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Psychologie: Die Wut in der Blechkiste: Warum Autofahrer so oft aggressiv sind

Psychologie

Die Wut in der Blechkiste: Warum Autofahrer so oft aggressiv sind

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    Aggressive Autofahrer sollten sich lieber beherrschen - denn ein ausgestreckter Mittelfinger kann richtig teuer werden.
    Aggressive Autofahrer sollten sich lieber beherrschen - denn ein ausgestreckter Mittelfinger kann richtig teuer werden. Foto: Jens Büttner, dpa (Symbolbild)

    Die Straßen sind voll, die Ampeln ständig rot. Fünf Minuten bis zum Termin, fünf Kilometer bis zum Ziel. Mit etwas Glück könnte es noch klappen. Aber da ist auf einmal dieses lahme Auto vor uns. Es kriecht wie eine Schnecke und bremst an jeder Abbiegung. Depp! Schnarchsack! Penner! Das sind noch harmlose Beschimpfungen, die Autofahrer in derlei Situationen entfahren.

    Manche brüllen und gestikulieren aufgeregt, andere hupen, fahren dicht auf oder überholen riskant. Und mitunter haben derlei Aktionen schlimme Folgen. Nach Angaben der Unfallforschung der Versicherer entfallen etwa ein Drittel aller tödlichen Unfälle, die von Autofahrern verursacht wurden, auf Delikte wie riskantes Überholen, massive Geschwindigkeitsüberschreitungen, Schneiden und Drängeln.

    Aggressionen im Straßenverkehr sind ein alltägliches Problem, vor dem kaum jemand gefeit ist. „Fast jeder lässt sich provozieren und zum Beispiel dazu verleiten, dicht aufzufahren, wenn er in bestimmten Situationen steckt“, sagt der Psychologe Dr. Christian Maag vom Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften. Stress, Zeitnot, dichter Verkehr – derlei Faktoren begünstigen es, dass Menschen am Steuer gereizt reagieren.

    Dabei macht es einen großen Unterschied, ob ein Fahrer nur vor sich hinschimpft oder ob er andere bedrängt oder ausbremst. Wer sich dazu hinreißen lässt, gefährdet nicht nur sich und andere, sondern muss auch mit einer Strafe rechnen. Ein solches Verhalten kann nämlich als Nötigung im Straßenverkehr gewertet werden.

    Aggressiv am Steuer - Schuld ist der Frust

    Oft klagen Verkehrsteilnehmer, dass es auf deutschen Straßen immer aggressiver zuginge. Handfeste Belege dafür gibt es aber nicht. „Das lässt sich objektiv auch nur schwer messen“, sagt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC. Zum einen ist es subjektiv, was man als aggressiv empfindet: Ein Autofahrer fühlt sich z.B. angegriffen, weil er angehupt wird, ein anderer registriert das kaum. Zum anderen muss man davon ausgehen, dass aggressives Verhalten nur selten aktenkundig wird.

    Die Zahl der Anzeigen, in denen es unter anderem um Drängeln und Beleidigen geht, hat sich in den vergangenen Jahren offenbar nicht wesentlich verändert: Aus den Daten der Polizei in Schwaben und Oberbayern lassen sich jedenfalls nur geringe Schwankungen ablesen. „Auf jeden Fall haben aber die Klagen über aggressives Verhalten zugenommen“, sagt Chiellino. „Aufreger Nummer eins ist dabei zu dichtes Auffahren, insbesondere auf der Autobahn.“

    So können Autofahrer Aggressionen vermeiden

    Gute Planung: Zeitdruck macht Stress. Daher sollte man früh losfahren und auch Pausen einplanen.

    Nachsicht: Oft beruht scheinbar rücksichtsloses Verhalten nur auf Gedankenlosigkeit. Man sollte anderen Verkehrsteilnehmern also nicht gleich Böswilligkeit unterstellen.

    Vernunft walten lassen: Durch Drängeln und Rasen kommt man in der Regel auch nicht schneller ans Ziel. Dafür gefährdet man aber sich und andere. Was ist wichtiger: Sicher anzukommen oder einen Termin zu halten?

    Tief atmen: Um ruhiger zu werden, hilft es, tief in den Bauch zu atmen. Auch klassische Musik kann beruhigend wirken. Im Extremfall sollte man kurz anhalten, um sich die Beine zu vertreten und ein paar Lockerungsübungen zu machen.

    Auf Distanz: gehen Die meisten Situationen im Straßenverkehr sind es nicht wert, sich darüber aufzuregen. Es kann helfen, sich in Gedanken von außen zu betrachten, etwa in der Art: Sieht das nicht lächerlich aus, wie ich gerade wutschnaubend am Steuer sitze?

    So gaben bei einer ADAC-Motorwelt-Umfrage fast alle Befragten an, mindestens einmal Opfer aggressiven Verhaltens geworden zu sein. Allein 80 Prozent fühlten sich schon einmal von Dränglern provoziert. Und jeder fünfte Befragte war überzeugt, dass Aggressionen im Straßenverkehr in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hätten.

    Warum liegen am Steuer so oft die Nerven blank? „Das Primärmotiv ist Mobilität. Man will von A nach B kommen, und das sollte möglichst ungehindert vonstattengehen“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Fastenmeier, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie. Stau, Baustellen oder andere, langsamere Verkehrsteilnehmer seien dabei hinderlich, das Ziel schnell zu erreichen. „Das führt zu Frustration und daraus wird schnell Aggression. Man ist in solchen Situationen eher bereit, Regeln zu brechen.“

    Auch Fastenmeier geht davon aus, dass dieser Mechanismus grundsätzlich bei jedem funktioniert. Trotzdem sei es vom Fahrertyp abhängig, wie schnell sich ein Mensch zu aggressivem Verhalten hinreißen lasse. Wie wichtig ist ihm nämlich Prestige? Welche soziale Rolle möchte er spielen? Wie sehr gehört es zu seinem Selbstverständnis, schnell unterwegs zu sein? Oder ist es ihm eher wichtig, regeltreues Verhalten zu demonstrieren?

    Männer sind häufiger aggressive Autofahrer

    Tendenziell sind es offenbar eher Männer, die in diesem Zusammenhang durch Regelverstöße auffallen. Im Rahmen eines Projekts zu Aggressionen im Straßenverkehr stellten Maag und sein Team fest, dass vor allem Männer mittleren Alters, die Oberklasse-Limousinen steuerten, angezeigt wurden. „Wahrscheinlich handelt es sich um Männer, die eine gewisse Position erreicht haben und beruflich viel unterwegs sind“, erklärt der Psychologe.

    Ob ein Fahrer von anderen schnell als aggressiv eingestuft wird, hängt wahrscheinlich auch vom Aussehen seines Autos ab. So sagt Rüdiger Born vom Bundesverband niedergelassener Verkehrspsychologen: „Scheinwerfer und Kühlergrill erinnern an ein Gesicht. Manche Autos sehen eher nett und knuffig aus, andere böse. Es gibt zwar keine Forschung dazu, aber ich denke, dass das sicher eine Rolle spielt.“

    Eine Besonderheit beim Autofahren ist außerdem, dass man – geschützt von einer blechernen Karosserie – anonym unterwegs ist. „Auch im normalen Leben regt man sich öfters mal auf. Aber da gibt es ganz andere Kommunikationsmöglichkeiten“, sagt Born. „Wenn sich im Supermarkt jemand vordrängeln will, sieht man sich und schaut sich in die Augen. Außerdem könnten die anderen Kunden schnell eingreifen, wenn man ausfällig wird.“

    Dass jemand einem anderen Kunden mit dem Einkaufswagen den Weg abschneidet oder den „Stinkefinger“ zeigt, ist schwer vorstellbar. Daher raten Experten dazu, auch vom Auto aus mit anderen zu kommunizieren, indem man sich zum Beispiel per Handzeichen bedankt oder entschuldigt.

    Aggressives Fahren kann zur Gewohnheit werden

    Ein weiteres Problem sieht Fastenmeier darin, dass aggressives Verhalten im Straßenverkehr in der Regel folgenlos bleibt: „Es zieht weder soziale Sanktionen noch polizeiliche Strafen nach sich. Auch zu Unfällen kommt es eher selten“, sagt er. „Das wirkt wie eine Belohnung auf die Täter. Je nach Fahrertyp kann aggressives Verhalten also zur Gewohnheit werden.“ Dennoch sieht der Psychologe weder in strikten Polizeikontrollen noch in Tempolimits eine Lösung, sondern plädiert stattdessen für eine entsprechende Verkehrserziehung: „Es muss das Ziel sein, alle Verkehrsteilnehmer, also auch Radfahrer und Fußgänger, für das Thema zu sensibilisieren.“ Gezielte Kampagnen – wie etwa Posteraktionen an den Autobahnen - trügen dazu bei. Wichtig sei auch zu lernen, die Perspektiven der anderen zu verstehen. „Radfahrer und Autofahrer sind jeweils störend für den anderen. Schon in der Fahrschule sollte man lernen, sich in andere hineinzuversetzen.“

    Verständnis für andere Verkehrsteilnehmer ist auch für Maag ein zentraler Punkt. Wie unterschiedlich Situationen aus verschiedenen Perspektiven wahrgenommen werden, zeigte er bei Probandenstudien in der Fahrsimulation: „Je nachdem, ob eine Testperson auf der linken Spur der virtuellen Autobahn im vorderen oder hinteren Auto saß, hat sie ein und dieselbe Situation anders beurteilt“, sagt Maag. „Es kommt also nicht nur auf den Fahrer an. Auch wenn man sich selbst begegnen würde, könnte es zu Konflikten kommen.“

    Deshalb wirbt er dafür, sich in andere hineinzuversetzen. Das hätte auch im Anfangsbeispiel helfen können: Wahrscheinlich ist der „lahme“ Autofahrer so zögerlich gefahren, weil er etwas gesucht hat – eine Situation, die jeder aus eigener Erfahrung kennt.

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