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Online-Bezahldienst: Wirecard-Aktie befindet sich nach Börsen-Krimi im freien Fall

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Wirecard-Aktie befindet sich nach Börsen-Krimi im freien Fall

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    Die Aktie der Münchner Firma Wirecard ist derzeit im freien Fall. Grund sind verschiedene Gerüchte um den für Asien zuständigen Finanzchef, der Kollegen beigebracht haben soll, wie man Bücher frisiert. 
    Die Aktie der Münchner Firma Wirecard ist derzeit im freien Fall. Grund sind verschiedene Gerüchte um den für Asien zuständigen Finanzchef, der Kollegen beigebracht haben soll, wie man Bücher frisiert.  Foto: C. Strache, afp

    An der Börse gilt leider die Unschuldsvermutung nicht. Hier reichen unbestätigte Berichte, ja Gerüchte aus, um eine Aktie ins Bodenlose fallen zu lassen. Auch wenn sich negative Nachrichten wie im Fall des wirtschaftlich erfolgreichen deutschen Online-Bezahldienstes Wirecard lediglich auf eine Quelle stützen, hält die Talfahrt unverdrossen an. Notierte die Aktiengesellschaft kürzlich noch bei rund 150 Euro, ging es infolge mehrerer kritischer Veröffentlichungen der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times rapide nach unten.

    Nach ersten journalistischen Attacken konnte noch die 100-Euro-Marke verteidigt werden. Es setze sogar wieder eine enorme Erholung auf über 130 Euro ein. Doch die als seriös geltende FT ließ nicht locker. Die Wirecard-Achterbahnfahrt nimmt kein Ende: Das Papier raste auf etwa 106 Euro in den Keller, wurde wieder auf etwa 116 Euro katapultiert, um am Freitag in einen schwarzen Tunnel einzufahren. Die Aktie kannte nur noch eine Richtung, nämlich nach unten. Am Ende standen für sie Verluste im zweistelligen Prozentbereich auf Werte von zum Teil unter 90 Euro zu Buche.

    Warum wird die Wirecard-Aktie zum Dax-Schwächling?

    Im Hintergrund sprechen Finanzanalysten mehrerer Banken von kriegsähnlichen Börsen-Zuständen. Sie wollen sich nicht offen äußern, schließlich ist Wirecard wie ihre eigenen Arbeitgeber ein Geldhaus, wenn auch ein Fintech-Unternehmen, also eine Mischung aus Finanz- und Technologie-Anbieter. Die Firma aus Aschheim im Nordosten Münchens hat sich auf die Zahlungsabwicklung im Internet spezialisiert. Wer online einkauft, bekommt es, ohne das zu merken, oft mit Wirecard zu tun. Längst hat das Unternehmen sein früheres Schmuddel-Image abgestreift. Einst machte der Anbieter gute Geschäfte mit Porno- und Glücksspielanbietern. Wirecard-Profis hatten früh herausgefunden, wie sich solche Online-Transaktionen sicher und diskret abwickeln lassen. Heute macht das Unternehmen keine großen Umsätze mehr mit diesen Branchen. Renommierte Konzerne wie die niederländische Fluggesellschaft KLM schmücken die lange Kundenliste. Das Geschäftsprinzip ist enorm renditeträchtig: Denn die IT-Spezialisten streichen pro Zahlung im Internet eine Gebühr ein. So schaffte die bayerische Geldmaschine den Aufstieg in den Deutschen Aktienindex und ließ dadurch die Commerzbank in die zweite Börsen-Bundesliga absteigen. Im Überschwang war die Wirecard-Aktie einst auf über 190 Euro geschossen, was dazu führte, dass der Aktionärs-Liebling nicht nur einen größeren Börsenwert als die Commerzbank aufwies, sondern auch noch die Deutsche Bank in dieser Spielklasse hinter sich ließ. Nach der Fahrt in den schwarzen Tunnel werden wieder alte Machtverhältnisse hergestellt: Die Deutsche Bank ist am Aktienmarkt nun erneut dicker als die Emporkömmlinge aus Bayern.

    Aber warum wird die Wirecard-Akie nach Berichten der Financial Times zum Dax–Schwächling? Mit Porno, Glücksspiel und anderen schmuddeligen Geschäften hat das nichts zu. Es steht vielmehr der Vorwurf im Raum, der für Asien zuständige Finanzchef von Wirecard habe Kollegen in Singapur gelehrt, wie man Bücher so frisiert, dass die Firma in Hongkong eine Lizenz bekommt. Um das zu erreichen, seien Umsätze mit Kunden vorgetäuscht worden. Das System – und dies ist der Kernvorwurf – könnte unter Umständen in ganz Asien betrieben worden sein. Nach Informationen der FT haben zwei Führungskräfte im Wirecard-Heimatland über die Praxis in Fernost Bescheid gewusst.

    Wirecard lässt die Vorwürfe untersuchen

    Das Unternehmen weist die Anschuldigungen zurück und hat angekündigt, juristisch gegen die „unethische Berichterstattung“ der FT vorzugehen. Wirecard lässt die Vorwürfe sowohl intern wie extern untersuchen. Bisher seien keine „schlüssigen Feststellungen über kriminelles Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Führungskräften“ zu Tage gefördert worden.

    Seit Freitag steht auch fest, dass die Staatsanwaltschaft München wegen der Kursturbulenzen bei Wirecard ein Verfahren eingeleitet hat. So ermittelt die Behörde wegen möglicher Marktmanipulation gegen Unbekannt. Zuvor habe das Unternehmen eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingereicht.

    Im Börsen-Krimi um den Dax-Neuling werden also immer größere Geschütze aufgefahren, vom Unternehmen selbst und dem in Aktienforen immer bekannter werdenden Autor der FT-Berichte, Dan McCrum. Der Journalist hat schon häufiger über Wirecard geschrieben. Auch gegen ihn werden in Finanzkreisen Vorwürfe laut. Danach leiste er dem Treiben von Hedgefonds – verniedlichend „Hedgis“ genannt – Vorschub. Denn solche „Heuschrecken“ verdienen mit Wirecard „fette Kohle“, wie es in der Finanzszene heißt. Die Spekulanten setzten darauf, dass die Aktie massiv an Wert verliert. Doch warum sind sie sich bei ihren Wetten so sicher?

    Im Fall „Wirecard“ steht Aussage gegen Aussage. Wenn sich in ein, zwei Jahren herausstellen sollte, dass die Firma Opfer von Zockern und deren falschen Gerüchten geworden ist, interessiert das dann kaum noch einen. So sagt Robert Halver von der Baader Bank dieser Redaktion: „Das alles schadet massiv der Aktienkultur.“ Wirecard-Kleinanleger schauen derzeit in die Röhre, während „Hedgis“ jubeln.

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