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Psychische Krankheit: Depressionen: Die unheimliche Krankheit

Psychische Krankheit

Depressionen: Die unheimliche Krankheit

"Sei doch nicht immer so schlecht drauf!" Noch immer werden Depressionen oft nicht erkannt und verharmlost - dabei erkranken jedes Jahr 5,4 Millionen Deutsche.
"Sei doch nicht immer so schlecht drauf!" Noch immer werden Depressionen oft nicht erkannt und verharmlost - dabei erkranken jedes Jahr 5,4 Millionen Deutsche. Foto: Julian Stratenschulte/Illustration (dpa)

Depression - ein unheimliche Krankheit, die oft falsch verstanden und verharmlost wird, und auch im Jahr 2017 noch mit einem Tabu belegt ist - besonders bei Männern. Selbst Ärzte scheinen die Diagnose oft erst zu spät zu stellen. Der Weltgesundheitstag am 7. April steht darum unter dem Motto "Depression - Let's talk". Denn Reden scheint dringend nötig. 5,3 Millionen Menschen erkranken nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe daran - jedes Jahr. Depressionen seien auch die häufigste Ursache der jährlich rund 10 000 Suizide in Deutschland. Nach einer Analyse des Robert Koch-Instituts (RKI) zählen Depressionen zu den häufigsten psychischen Leiden in Deutschland und . Sie machten weder Halt vor dem Alter noch vor dem sozialen Status.

Depression: Betroffene wollen Erkrankung oft nicht wahrhaben

Ein Beispiel, wie gefährlich die Tabuisierung von Depressionen sein kann, sind die Möllers (Name geändert). Die Online-Seiten mit Scheidungstipps hat Dorothea Möller seit mehr als zwei Jahren gespeichert. Damals, mitten im Winter, ging nichts mehr. Ihr Mann zahlte eine horrende Büromiete, ging aber nie in seine Anwaltskanzlei. "In drei Monaten verlor er fast zehn Kilo, stand lautstark um vier Uhr morgens auf und wich jeder Nachfrage oder Berührung aus", erinnert sich die 52-jährige Berlinerin.

Als er davon redete, sich am liebsten vor die S-Bahn zu werfen, ging Dorothea Möller mit ihrem Mann noch am selben Tag zum Hausarzt. Dort sprach sie offen ihren Verdacht auf eine Depression aus. "Warten Sie drei Monate, dann wird das besser. Bei dem Wetter ist doch jeder mies drauf", sagte der Arzt. Für alle Fälle gab er dem Paar die Nummer einer Psychologin.

Nichts wurde besser. Der Hausarzt vermutete später Sauerstoffmangel im Schlaf. Die Psychologin brauchte zehn Sitzungen, um kein Problem mit dem Job-, sondern ein Problem mit der Partnerschaft in Betracht zu ziehen. Da war Dorothea Möller schon ausgezogen. "Ich habe jegliche Form von Partnerschaft vermisst und fühlte mich von meinem Mann völlig im Stich gelassen", sagt sie. Alle Gesprächsangebote habe er mit den Worten "Ich habe keine Depression" abgelehnt. Es dauerte ein Jahr, bis er aus eigenem Antrieb Hilfe bei einem Psychiater suchte und die Diagnose mittelschwere Depression erhielt. Da war er bankrott.

Warum Depressionen vielen unheimlich sind

"Psychische Erkrankungen haben etwas Unheimliches", sagt Ulrich Hegerl, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Leipzig. Es verändere sich ja nicht nur ein Organ oder Körperteil, sondern das Innerste, das Selbst. Das sei für die Betroffenen kaum erträglich. "Das gleiche gilt aber auch für Angehörige, Freunde und Kollegen, die diese Veränderungen auch bemerken. Sie sind beunruhigt, weil sie es nicht verstehen." Nicht-Verstehen heißt oft auch Nicht-Wissen. Eine Depression ist keine Reaktion auf schwierige Lebensumstände, Stress oder andere Probleme. "Es ist eine eigenständige schwere Erkrankung", betont Hegerl.

Viele verwechselten eine Depression jedoch immer noch mit "schlecht drauf sein". Oft treffe sie Menschen, die als Gesunde sehr verantwortlich und leistungsorientiert seien. Die Veränderungen der Persönlichkeit stellten Mitmenschen deshalb vor ein besonders großes Rätsel. Sätze wie "Nun reiß' dich mal zusammen" bewirkten aber nur noch größere Verzweiflung der Betroffenen. "Bei einer schweren Depression kann sich auch der disziplinierteste Mensch nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen", sagt Hegerl. Mit professioneller Hilfe aber sei sie meist gut behandelbar.

Depressionen verändern die Psyche

Neigungen zu Depressionen können genetisch bedingt sein, aber auch durch traumatische Erlebnisse entstehen. "Die Veranlagung führt zu veränderten Hirnfunktionen, zum Beispiel zu stärkeren Reaktionen auf Stress unterschiedlichster Art", erläutert der Experte. Viele Botenstoffe im Körper, die den Schlaf steuerten, den Appetit, aber auch die Fähigkeit Freude oder Hoffnung zu empfinden, wirkten anders. Die Depression rückt alles Negative ins Zentrum des Erlebens und vergrößert es riesenhaft: Stress im Job, in der Partnerschaft oder auch körperliche Beschwerden.

Vorurteile gegenüber Depressionen sind tief verwurzelt. Doch Hegerl sieht Fortschritte. Die Krankheit werde heute häufiger erkannt. Es steige also nicht die Häufigkeit an sich, sondern die Zahl der Diagnosen. "Eine sensationell gute Entwicklung sind die sinkenden Suizidraten in Deutschland", sagt er. Ein gutes Zeichen sei auch, dass Prominente wie Adele oder Bruce Springsteen offen über ihre Erkrankung sprächen.

Profis mit Burn-Out oder Depressionen

Sebastian Deisler: Der Fußballspieler des FC Bayern München ließ sich 2003 wegen anhaltender Depressionen stationär behandeln. 2007 beendete Deisler wegen Verletzungen und dem Druck im Fußball-Geschäft seine Karriere im Alter von 27 Jahren.

Jan Simak: Der Fußball-Profi galt einst als Wunderknabe. Er wurde von Bayer Leverkusen als Nachfolger von Michael Ballack verpflichtet. Den Erwartungen in ihn wurde Simak allerdings nie gerecht. Er zog sich 2003 - mittlerweile ausgeliehen an Hannover 96 - wegen einem Erschöpfungssyndrom in Verbindung mit schweren Depressionen zurück. Simak hatte auch Probleme mit Alkohol. Seit einem Entzug zeigt Simak wieder passable Leistungen. Momentan spielt er bei Carl Zeiss Jena.

Gianluigi Buffon: In den Jahren 2003 und 2004 litt der italienische Nationaltorhüter an starken Depressionen. Mittels Therapie zog sich Buffon aus dem Tief.

Robert Enke: Der Nationaltorhüter und Spieler von Hannover 96 litt seit 2003 an starken Depressionen. Er ließ sich immer wieder therapeutisch behandeln. Einen Erfolg hatte die Behandlung allerdings nicht. Robert Enke nahm sich am 10. November 2009 das Leben.

Andreas Biermann: Am 20. November 2009 gab der Profi von St. Pauli bekannt, dass er wie Enke an Depressionen leidet und sich stationär behandeln lässt. Biermann hatte im Oktober versucht, sich das Leben zu nehmen. Er überlebte. Mittlerweile spielt der 30-Jährige für den FC Spandau 06, weil St. Pauli seinen Vertrag nicht mehr verlängerte.

Markus Miller: Der ehemalige FCA-Torhüter gab im September 2011 bekannt, dass er an einem angehenden Burnout leidet. Er will die Krankheit mit Hilfe einer stationären Therapie in den Griff bekommen. Miller setzte bewusst die Öffentlichkeit über seine Krankheit in Kenntnis.

Ralf Rangnick: Der Fußball-Trainer von Schalke 04 legte am 22. September 2011 seine Arbeit beim Bundesligisten nieder. Rangnick äußerte sich in der Öffentlichkeit, dass er momentan nicht die Kraft für eine solche Aufgabe hat. Rangnick zieht sich mit einem Erschöpfungssyndrom aus dem aktiven Profi-Geschäft zurück.

Sven Hannawald: Der ehemalige Olympia-Sieger im Skisprung beendete im Jahr 2005 seine aktive Karriere. Ein Jahr zuvor begab sich die damalige Nummer eins im Skisport in stationäre Behandlung wegen eines Burnout-Syndroms. Nach erfolgreicher Therapie wendete sich Hannawald vom aktiven Leistungssport ab.

Florian Mayer: Der Profi-Tennisspieler legte im Jahr 2008 eine sechsmonatige Pause vom Profi-Sport ein. Erst im Jahr 2011 gab Mayer bekannt, dass er sich in dieser Zeit in einem tiefen mentalen Loch befand. Mittlerweile hat Mayer aber seinen Burnout überwunden und ist ins Profi-Tennis zurückgekehrt.

Bei der Behandlung von Depressionen besteht noch Handlungsbedarf

Dennoch kann es auch mit gutem Willen ein weiter Weg bis zum richtigen Arzt sein. "Depression ist die Erkrankung in unserem Gesundheitssystem mit dem größten Optimierungsspielraum", formuliert es Hegerl vorsichtig. Obwohl mit Antidepressiva und Psychotherapie gute Möglichkeiten zur Verfügung stünden, erhalte nur eine Minderheit der Patienten eine Behandlung nach den Leitlinien.

Dorothea Möller versucht bis heute, die Erkrankung ihres Mannes zu verstehen. Sie hat stapelweise Bücher darüber gelesen und mit anderen Betroffenen gesprochen. Nun vermeidet sie Druck, plötzliche Veränderungen und übt sich in Geduld. "Die Antidepressiva haben ihn ausgeglichener gemacht", sagt sie. Ihr Mann könne wieder arbeiten, aber maximal halbtags und ohne eigene Kanzlei. Doch einer Therapie verweigere er sich nach wie vor. "Er nennt die Depression eine Schwächephase", sagt sie. "So lange sich das nicht ändert, komme ich nicht zurück." dpa/sh

Wenn eine depressive Verstimmung chronisch wird 

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