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Interview mit Hans Mommsen: „Es ist falsch, alles auf Hitler zu reduzieren“

Interview mit Hans Mommsen

„Es ist falsch, alles auf Hitler zu reduzieren“

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    Der Historiker Hans Mommsen aufgenommen am Donnerstag (27.10.2005) in seiner Wohnung am Starnberger See.
    Der Historiker Hans Mommsen aufgenommen am Donnerstag (27.10.2005) in seiner Wohnung am Starnberger See. Foto: Frank Mächler

    Hans Mommsen forscht seit vielen Jahrzehnten über die deutsche Geschichte zwischen 1918 und 1945. Zuletzt erschien sein Buch „Zur Geschichte des 20. Jahrhunderts“. In dem Werk sind Essays des renommierten Historikers zusammengefasst. Unsere Zeitung besuchte den emeritierten Professor am Starnberger See.

    Sie haben sich eingehend mit der Gewichtung der Rolle Adolf Hitlers beschäftigt. Wäre ohne ihn die deutsche Katastrophe mit Weltkrieg und der Vernichtung der Juden so denkbar gewesen?

    Hans Mommsen: Die unglaublichen Exzesse hätte es vielleicht nicht gegeben. Aber vieles, was passierte, war in der Tendenz schon angelegt. Die Radikalisierung Hitlers ist wiederum auch ein Produkt der damals herrschenden Ressentiments. Es ist einfach falsch, alles, was geschehen ist, auf die Person Adolf Hitler zu reduzieren.

    Gab es denn ihrer Ansicht so etwas wie einen unheilvollen deutschen Nationalcharakter?

    Mommsen: Das glaube ich nicht. Mit solchen Charakterisierungen bin ich sehr vorsichtig.

    Welche Rolle spielte die romantische Hoffnung auf das Erscheinen einer großen Führerfigur?

    Mommsen: Diese Hoffnung erklärt ja nicht die Exzesse. Von großer Bedeutung waren meiner Ansicht dagegen die unendlichen Auswirkungen der Macht des Staatsgedankens. Hinzu kam die NSDAP-Parteistruktur, die letztlich die Basis dafür war, dass eine kleine Münchner Clique Hitler an die Macht brachte.

    Sie haben sich eingehend mit den verschiedenen Facetten des deutschen Widerstands beschäftigt. In diesem Zusammenhang haben Sie sich gegen eine Überhöhung Graf von Stauffenbergs gewandt. Was ist falsch daran, diesen mutigen Mann zu bewundern?

    Mommsen: Ich habe sehr großen Respekt vor Stauffenberg, der mit Recht als Repräsentant des Widerstandes gilt. Für mich geht es aber auch darum, die Protagonisten des Widerstandes politisch einzuordnen. Stauffenberg war in erster Linie Soldat, wie sein Ausspruch „Die Armee ist die am nächsten zum Volke stehende Institution“ zeigt.

    Trifft es zu, dass er zu lange die Kriegsziele der Machthaber gestützt hat?

    Mommsen: Nein. Ich bin der Ansicht, dass Stauffenberg viel früher als die große Mehrheit der militärischen Führung gesehen hat, dass der Krieg gegen die Sowjetunion aussichtslos war.

    Sie haben sich vehement für eine Neubewertung des Widerstandes der „Roten Kapelle“, die in der DDR-Geschichtsschreibung fast als allein relevante Organisation gegen das Naziregime dargestellt wurde, eingesetzt. Warum?

    Mommsen: Zunächst einmal war die „Rote Kapelle“ vor der Enttarnung ihrer wichtigsten Protagonisten durch den sowjetischen Geheimdienst 1942 – zumindest im Berliner Raum – die so ziemlich größte Organisation des Widerstandes. Es handelte sich um ein Netz aus Intellektuellen, Akademikern, Künstlern, Schriftstellern und Facharbeitern. Ihre Bedeutung wurde im Westen jahrzehntelang unterschätzt; auch wurde sie als kommunistisch gesteuerter Spionagering bezeichnet – zu Unrecht. Ich halte die „Rote Kapelle“ für eine wichtige Variante des Widerstandes.

    Welche Möglichkeiten des Widerstands hatte der Einzelne?

    Mommsen: Man konnte den Weg in die innere Immigration wählen. Ab dem Jahr 1941 nahm die Unterstützung für die Nazis leicht ab, der Hitler-Kult aber blieb ungebrochen. Für nicht organisierte Bürger gab es kaum Möglichkeiten, Widerstand zu leisten.

    Stimmen Sie zu, dass die Generation der deutschen Weltkriegssoldaten, also unserer Väter und Großväter, nach dem Krieg alleinegelassen, ja gar verteufelt worden ist?

    Mommsen: Eine regelrechte Verteufelung sehe ich nicht. Richtig ist, dass die späten Kriegsjahre in der Bevölkerung lange weitgehend verdrängt wurden – und zwar auch von den Beteiligten selber. Man empfand die Erfahrungen als belastend. Die Bedeutung und die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges rückten in vollem Umfang erst heute ins öffentliche Bewusstsein – aus dem zeitlichen Abstand heraus.

    Für viele unmittelbar Beteiligte kommt das zu spät. War es nicht ein schwerer Fehler, der Generation keine Stimme gegeben zu haben?

    Mommsen: Das war sicher nicht gut. Doch wer war dafür verantwortlich? Es gab den unbedingten Vorrang der Aufbauarbeit, die Spaltung Deutschlands sowie die systematische Verdrängung in der Adenauer-Zeit.

    Die Gegenbewegung gegen Adenauer waren die 68er, die die Kriegsgeneration dann allerdings pauschal verurteilt haben.

    Mommsen: Die Frage ist doch aber auch, warum zuvor die Geschehnisse im Dritten Reich so konsequent verdrängt wurden.

    Im Rückblick auf ihre Laufbahn als Historiker, die ja bereits 1951 begann: Ist die Aufarbeitung trotz der Versäumnisse in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg vernünftig gelungen?

    Mommsen: Insgesamt ist die Bilanz eher positiv. Die Frage bleibt, warum so viele gefolgt sind, sich nicht widersetzt haben. Es reicht nicht, die ideologische Einflussnahme durch die Nationalsozialisten in den Vordergrund zu stellen. Wichtig sind die Strukturen, welche die Radikalisierung erst ermöglicht haben.

    Was können junge Leute aus der Geschichte lernen?

    Mommsen: Dass die Manipulation der öffentlichen Meinung möglich und sehr gefährlich ist.

    Fühlen sich die Deutschen heute zu sicher?

    Mommsen: Die Gefahr durch rechtsradikale Parteien halte ich für eher gering. Was mir Sorgen macht, ist die extreme Bürokratisierung. Auch unsere restriktive Einwanderungspolitik halte ich für falsch. Was da spukt, ist mir suspekt. Aus wirtschaftlicher Sicht müsste man die Einwanderung deutlich forcieren.

    Wie schätzen Sie die Chancen für rechtspopulistische Parteien, die ja in Österreich oder Holland sehr erfolgreich sind, bei uns ein?

    Mommsen: Das Potenzial ist sicher da. Insbesondere mit Blick auf die Schuldenproblematik. Wir wissen nicht, wohin uns der globale Kapitalismus führt. Ich habe durchaus die Befürchtung, dass in Europa autoritäre Systeme entstehen können. Dabei denke ich nicht zuletzt an die bedenklichen Vorgänge in Ungarn.

    Sie waren 14 Jahre, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Haben Sie Angst, dass es einen neuerlichen großen Krieg geben könnte?

    Mommsen: Ich kann mir das kaum noch vorstellen.

    Ist das nicht gerade das Problem, dass man sich das nicht mehr vorstellen kann? Leben wir nicht in einer trügerischen Sicherheit?

    Mommsen: Heute werden Kriege geführt, die nach traditionellen Begriffen keine Kriege sind – wie in Libyen oder Syrien. Das hat mit den Weltkriegen nichts zu tun, doch es ist die moderne Form von Kriegen, mit denen wir rechnen müssen. Die eigentliche Gefahr dieser Epoche ist für mich die Auflösung der Zivilgesellschaften.

    Das Gespräch führten Simon Kaminski, Walter Roller und Markus Günther

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