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Arthrose: Jedem sein eigenes Kunstgelenk

Arthrose

Jedem sein eigenes Kunstgelenk

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    Jedem sein eigenes Kunstgelenk
    Jedem sein eigenes Kunstgelenk Foto: Psdesign1 - Fotolia.com

    Wenn es um die Vorzüge der neuen individuellen Knieprothesen geht, wählen Ärzte gern den Vergleich von Maßanzug und Klamotten von der Stange. So ähnlich sei das. Natürlich gibt es einerseits heute eine große Auswahl an Knieimplantaten verschiedener Größen, um für jeden etwas Passendes zu finden, wie bei Kleidung auch. Auf der anderen Seite aber gibt es ebenso die Möglichkeit, für den einzelnen Patienten exakt das eigene Knie nachzubilden, wenn es ersetzt werden muss - mit Hilfe des 3-D-Druckes. Oft ist vom "Kniegelenk aus dem 3-D-Drucker" die Rede. Was so freilich nicht ganz richtig ist. "Die Prothesen selbst werden nicht gedruckt", verdeutlicht Professor Maximilian Rudert, Chefarzt des König-Ludwig-Hauses und Ordinarius für Orthopädie des Universitätsklinikums Würzburg, "sondern die Instrumente, die beim Einbau helfen". Die individuell maßgeschneiderte Prothese dagegen wird aus Metall hergestellt, und das Besondere dabei ist, dass nach einem dreidimensionalen Modell die Oberfläche des patienteneigenen, natürlichen Gelenkes reproduziert wird - ebenfalls mit Hilfe des 3-D-Druckes, der die Negativ-Formen liefert. Normalerweise sei es so, dass der Knochen des Patienten an die Prothese angepasst werde, doch bei den individuell angefertigten Kniegelenken sei es umgekehrt. So sieht der Ablauf aus: Ein Patient, der hierzulande wegen einer schweren Arthrose ein neues Kniegelenk benötigt, wird einer Computertomografie unterzogen. Die Daten werden in die USA übermittelt, zu einer Firma in Boston, die daraus ein dreidimensionales Modell des Patientenknies erstellt. Und genau dieses Knie wird mit der Prothese nachgebildet. Die maßgefertigte Prothese samt der gedruckten individuellen Einbau-Instrumente kommt einige Wochen später über den großen Teich nach Deutschland - in einem Paket, das kaum größer ist als ein Schuhkarton. Dr. Jens Otto nennt sich selbst einen vorsichtigen Arzt. In vielen Jahren hat der Chefarzt der Augsburger ArthroKlinik gelernt, dass manches, was in der Medizin propagiert wird, schließlich doch nur "großer Mist" ist. Deshalb ist er eigentlich zurückhaltend, was Neuerungen angeht. Aber "auf so was", sagt er, "habe ich immer schon gewartet." Ebenso wie Rudert gehörte er zu den Ersten, die hierzulande auf die neue Knieprothese setzten, die seit sieben bis acht Jahren in den USA, seit etwa sechs Jahren auch bei uns erhältlich ist. Rund sechs Jahre Erfahrung, das bedeutet: Langzeitergebnisse gibt es noch nicht. "Aber wir stellen uns vor, dass die Haltbarkeit länger sein wird als bei normalen Prothesen", sagt Otto, einfach deshalb, weil mit dem neuen Implantat manche Probleme wegfallen, die die Haltbarkeit normaler Prothesen beeinträchtigen. Freilich: Schlecht sind auch die Prothesen von der Stange nicht, sie haben sich über viele Jahre hinweg bewährt, betonen die beiden Ärzte. Aber um eine Standardprothese einzupassen, muss einfach mehr vom Knochen entfernt werden, damit sie richtig sitzt. Gerade bei jüngeren Patienten sei das ein Manko, heißt es. Als "jünger" gelten bei Knieprothesen Menschen im Alter unter 60 Jahren, Leute also, die es nach menschlichem Ermessen erleben können und werden, dass die Prothese eines Tages ausgewechselt werden muss. Denn bei Prothesen geht man derzeit von 15 bis 20 Jahren Haltbarkeit aus. Doch jede Wechseloperation sei schwieriger als die Erstimplantation, sagt Rudert. Bei jedem Wechsel gehe wieder Knochensubstanz verloren. Also gilt es, von Anfang an sparsam damit umzugehen - und diese Möglichkeit bietet die Individualprothese. Von deren Vorteilen sind beide Ärzte überzeugt: "Der Eingriff kann vielfach kleiner gehalten werden, weil wir individuell auf den individuell vorhandenen Schaden eingehen können", sagt Jens Otto. Es gebe weniger Blutungen aus dem Knochen, weil die Passform perfekt sei und die Schnittflächen am Knochen komplett von der Prothese abgedeckt würden, sagt Maximilian Rudert. Ein kleineres Trauma bedeutet aber auch weniger Schmerzen oder Schwellungen und eine schnellere Erholung. Jens Otto hat sich der Individualprothese langsam genähert. Er sei begeistert gewesen von der Idee, erzählt er, und habe zunächst einmal zehn, fünfzehn der neuen Prothesen implantiert. Dann machte er ein Jahr Pause - und begann erst wieder, als er gesehen hatte, dass die Sache "hervorragend funktioniert". Inzwischen, so schätzt er, hat er gut 50 Patienten mit Individualprothesen versorgt. Die Erfahrungen, erklärt er, seien ausgesprochen gut. Und auch Rudert, der bislang nach eigenen Angaben etwa 100 der neuen Prothesen implantierte, hat sehr viel positive Rückmeldungen bekommen. Warum gibt es die Individualprothese fürs Knie, aber bislang nicht für die Hüfte? "Meines Erachtens", sagt Rudert, "ist das Kniegelenk das am schwersten zu ersetzende Gelenk überhaupt." Deshalb sei der Bedarf für eine optimale Prothese bei diesem Gelenk am höchsten. Bei der Hüfte sei der Einbau eines Kunstgelenkes meist schnell vergessen, die Patienten spürten es bald nicht mehr. Anders beim Knie. Zehn bis 20 Prozent derjenigen, die eine Kniegelenksprothese erhalten, heißt es, seien später nicht damit zufrieden. Deshalb gelte es, die schon sehr gute Technik weiter zu verbessern. Dass ein Teil der Patienten mit den Knieprothesen nicht zurechtkommt, liege freilich nicht nur an der Prothese selbst, so Ruderts Erfahrung. Deshalb könne auch die neue Prothese kein "Allheilmittel" sein. Der Schmerz nach einer Implantation sei vielmehr multifaktoriell, also durch verschiedene Faktoren bedingt - etwa auch durch den Zustand der umgebenden Weichteile. Und nicht zuletzt durch das Heilungsverhalten im Hinblick auf Rauchen oder Gelenksbelastung und durch das Wesen des Patienten selbst: "Es gibt Patienten, die sind sehr positiv eingestellt", sagt Otto, "andere dagegen sehr kritisch." Im Vergleich zu den implantierten Standard-Prothesen macht die Individualprothese freilich bislang nur einen kleinen Anteil aus - weit unter zehn Prozent in der Augsburger ArthroKlinik und etwa zehn Prozent in Würzburg. Warum? Es liegt nicht nur daran, dass nicht jeder Patient dafür geeignet ist (bei ausgeprägten X- oder O-Beinen oder fehlenden Bändern beispielsweise ist der Einbau nicht möglich), sondern auch daran, dass sie sehr teuer ist und nicht jeder eine solch teure Prothese braucht. Dennoch: Die Anteile werden steigen, sind die Ärzte überzeugt. Dass die "Gelenke aus dem 3-D-Drucker" nur eine vorübergehende orthopädische Modeerscheinung ist, glauben beide nicht. "Dafür sind sie zu gut durchdacht und zu gut gemacht", sagt Jens Otto. Und Maximilian Rudert erklärt: "Während man operiert, überzeugt einen das sofort, vom Gefühl und von der Passform her ist das nicht vergleichbar mit einer normalen Prothese". Trotzdem: "Wir müssen erst noch nachweisen, dass es besser ist als das, was wir bisher haben", fügt er hinzu. Die neuen Prothesen müssen sich jetzt langfristig bewähren.

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