für die Vergleichstherapie gezielt ältere oder besonders günstige Präparate auswählt, um zu sparen, sind abwegig."

    Heutige Schmerztherapie bei Krebspatienten teurer und wenig zielorientiert

    Fischer warnt im Namen der großen Pharmakonzerne vor einer "Barriere für neue Therapieansätze" in Deutschland - und verweist auf das Interesse der Patienten. Darauf beruft sich auch die Arzneimittelkommission der Ärzte. So sei die Schmerztherapie bei Krebspatienten heute oft nicht nur teuer, sondern auch wenig rational, kritisiert der Vorsitzende der Kommission, Wolf-Dieter Ludwig.

    Der Experte Ludwig und Gremienchef Hess erwarten, dass die Pharmakonzerne jetzt unter stärkeren Druck geraten, nützliche Mittel zu entwickeln. Den Patienten komme dies zugute. Die Entwicklung eines neuartigen Medikaments kann - Fehlschläge eingerechnet - dreistellige Millionenbeträge verschlingen. Geringere Risiken für die Unternehmen gibt es bislang bei oft nur schwach veränderten Arzneimitteln, die als hochpreisige Neuerungen auf den Markt kommen können. Laut Arzneiverordnungs-Report 2011 könnten die Kassen ohne Nachteile für Patienten zwischen fünf und zwölf Milliarden Euro sparen.

    Tausende Medikamente überflüssig

    Um zwei Milliarden Euro will die Koalition durch ihre Arzneireform die Kosten im Jahr drücken. Daraus wird zunächst wohl nichts. Denn dafür müssten nicht nur die neuen, sondern auch die schon länger auf dem Markt befindlichen Mittel durch die Prüfinstanzen. "Die Bewertung des Bestandsmarktes ist ein langfristig angelegtes Großprojekt", sagt Hess. Wann ein nennenswerter Teil drankommt, sei nicht vorherzusagen. Tausende Medikamente sind laut Ludwig unnütz auf dem Markt. dpa/AZ

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