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Sex: Der weibliche Orgasmus ist unnötig - aber warum gibt es ihn dann?

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Der weibliche Orgasmus ist unnötig - aber warum gibt es ihn dann?

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    In Lars von Triers Filmen Nymphomaniac I & II geht es um die Frau Joe (Charlotte Gainsbourg), die süchtig nach sexuellen Erlebnissen und Höhepunkten ist.
    In Lars von Triers Filmen Nymphomaniac I & II geht es um die Frau Joe (Charlotte Gainsbourg), die süchtig nach sexuellen Erlebnissen und Höhepunkten ist. Foto: Christian Geisnaes/Concorde Filmverleih, dpa

    Warum Männer Orgasmen haben, ist klar. Sperma dient der Erhaltung der Menschheit. Aber Frauen? Die werden auch so schwanger. Da kämpfen sich etliche Männer durch Sexratgeber wie „Der perfekte Liebhaber“ – dabei könnten sie es viel einfacher haben. Wenn es ihn nicht gäbe, den weiblichen Höhepunkt.

    Forscher in Amerika haben jetzt aber herausgefunden, dass es eine Zeit gab, in der ohne den Orgasmus der Frau nichts gegangen wäre. Zu Beginn der Evolution wurden dadurch Hormone ausgeschüttet, die den Eisprung erst auslösten. Damals galt also: Ohne Orgasmus kein Eisprung. Ohne Eisprung keine Befruchtung, keine Kinder, keine Menschheit. Inzwischen haben Frauen ihren Eisprung aber in regelmäßigen Abständen, bekanntlich alle 28 Tage. Bleibt also die Frage: Wieso ist der weibliche Orgasmus nicht evolutionär auf der Strecke geblieben? So wie wir zum Beispiel auch das Fell verloren haben, weil wir es nicht mehr brauchen.

    Schon die alten Griechen beschäftigten sich mit dem Orgasmus

    Der unnötige Orgasmus – ein Mysterium, das schon die Männer im antiken Griechenland beschäftigte. Aristoteles zum Beispiel war ein Verfechter der Ein-Samen-Theorie. Demzufolge liefert einzig der Mann den entscheidenden Stoff zur Fortpflanzung: das Sperma. Die Frau gebe lediglich irgendein Substrat dazu. Hippokrates aber – der Mann, von dem die Ärzte ihren Eid haben – war anderer Ansicht. Er glaubte, dass der weibliche Orgasmus sehr wohl wichtig ist. Ihm zufolge kann nur ein Kind empfangen werden, wenn sich die Samen (also die Ejakulationen) beider Geschlechtspartner begegnen.

    Aristoteles ließ sich von der Schlussfolgerung des Arztes nicht beirren. Er blieb dabei: Der weibliche Orgasmus ist nicht nötig, also ist es auch nicht wichtig, ob die Frau beim Sex Freude empfindet. Aristoteles ging es dabei lediglich darum, die Abläufe der Natur zu analysieren. Einigen konnte man sich im antiken Griechenland noch nicht.

    Später, Ende des 18. Jahrhunderts, hielten Ärzte nichts von der Ein-Samen-Theorie. Sie dachten, dass Frauen Lust empfinden müssen, um schwanger zu werden. Offenbar eine reine Männertheorie. Während der Aufklärung mehrten sich die Hinweise darauf, dass Frauen auch Kinder bekommen, wenn sie sich am Geschlechtsakt nicht hingebungsvoll beteiligt haben. Diese Erkenntnis schlich sich langsam ein, als zum Beispiel betrunkene Frauen, deren tiefer Schlaf missbraucht wurde, schwanger wurden. Die hippokratische Zeugungslehre war widerlegt, Aristoteles schien nun doch gewonnen zu haben. Die Sicht auf die weibliche Sexualität veränderte sich. Frauen wurden zunehmend als leidenschaftlos und sexuell desinteressiert wahrgenommen.

    Was heute klar ist: Frauen werden schwanger – auch ohne Orgasmus. Doch die Frage, ob oder wie sehr es ihn braucht, die ist auch über 2300 Jahre nach Aristoteles noch nicht geklärt. Wenn der weibliche Höhepunkt für den Erhalt der Menschheit keine Rolle spielt, warum gibt es ihn dann? Hat er doch noch Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit?

    Viele Fragen, aber kein wissenschaftlicher Durchbruch

    Viele Fragen, etliche Thesen, kein wissenschaftlicher Durchbruch. Eine fast schon romantische Theorie lautet so: Die Frau nutzt den Orgasmus, um den richtigen Partner zu finden. Wer es bringt, ist auf irgendeine Weise einfühlsamer und womöglich auch stark – schließlich steigert Testosteron die Potenz und die Muskelkraft. Oder – etwas technischer gedacht: Wenn sich die Beckenbodenmuskulatur beim Höhpunkt bewegt, gelangt das Sperma besser in den Genitaltrakt der Frau – das wäre dann für Befruchtung und Fortpflanzung durchaus relevant. Doch im Grunde sind diese Theorien ebenso belegt wie die, die Aristoteles einst aufstellte – nämlich gar nicht.

    Die Forscher Mihaela Pavlicev und Günter Wagner von den medizinischen Universitäten in Cincinnati und Detroit in Amerika haben sich deshalb dem Thema noch mal angenommen. Sie haben erforscht, was uns die Evolution über den weiblichen Höhepunkt lehrt. Ihre Ergebnisse wurden vor kurzem im Journal of Experimental Zoology veröffentlicht. Darin ziehen sie andere Säugetiere zum Vergleich heran. Der Orgasmus der Maus zum Beispiel schüttet Hormone aus, die den sogenannten spontanen Eisprung erst in Gang setzen. Auch bei der Frau werden diese Hormone, Prolactin und Oxytocin, durch den Orgasmus ausgeschüttet, obwohl sie den zyklischen Eisprung nicht extra auslösen müssen. Daraus ziehen die Forscher den Schluss, dass auch in der menschlichen Evolutionsgeschichte ursprünglich der Orgasmus der Frau der Auslöser eines damals noch spontanen Eisprungs war.

    Passend zu dieser These haben sie eine weitere Beobachtung gemacht. Demnach sei die Klitoris im Laufe der Evolution vom Inneren des weiblichen Geschlechts nach außen gewandert. Außen wird sie beim Geschlechtsverkehr weniger stimuliert und ein Orgasmus wird unwahrscheinlicher. Nun stellt sich für die Wissenschaftler aber noch die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Wanderte die Klitoris, weil der Eisprung bereits zyklisch auftrat und Orgasmen unwichtig wurden – oder musste der Eisprung sich zum zyklischen Konzept hin wandeln, weil durch eine außen liegende Klitoris weniger Orgasmen auftraten und ja irgendwie der Fortbestand der Menschheit gesichert werden musste? Nach wie vor sind also viele Fragen offen, auch wenn für die Wissenschaftler jetzt klar scheint, dass der Orgasmus wohl eine „glückliche Folge unserer evolutionären Vergangenheit“ ist.

    Abschließend noch mal zurück zu den Griechen, diesmal ins Reich der Götter. Dort wollten Zeus und Hera vom Propheten Teiresias wissen, ob Männer oder Frauen mehr Spaß beim Sex haben. Er antwortete: „Die erotische Freude der Frau ist neun Mal größer als die des Mannes.“ Und auch Philosoph Peter Sloterdijk spricht im Philosophie Magazin vom weiblichen Orgasmus als philosophische Ekstase, Einsichtsmoment, Verbindung zur göttlichen Macht. Wenn schon nicht aus wissenschaftlicher, so scheint zumindest aus philosophischer Sicht klar zu sein, warum es auch heute ohne den weiblichen Höhepunkt einfach nicht geht.

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