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Kommentar: Der Sozialstaat lässt seine Bürger nicht im Stich

Kommentar

Der Sozialstaat lässt seine Bürger nicht im Stich

Rudi Wais
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    Der designierte  Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, dass Hartz IV jedem in Deutschland das sichert, was er zum Leben benötigt.
    Der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, dass Hartz IV jedem in Deutschland das sichert, was er zum Leben benötigt. Foto: Oliver Berg, dpa (Archiv)

    Je hitziger eine Debatte geführt wird, umso hilfreicher ist ein Blick auf die Fakten. Nehmen wir ein Ehepaar mit zwei Kindern, vier und zwölf Jahre alt, das auf Hartz IV angewiesen ist. Es erhält heute 1284 Euro im Monat und je nachdem, wo die Familie lebt, im Schnitt noch einmal 644 Euro für die Wohnung und die Heizung. Macht 1928 Euro, zusätzliche Leistungen wie die kostenlose Krankenversicherung, Schulbücher oder Zuschüsse für Klassenfahrten nicht mitgerechnet. Kommt ein drittes Kind dazu, werden aus 1928 Euro schon 2381 Euro. Bei einem Alleinstehenden sind es zwar nur vergleichsweise bescheidene 737 Euro, viele Friseusen aber verdienen heute nur unwesentlich mehr.

    Große Sprünge können mit solchen Summen weder eine Friseuse noch die Familie in unserem Beispiel machen. Im Umkehrschluss allerdings bedeutet das nicht, dass die Regelsätze in Hartz IV zu niedrig sind oder die Armut in Deutschland gar rasant zunimmt. Im Gegenteil. Das nach seinem Erfinder, dem früheren VW-Vorstand Peter Hartz, benannte System, soll existenzielle Not ja gerade verhindern, indem es ein Mindestmaß an Einkommen und sozialer Teilhabe ermöglicht, finanziert von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler und für jeden von uns da, der seinen Lebenunterhalt nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes oder einem anderen Schicksalsschlag nicht mehr selbst bestreiten kann. Jens Spahn, der designierte Gesundheitsminister, hat deshalb recht: Hartz IV sichert jedem in Deutschland das, was er zum Leben benötigt.

    Beste Sozialpolitik ist eine gute Beschäftigungspolitik

    So neoliberal-kühl und abgehoben das aus dem Munde eines Sozialpolitikers mit fünfstelligem Monatseinkommen auch klingen mag: Der Staat lässt seine Bürger nicht im Stich. Die Berechnung der Regelsätze, die zum Jahreswechsel um 1,7 Prozent angehoben wurden, folgt klaren, nachvollziehbaren und vom Verfassungsgericht gebilligten Kriterien, indem sie sich an der Entwicklung der Preise und der Nettolöhne orientiert. Sie aus falsch verstandener Fürsorglichkeit über dieses Maß hinaus zu erhöhen, wäre kontraproduktiv.

    Je großzügiger die staatliche Hilfe bemessen ist, umso geringer wird der Anreiz für ihre Bezieher, sich wieder eine Arbeit zu suchen. Anders als bei der ehemaligen Sozialhilfe sollen Arbeitslose sich bei Hartz IV ja nicht mehr bis zur Rente im Status quo einrichten, sondern zumindest mittelfristig wieder auf eigenen Beinen stehen. Dazu steckt die Bundesagentur für Arbeit Jahr für Jahr Milliarden in Förder- und Wiedereingliederungsprogramme für Langzeitarbeitslose oder zahlt Unternehmen, die sie einstellen, gleich einen Zuschuss zu den Lohnkosten. Die beste Sozialpolitik ist schließlich noch immer eine gute Beschäftigungspolitik.

    Volkswirtschaft profitiert bis heute von Agenda 2010

    Nicht jeder, der heute Hartz IV bezieht, wird deshalb morgen schon wieder sein eigenes Geld verdienen. Alleinerziehende Mütter etwa sind oft auf Jahre hinaus auf staatlichen Beistand angewiesen – und viele andere, denen es ähnlich geht, werden Jens Spahn jetzt für einen Politiker halten, der jede Bodenhaftung verloren hat. Unterm Strich jedoch ist das System nicht so schlecht und ungerecht, wie es von Sozialverbänden, der Linkspartei oder den Gewerkschaften gerne gemacht wird. In kaum einem anderen Land leistet der Sozialstaat heute mehr – weil ein beherzter Kanzler seinen Zusammenbruch gerade noch rechtzeitig verhindert hat.

    Die Entscheidung, Arbeitslose nicht nur zu fördern, sondern sie auch zu fordern, war eines der zentralen Elemente von Gerhard Schröders Agenda 2010, von der unsere Volkswirtschaft bis heute profitiert. Sie erst hat Deutschland so stark gemacht, dass es sich eine Sozialpolitik leisten kann, um die uns viele andere Länder beneiden.

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