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Neurologie: Zucker: Treibstoff oder Bremse?

Neurologie

Zucker: Treibstoff oder Bremse?

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    Ist Zucker "Treibstoff" fürs Gehirn? Oder schädlich? Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen des Gedächtnisses durch erhöhte Zuckerwerte kommen zum einen aus Tierversuchen.
    Ist Zucker "Treibstoff" fürs Gehirn? Oder schädlich? Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen des Gedächtnisses durch erhöhte Zuckerwerte kommen zum einen aus Tierversuchen. Foto: Andrea Warnecke, dpa

    Ist Zucker „Treibstoff“ fürs Gehirn – oder macht er eher dumm und vergesslich? Während früher der Griff zum Traubenzucker speziell vor Prüfungen als probates Mittel galt, das Gehirn zu Bestleistungen anzuspornen, gibt es in letzter Zeit auch Hinweise, dass zumindest ein dauerhaft hoher Blutzuckerspiegel für Merkfähigkeit und andere kognitive Leistungen eher abträglich ist – und zwar auch unterhalb diabetischer Werte.

    Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen des Gedächtnisses durch erhöhte Zuckerwerte kommen zum einen aus Tierversuchen. Die Frankfurter Rundschau berichtete schon 2012 über eine US-Untersuchung an Ratten, die im Journal of Physiology veröffentlicht worden war. In dieser Studie hatten Tiere nach einer Art Zuckerdiät Probleme, durch ein kompliziertes Labyrinth zu finden, obwohl sie den Weg zuvor einstudiert hatten. Die Studie zeigte, dass eine Ernährung mit einer konstant hohen Dosis Fructose (Fruchtzucker) die Gehirntätigkeit verlangsamt und das Gedächtnis schwächt, hieß es.

    Die gute Nachricht aus der Studie lautete, dass eine zweite Gruppe von Ratten, die nicht nur mit Zucker, sondern zugleich auch mit Omega-3-Fettsäuren gefüttert worden war, den Weg durchs Labyrinth deutlich schneller zurücklegte als die Vergleichsgruppe. Omega-3-Fettsäuren, die beispielsweise in bestimmten Fischen, Ölen und Nüssen enthalten sind, konnten der „Verdummung“ durch die Zuckernahrung offenbar entgegenwirken.

    Ratten litten schon nach einer Woche unter Gedächtnisstörungen

    Unlängst nun berichtete das Institut Ranke-Heinemann, ein australisch-neuseeländischer Hochschulverbund, über eine weitere Ratten-Studie der University of New South Wales in Australien, erschienen in der Zeitschrift Brain, Behavior and Immunity: Darin wiesen Forscher den Angaben zufolge nach, dass Ratten, die mit sehr fett- und zuckerhaltigem Futter gefüttert wurden, schon nach einer Woche unter Gedächtnisstörungen litten – wobei die Ergebnisse, wie es heißt, bei jenen Ratten, die zwar gesundes Futter, aber zusätzlich Zuckerwasser erhalten hatten, ähnlich gewesen seien.

    Die Gedächtnisschädigung bezog sich auf das Wiedererkennen von Orten. Die Tiere litten zugleich unter Entzündungen im hippocampalen Bereich des Gehirns, welcher mit der räumlichen Erinnerungsfähigkeit in Verbindung gebracht wird. Die Forscher vermuten den Angaben zufolge, dass ihre Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. Je älter wir werden, desto entscheidender sei gesunde Ernährung – sie könnte dem Abbau der geistigen Fähigkeiten entgegenwirken, wird Professor Margaret Morris, die Leiterin der Studie, zitiert.

    Über eine Untersuchung an Menschen hatte kürzlich eine Forschergruppe um Professor Agnes Flöel an der Berliner Charité berichtet. Dort hatte man 141 gesunde Probanden im Durchschnittsalter von 63 Jahren auf ihre Gedächtnisleistungen hin untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Teilnehmer mit einem dauerhaft niedrigen Blutzuckerspiegel (gemessen anhand des HbA1C-Werts, einem Langzeitmarker für Zucker im Blut) in Gedächtnistests deutlich besser abschnitten im Vergleich zu Personen, die einen dauerhaft höheren Blutzuckerspiegel hatten. Und: in kernspintomografischen Untersuchungen zeigte sich, dass der Hippocampus, eine für Gedächtnisleistungen wichtige Hirnregion, bei Menschen mit solch dauerhaft höherem Blutzuckerspiegel kleiner war und eine schlechtere Struktur aufwies als der von Probanden mit dauerhaft niedrigem Blutzuckerspiegel.

    Es wird schlecht über Kohlenhydrate berichtet

    Also Hände weg vom Zucker? Professor Rainer Spanagel, Psychopharmakologe am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Zucker und Gehirn – vor allem mit der Frage, ob Zucker süchtig machen kann. Er relativiert den Befund: „Volumenänderungen des Hippocampus können sehr dynamisch sein“, erklärt er. Und komplett reversibel, also umkehrbar, obendrein. Spanagel sieht einen gewissen Trend in der Gesellschaft, schlecht über Kohlenhydrate, zu denen auch Zucker gehört, zu berichten. Eine ausgewogene Ernährung, die Kohlenhydrate einschließt, sei jedoch wichtig, um zu funktionieren.

    Zwar werde heute zweifellos zu viel Süßes konsumiert, und dass es süchtig mache, könne „im Extremfall“ auch einmal sein, doch Kohlenhydrate und Zucker generell zu verdammen, wäre „Unsinn“, so Spanagel. „Süßes ist enorm wichtig für unser Wohlbefinden“, sagt er. Dass Zucker als solches zu einer Schädigung des Gehirns führt, kann er sich „beim besten Willen nicht vorstellen“ – schließlich sei Zucker (Glucose) elementar für die „Energiemaschine jeder Zelle“.

    Dass Diabetes, also die Zuckerkrankheit, mit einem erhöhten Demenz-Risiko einhergeht, ist allerdings bekannt. Die Gehirnleistung lasse bei Typ-2-Diabetes schon sehr früh nach Krankheitsbeginn nach, berichtet der Diabetesinformationsdienst am Helmholtz-Zentrum München. Insbesondere das logische Denken, die Planungs- und Organisationsfähigkeit sowie die Aufmerksamkeit ließen nach, heißt es. Dass die kognitiven Fähigkeiten bei Diabetes eingeschränkt sind, sei weitreichend untersucht und geklärt, sagt auch Spanagel. Insofern sei denkbar und nicht auszuschließen, dass Leute mit einem Blutzuckerspiegel, der an der Grenze zum Diabetes liegt, in puncto Gedächtnisleistungen ebenfalls schlechter dran seien. Eine Studie, die kürzlich im New England Journal of Medicine erschien, erhärtet diesen Verdacht: Die Untersuchung an über 2000 Probanden zeigte, dass auch bei Nichtdiabetikern mit dem Blutzuckerspiegel das Demenzrisiko stieg.

    Diabetes schädigt die Blutgefäße

    Aber was könnte der Grund hierfür sein? Bekannt ist, dass Diabetes die Blutgefäße schädigt – was auch die Versorgung des Gehirns mit Blut verschlechtern kann. Es gibt das Krankheitsbild der „vaskulären Demenz“, das durch derartige Gefäßschädigungen, verbunden mit kleinsten Infarkten, hervorgerufen wird. Doch Agnes Flöel glaubt, dass die Gefäßschädigungen nicht der einzige Grund für negative Effekte auf das Gedächtnis sind, sondern eine weitere Wirkung, die man vom Diabetes ebenfalls kennt. „Zu viel Zucker scheint auch direkt für die Nervenzellen schlecht zu sein“, erklärt die Neurologin; die Membranen dieser Zellen seien nicht mehr so intakt.

    Klar ist: Das Gehirn braucht Zucker (Glucose), um zu funktionieren. Speziell im Hippocampus, sagt Spanagel, „geht ohne Glucose gar nichts“. Das bestätigt auch die Berliner Professorin. Aber sie vergleicht die Sachlage mit den Verhältnissen beim Blutdruck. Wie der Blutzucker ist auch ein gewisser Blutdruck lebensnotwendig. Doch sei der Druck dauerhaft erhöht, so sei dies über Jahre hinweg schlecht für Gefäße und Gehirn; beim Blutzucker scheine das nicht anders zu sein.

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