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Salafismus: Mehr als 190 Wohnungen: Großrazzia gegen islamistische Terror-Werber

Salafismus

Mehr als 190 Wohnungen: Großrazzia gegen islamistische Terror-Werber

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    Die Polizei durchsucht am Dienstag hunderte Wohnungen, auch in den Großräumen Augsburg und Ulm.
    Die Polizei durchsucht am Dienstag hunderte Wohnungen, auch in den Großräumen Augsburg und Ulm. Foto: Paul Zinken, dpa

    Mit einer Großrazzia in Bayern und neun weiteren Bundesländern ist die Polizei am Dienstagmorgen gegen radikale Salafisten und mutmaßliche Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorgegangen. Hunderte Polizisten durchsuchten gut 190 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der Vereinigung „Die wahre Religion“, die hinter den umstrittenen und jetzt verbotenen Koran-Verteilaktionen „Lies!“ in deutschen Städten steht.

    Augsburg und Neu-Ulm Schwerpunkte der Razzien in Schwaben

    In Bayern waren insgesamt 240 Kräfte im Einsatz. Sie durchsuchten 34 Objekte, darunter drei Privatwohnungen in der Stadt Augsburg und zwei im Landkreis sowie darüber hinaus eine Wohnung in Donauwörth und vier im Kreis Neu-Ulm. Auch jenseits der Landesgrenze im Raum Ulm fanden vier Razzien statt. In Bayern stand die Polizei am frühen Morgen auch vor elf Objekten in Oberbayern, zwei in Oberfranken, zehn in Mittelfranken und einem in Unterfranken. Festgenommen wurde in Bayern niemand, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. „Das war aber auch nicht das Ziel.“ Jedoch wurde Beweismaterial sichergestellt.

    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, der angebliche religiöse Zweck der Verteilaktionen sei nur vorgeschoben gewesen. „Tatsächlich war die verbotene Vereinigung jedoch ein Sammelbecken dschihadistischer Islamisten.“ Salafisten vertreten einen am Koran orientierten, besonders konservativen Ur-Islam, lehnen westliche Demokratien ab und wollen eine Ordnung mit islamischer Rechtsprechung, der Scharia.

    Am Morgen hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) „Die wahre Religion“ und deren Koran-Verteilaktionen in Fußgängerzonen, die es auch in der Region gab, verboten. Er sprach von einem „klaren Signal“ im Kampf gegen islamistischen Terror: „Für radikale, gewaltbereite Islamisten ist kein Platz in unserer Gesellschaft.“

    Herrmann ergänzte: „Wir dulden nicht, dass Islamisten bei uns zu Hass, Gewalt und Intoleranz aufrufen. Wo immer Vereinsverbote möglich sind, werden wir auch davon Gebrauch machen.“ Die Islamisten hätten Leute für den bewaffneten Dschihad („Heiliger Krieg“) in Syrien und im Irak rekrutiert. Mehrere Aktivisten im Zusammenhang mit „Lies!“-Ständen seien selbst dorthin gereist, um sich islamistischen Kriegsparteien anzuschließen. „Dem schieben wir nun einen Riegel vor.“

    Festnahmen von Islamisten wegen Terrorverdachts

    Immer wieder hat es in Deutschland in den vergangenen Monaten Festnahmen von mutmaßlichen Anhängern der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gegeben:

    November 2016: Fünf Verdächtige werden festgenommen, die Freiwillige für den IS in Deutschland angeworben haben sollen. Darunter ist auch der mutmaßliche Top-Islamist Abu Walaa. Dem Zugriff in Dortmund, Duisburg und in Niedersachsen gingen monatelange Ermittlungen voraus. 

    November: Wenige Tage zuvor nimmt die Berliner Polizei einen 27-Jährigen fest. Er soll laut Bundesanwaltschaft als IS-Mitglied einen Anschlag geplant haben. Der Haftrichter sieht dafür zwar keinen dringenden Tatverdacht, dennoch bleibt der Mann wegen Urkundenfälschung vorerst in Haft. 

    Oktober: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen 19-jährigen Syrer, der bereits seit März in Untersuchungshaft sitzt. Er steht in Verdacht, Anschlagziele für den IS in Berlin ausgekundschaftet zu haben. 

    Oktober: Der Syrer Dschaber al-Bakr wird in Sachsen festgenommen. Er soll einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant haben. Der 22-Jährige erhängt sich kurz darauf in seiner Zelle, ein mutmaßlicher Komplize kommt in Untersuchungshaft.

    September: In Schleswig-Holstein nehmen Sicherheitskräfte drei Syrer wegen Terrorverdachts fest. Die Männer sollen im Auftrag des IS nach Deutschland gekommen sein.

    September: Ein 16-jähriger Flüchtling aus Syrien wird in Köln festgenommen. Er soll einen Anschlag geplant haben.

    August: Unter dem Vorwurf vorbereitender Absprachen zu einer Sprengstoffexplosion werden gegen einen 27-jährigen mutmaßlichen IS-Sympathisanten aus Eisenhüttenstadt (Brandenburg) und einen mutmaßlichen Komplizen Haftbefehle erlassen.

    Juni: Festnahme von drei mutmaßlichen IS-Anhängern in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Brandenburg. Sie sollen einen Anschlag in Düsseldorf geplant haben. (dpa)

    Behörden wollen Zeichen gegen Salafisten-Szene

    Schwerpunkte der Polizeieinsätze, die um 6.30 Uhr begannen, waren Hessen mit knapp 65 Durchsuchungen sowie Bayern und Nordrhein-Westfalen mit jeweils fast 35 Polizeiaktionen. Außerhalb Bayerns fanden Razzien auch in Büros statt, in Baden-Württemberg und Hamburg lagen Durchsuchungsbeschlüsse auch gegen jeweils einen Moschee-Verein vor.

    Das ist Salafismus

    Salafisten wollen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach mittelalterlichen Regeln umgestalten. Sie sehen sich als Verfechter eines unverfälschten Islams, lehnen Reformen ab und betreiben die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates.

    Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezifferte die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober 2016 auf 9200. Es radikalisieren sich dabei immer mehr junge Menschen.

    Motor der Radikalisierung ist oft das Internet. Eine autoritäre Erziehung, innerfamiliäre Gewalt und soziale Unsicherheit verstärken Studien zufolge die Bereitschaft junger Menschen, selbst gewalttätig zu werden und sich von Islamisten vereinnahmen zu lassen.

    Die Behörden halten die Vereinigung „Die wahre Religion“ für verfassungswidrig und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Anführern und Sympathisanten wirft der Verfassungsschutz vor, den Dschihad und Terroranschläge zu verherrlichen. Zudem habe die Vereinigung ein bundesweites Rekrutierungs- und Sammelbecken für Dschihadisten aufgebaut. Rund 140 junge Islamisten seien nach einer Radikalisierung durch „Lies!“ in die Kampfgebiete des Islamischen Staats gereist, sagte de Maizière. „Das mussten wir unterbinden.“ Dem Minister zufolge zählt „Die wahre Religion“ mehrere 100 Mitglieder. Vielfach seien ihnen Verbotsverfügungen ausgehändigt worden. Über Drahtzieher oder weitere Menschen im Visier der Ermittler wollte der Minister keine Angaben machen. dpa, AZ

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