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AOK-Pflegereport: Psychopharmaka in Pflegeheimen kann Menschen mit Demenz gefährden

AOK-Pflegereport

Psychopharmaka in Pflegeheimen kann Menschen mit Demenz gefährden

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    Patientenschützer kritisieren: Demenzkranke werden in Pflegeheimen zu oft mit Psychopharmaka behandelt.
    Patientenschützer kritisieren: Demenzkranke werden in Pflegeheimen zu oft mit Psychopharmaka behandelt. Foto: Patrick Seeger/dpa

    Die Krankenkasse AOK veröffentlichte am Mittwoch in Berlin einen Pflegereport, der erschreckende Erkenntnisse enthält. Einer Studie zufolge erhalten einen zu großen Teil der circa 800.000 Pflegeheimbewohner in Deutschland zu viele Psychopharmaka.

    Die klinische Pharmakologin Petra Thürmann erstellte die Studie, die Teil des AOK-Pflegereports ist. Ihr zufolge sollen rund 30 Prozent der Pflegeheimbewohner – mit und ohne Demenzerkrankung - ein Antidepressivum erhalten haben. 40 Prozent der Bedürftigen, die an Demenz erkrankt sind, sollen außerdem auf Dauer ein Neuroleptikum verschrieben bekommen haben. Bei Pflegeheimbewohnern ohne Demenz liegt die Zahl laut Pflegereport bei 20 Prozent. Doch der Einsatz von Psychopharmaka kann gefährlich werden.

    Demenzkranke in Pflegeheim erhalten besonders schwere Psychopharmaka

    "Der breite und dauerhafte Neuroleptikaeinsatz bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz verstößt gegen die Leitlinien", warnt Thürmann im Hinblick auf die Ergebnisse. Neuroleptika werden verschrieben, wenn der Patient an krankhaften Wahnvorstellungen, also Psychosen, leidet. Die Expertin weist außerdem darauf hin, dass nur eine geringe Anzahl von Wirkstoffen in Neuroleptika für Demenzkranke als Behandlung von Wahnvorstellungen zugelassen sei. Die Nebenwirkungen sind dabei auch nicht ohne Gefahr: Stürze, Schlaganfälle und Thrombosen.

    Demenz in Deutschland

    Derzeit gehen Experten davon aus, dass jeder dritte Mann und jede zweite Frau damit rechnen muss, im Lauf des Lebens an Demenz zu erkranken.

    Das besagt der Pflegereport 2010 der Krankenkasse Barmer GEK. Die Zahl von 1,2 Millionen Demenzkranken wird sich demnach bis 2060 auf 2,5 Millionen mehr als verdoppeln.

    Von den Dementen gelten rund zwei Drittel als pflegebedürftig. Pro Monat braucht ein Demenzkranker im Schnitt gut 500 Euro mehr von den Pflege- und 300 Euro mehr von den Krankenkassen als ein durchschnittlicher Versicherter, hat der Autor der Studie, Heinz Rothgang, errechnet.

    Das sind rund 10 000 Euro im Jahr. Rechnet man die steigende Zahl der Dementen hoch, kommt man längerfristig auf einen zweistelligen Milliardenbetrag, der zusätzlich nötig wäre.

    Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte laut Experten von derzeit mehr als 2,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,4 Millionen steigen. 2050 könnte es laut Statistischem Bundesamt sogar 4,5 Millionen Pflegebedürftige geben. Hauptgrund ist die höhere Lebenserwartung.

    Die Ergebnisse der Studie spiegeln im AOK Pflegereport auch die Aussagen der Pflegekräfte zur Abgabe von Psychopharmaka an Demenzkranke wieder. Für den Pflegereport des AOK wurden 2.500 Pfleger und Pflegerinnen zu Psychopharmakaverordnungen in Pflegeheimen befragt.

    Diese beurteilten, dass durchschnittlich über 50 Prozent ihrer Pflegeheimbewohner Psychopharmaka erhielten. 64 Prozent der Betroffenen würden sogar länger als ein Jahr die Medikamente einnehmen. Allerdings finden das die Pflegekräfte nicht unbedingt verkehrt, 82 Prozent hielten diese Menge für angemessen.

    Psychopharmaka für Demenzkranke: Verantwortung liegt bei Ärzten und Heimleitern

    Auch wenn die Pflegekräfte den Heimbewohnern in manchen Fällen die Medikamente geben, sind sie nicht in erster Linie dafür verantwortlich, dass zu viele Psychopharmaka an Pflegebedürftige verschrieben werden. AOK-Chef Martin Litsch sieht da viel mehr die Verantwortung bei den Ärzten und Pflegeheimbetreibern. Letztere müssten nämlich auch den Einsatz nichtmedikamentöser Versorgungsansätze fördern.

    „Ärzte stehen in der Pflicht, diese Medikamente nur dann einzusetzen, wenn es nicht anders geht und auch nur so kurz wie möglich“, erklärt Litsch. In Verbindung mit Thürmanns Aussage wäre es demnach von Vorteil besonders der dauerhaften Verordnung von Psychopharmaka in Zukunft eine Grenze zu setzen. rlb/AZ, afp

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