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Neurologie: Hirn in Gefahr: Die Zahl junger Schlaganfall-Patienten nimmt zu

Neurologie

Hirn in Gefahr: Die Zahl junger Schlaganfall-Patienten nimmt zu

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    Die Zahl junger Schlaganfall-Patienten nimmt zu.
    Die Zahl junger Schlaganfall-Patienten nimmt zu. Foto: Felix Kästle (dpa)

    So erkennen Sie einen Schlaganfall

    Mit einem einfachen Test können auch Laien erkennen, ob ein Mensch einen Schlaganfall erlitten hat.

    F – A – S – T lautet die Abkürzung dieses Tests, das steht für Face (Gesicht), Arms (Arme), Speech (Sprache) und Time (Zeit).

    Face (Gesicht): Bitten Sie den Betroffenen zu lächeln. Ist das Gesicht einseitig verzogen? Das deutet auf eine Halbseitenlähmung hin.

    Arms (Arme): Bitten Sie den Menschen, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Wenn er das nicht kann, ist das ein weiterer Verdachtsmoment.

    Speech (Sprache): Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.

    Time (Zeit): Rufen Sie sofort die 112 und schildern Sie die Symptome.

    Konrad Willy (Namen von der Redaktion geändert) weiß genau, wie sich ein Schlaganfall anfühlt. „Plötzlich ist die ganze Kraft im Bein oder im Arm weg“, erzählt der 87-Jährige. Der alte Herr hat Erfahrung, insgesamt sechs Schlaganfälle hat er schon hinter sich. Er kennt die möglichen Symptome: Schwindel, Kraftlosigkeit, Kribbeln in den Extremitäten. Anneliese Willy, seine 84-jährige Ehefrau, hatte ebenfalls schon einen Schlaganfall – und sah eine Weile alles doppelt. Das Ehepaar entspricht somit den gängigen Vorstellungen, wenn es um den Schlaganfall geht, die da lauten: Er trifft vor allem alte Menschen, und er macht typische, eindeutig erkennbare Symptome.

    Doch diese Vorstellungen sind nur teilweise richtig. Nicht nur, weil manche Schlaganfälle kaum akute Beschwerden machen, sondern weitgehend „stumm“ verlaufen – „weltweit erkranken immer mehr jüngere Menschen“, immer mehr Menschen, die „in der Mitte des Lebens stehen“, meldete heuer die Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Ihren Angaben zufolge tritt heute weltweit annähernd ein Drittel aller Schlaganfälle bei Patienten im Alter zwischen 20 und 64 Jahren auf. Zu Beginn der 1990er Jahre sei nur ein Viertel in dieser Altersgruppe zu verzeichnen gewesen. Man gehe davon aus, dass mit dem Wohlstand auch die Risikofaktoren gewachsen seien, heißt es.

    Schlaganfälle: "Bei jüngeren Menschen ein großes Thema"

    „Wir sehen relativ viele junge Patienten mit Schlaganfall, der Schlaganfall ist definitiv keine Erkrankung nur der Älteren, auch wenn seine Häufigkeit mit dem Lebensalter ansteigt“, sagt Professor Markus Naumann, Chefarzt der Neurologischen Klinik am Augsburger Klinikum. „Schlaganfälle bei Jüngeren sind ein großes Thema für uns, die Ursachen sind meist andere als bei Älteren.“ Während bei Senioren oft Gefäßerkrankungen, langjähriger Bluthochdruck, Arteriosklerose und das Vorhofflimmern, eine Herzrhythmusstörung, ausschlaggebend seien, könne bei jüngeren Menschen zwar auch einmal ein Schlaganfall durch schlecht behandelten Bluthochdruck vorkommen, doch seien bei Jüngeren gerade Dissektionen der Halsschlagader als Auslöser eines Schlaganfalls sehr häufig.

    Dissektion bedeutet: Die Innenhaut der Arterie löst sich ab. Meist kommt es zunächst zu einem Einriß der Innenhaut, Blut gelangt zwischen die Wandschichten, Blutplättchen lagern sich an. Der Gefäßdurchmesser wird verkleinert oder das Gefäß komplett verstopft. Auslöser einer Dissektion seien entweder eine ererbte Veranlagung – oder Verletzungen wie ein Schlag oder ein Sturz auf den Hals, sagt Naumann. Aber auch „chiropraktische Einrenkmanöver“ könnten eine Rolle spielen.

    Erlebt hat so etwas Barbara Dreier (Name geändert). Die damals 30-Jährige war wegen eines steifen Halses bei einem Facharzt gewesen, der ihr den Hals „wieder einrenkte“. Vier Tage später, als sie ihre Wohnung verlassen wollte, rannte sie gegen den Türstock und stürzte. Dann lag sie hilflos auf dem Boden, konnte nur noch die Augen bewegen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie endlich zum Telefon kriechen, den Hörer halten, wieder sprechen und somit auch Hilfe holen konnte, erzählt sie. An einen Schlaganfall habe sie damals überhaupt nicht gedacht – einfach, „weil man mit 30 Jahren nicht daran denkt“.

    Als man sie in der Stroke Unit des Augsburger Klinikums behielt und ihr die Diagnose offenbarte, war sie entsprechend überrascht. Das Einrenkmanöver, erklärte man ihr, hatte wahrscheinlich ihre Arterien an der Halswirbelsäule verletzt, es war zu Einblutungen gekommen, und ein Gerinnsel hatte der Blutstrom ins Kleinhirn geschwemmt. Zum Glück, sagt die hübsche Frau heute, 16 Jahre später, habe sich das Gerinnsel damals von selbst wieder aufgelöst – „sonst hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt.“

    Jedes Jahr suchen Patienten mit einer Dissektion das Augsburger Klinikum auf

    Naumann kennt viele solche Fälle; am Augsburger Klinikum, sagt er, gebe es jedes Jahr eine ganze Reihe von Patienten mit einer Dissektion, im Schnitt etwa einen Fall pro Woche. Ein akuter Schmerz im Hals-Nacken-Bereich, begleitet von neurologischen Ausfällen, seien „hochverdächtig“ für diese Form des Schlaganfalls. Daneben könnten gerade bei jüngeren Menschen aber auch Gefäßentzündungen durch Infektionen wie Borreliose, Herpes zoster (Gürtelrose) oder Syphilis zu einem Schlaganfall führen, ebenso Herzerkrankungen oder angeborene Störungen der Blutgerinnung.

    Junge Schlaganfall-Patienten würden geradezu auf den Kopf gestellt, um eventuellen Herzleiden oder Blutgerinnungsstörungen auf die Spur zu kommen, betont Naumann. Insbesondere bei Jüngeren wolle man nichts übersehen, was möglicherweise zu einem weiteren Schlaganfall führen könnte. Allerdings: In etwa 20 bis 30 Prozent der Fälle bleibe die Schlaganfall-Ursache trotz intensivster Anstrengungen im Dunkeln. „Kryptogen“ werden solche Schlaganfälle mit unklarem Auslöser genannt.

    Schlaganfälle geben der Medizin bis heute Rätsel auf

    Ja, Schlaganfälle geben trotz aller Fortschritte in Diagnostik und Therapie bis heute nicht wenige Rätsel auf. „Zeit ist Hirn“, warnen Experten seit Jahren und fordern dazu auf, schleunigst den Notarzt zu rufen, wenn sich typische Symptome zeigen. Was aber, wenn es keine solchen Symptome gibt? Nicht wenige Schlaganfälle verlaufen „stumm“, das heißt ohne Lähmungserscheinungen oder auffällige Sprach- und Sehstörungen.

    Hintergrund: Schlaganfall

    Neben Krebs- und Herzerkrankungen gehört der Schlaganfall zu den häufigsten Todesursachen.

    Ein Schlaganfall entsteht, wenn das Gehirn durch verstopfte oder geplatzte Blutgefäße nicht mehr oder nicht mehr genügend mit Blut und Sauerstoff versorgt wird.

    Im Jahr erleiden knapp 270.000 Deutsche einen Schlaganfall.

    Rund 200.000 davon haben nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe erstmalig einen solchen Hirninfarkt.

    20 Prozent der Betroffenen sterben innerhalb von vier Wochen, 37 Prozent innerhalb eines Jahres.

    Fast eine Million Menschen leiden in Deutschland an den Folgen der Erkrankung - einseitige Lähmungen und Gefühlsstörungen der Arme und Beine sowie Sprach-, Schluck-, Seh- und Gleichgewichtsstörungen.

    Viele Schlaganfälle entstehen durch die Verengung von Blutgefäßen im Gehirn oder durch Gerinnsel, die aus anderen Teilen des Körpers kommen und Hirngefäße verstopfen.

    Symptome eines Schlaganfalls können sein: plötzliche halbseitige Lähmung des Körpers, Seh- und Sprechstörungen, Schwindel, Bewusstlosigkeit, schlagartig auftretende, starke Kopfschmerzen.

    Opfer eines Schlaganfalls müssen so schnell wie möglich ärztlich versorgt werden, es kommt auf jede Minute an.

    Diana Maurer (Name geändert) zum Beispiel wachte morgens auf, fühlte sich „irgendwie mies“ und hatte zudem das unbestimmte Gefühl, dass etwas mit ihrem Mundwinkel nicht stimmte. Sie schaute in den Spiegel und fand, dass eine der Falten neben dem Mund tiefer schien als die andere. Aber die Mundwinkel ließen sich bewegen! Also kein Grund zur Panik, befand die damals 51-Jährige. Erst als sie später trotz jahrzehntelanger unfallfreier Fahrpraxis aus nichtigem Anlass mit dem Auto eine Leitplanke streifte, wurde sie stutzig. Eine Kollegin, der sie davon erzählte, zog die richtigen Schlüsse und alarmierte einen Notarzt.

    Bei anderen gibt es nicht einmal solche dezenten Hinweise – sie erfahren von einem abgelaufenen Schlaganfall irgendwann per Zufall, wenn aus einem anderen Grund eine Untersuchung des Gehirns notwendig wird. So wie Manfred Haller (Name geändert). Als man bei ihm wegen einer Fazialisparese eine Computertomografie des Kopfes machte, fand man im Gehirn Narben früherer kleiner Schlaganfälle. Davon hatte der heute 62-Jährige aber gar nichts bemerkt.

    Auch die stumme Schlaganfall-Variante ist gefährlich

    Die stumme Variante sei keineswegs harmlos, warnt aponet, das Gesundheitsportal der deutschen Apotheker. „Ein Schlaganfall kann sich in einem Areal ereignen, das nicht für Bewegung oder Sprache zuständig ist. Dann treten auch keine der typischen Symptome auf“, wird Professor Martin Grond zitiert, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Doch nach jedem Schlaganfall, egal ob stumm oder nicht, steige die Gefahr, erneut einen Schlaganfall zu erleiden. Ärzte betonen zudem, dass ein Fehler im Gehirn, sozusagen in der Steuerzentrale des Körpers, immer großen Stress für den Organismus bedeute.

    Bei den 60-Jährigen zeigt laut Grond etwa jeder Zehnte Anzeichen für einen stummen Schlaganfall. „Bei den 70-Jährigen ist es bereits fast jeder Fünfte“, so der Neurologe gegenüber aponet. Unerkannte Schlaganfälle führten in der Summe zu weniger Hirnmasse, erklärt Naumann dazu. Sei das Gehirn mit Infarkt-Narben übersät, könnten klinisch eine Demenz in Erscheinung treten oder Gang- und Blasenstörungen auftreten. Harmlos ist ein stummer Schlaganfall also nicht, zumal ein weiterer, unter Umständen größerer Schlaganfall folgen kann.

    Gibt es Möglichkeiten, einen untypisch verlaufenden Schlaganfall dennoch zu erkennen? Bei Verdacht den Betroffenen etwas vorlesen, schreiben, rechnen oder auch einige Wörter merken lassen lassen, rät Naumann. Oder, falls er Klavierspieler ist, ihn das Instrument spielen lassen. Oft werden dabei vorhandene Defizite sichtbar.

    Man kann auch schauen, ob ein Arm einseitig absinkt, wenn der Betroffene die Augen schließt und beide Arme nach vorne ausstreckt – ein Test, auf den auch Neurologen zurückgreifen. Und: Egal, ob „leichter“ oder „schwerer“ Schlaganfall – man muss beide gleich ernst nehmen, betont der Chefarzt.

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