Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Wer über zu wenig Disziplin klagt, verhöhnt die Corona-Kranken

Kommentar

Wer über zu wenig Disziplin klagt, verhöhnt die Corona-Kranken

Michael Pohl
    • |
    Dieser Corona-Patient auf der Intensivstation des Krankenhauses Bethel in Berlin liegt im künstlichen Koma und wird beatmet.
    Dieser Corona-Patient auf der Intensivstation des Krankenhauses Bethel in Berlin liegt im künstlichen Koma und wird beatmet. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Noch nie zählte Deutschland so viele tägliche Corona-Tote wie dieser Tage mit fast 500 Trauerfällen. Der seit einem Monat gültige Teil-Lockdown hat zwar dazu geführt, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen nicht mehr steil nach oben schießt. Doch die zweite Welle brechen konnten die Einschränkungen nicht. Die täglich bestätigten Ansteckungen bewegen sich zwar auf einem stabilen, aber viel zu hohen Niveau. Das sagt viel über die Corona-Politik der vergangenen Monate aus.

    Es gibt einige Politiker, sogar lokale Bürgermeister, die für die Entwicklung die Bevölkerung verantwortlich machen und ihr direkt oder indirekt mangelnde Disziplin vorwerfen. Wer aber den Bürgern pauschal oder einzelnen Bevölkerungsgruppen die Schuld für die voranschreitende Ausbreitung des Virus gibt, verhöhnt die Corona-Kranken und fast 17.000 Toten der Pandemie.

    Auch Masken bieten keinen perfekten Schutz vor Corona

    Diese Haltung gibt den Opfern eine Mitschuld und vergisst, dass alle empfohlen Hygienemaßnahmen eines gemeinsam haben: Sie senken das Ansteckungsrisiko, aber sie können es nicht verhindern. Selbst eine Einwegmaske vermindert die Virenaufnahme in Experimenten nur um die Hälfte.

    Und ein geringes Risiko kann hoch genug sein: Derzeit sind laut Robert-Koch-Institut knapp 300.000 Bundesbürger aktiv mit Corona infiziert, das sind nicht einmal 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Doch das reicht, um die deutschen Kliniken nahe an ihre Belastungsgrenzen zu bringen.

    Die Verantwortung dafür, dass es nicht zum Kollaps kommt, tragen – ob sie es wollen oder nicht – die in Regierungsämter gewählten Politiker. Der Vergleich der ersten und zweiten Welle zeigt eindeutig, dass dabei Führung gefordert ist: Den ersten Lockdown fanden viele Menschen übertrieben, was für manche Einzelaspekte durchaus gelten mag. Aber die Hoffnung, die Pandemie ließe sich statt mit der großen Beschränkungskeule auch mit kleineren „chirurgischen“ Maßnahmen und Appellen zur Eigenverantwortung eindämmen, hat die zweite Welle zerplatzen lassen.

    Regionales Corona-Konzept ist gescheitert

    Das im Frühjahr präsentierte Konzept, dass Landkreise und Städte regional begrenzt Corona-Ausbrüche unter Kontrolle halten können, ist schlicht gescheitert. Mutige Politiker, wie der Berchtesgadener Landrat Bernhard Kern, blieben die Ausnahme. Der CSU-Mann zeigte Führung und brachte den Hotspot mit einem frühen und harten lokalen Lockdown samt Schulschließungen tatsächlich in den Griff und senkte die Zahlen wieder auf den Bundesdurchschnitt.

    Viele andere Landräte und Bürgermeister zögern und reagieren mutlos – selbst, wenn ihre Städte und Kreise seit Wochen blutrot auf der Corona-Karte zu den höchsten Infektionsgebieten in ganz Deutschland gehören. Es macht fassungslos, aus Hotspots zu lesen, dass Gesundheitsamtsmitarbeiter um Computerprogramm-Lizenzen für ihre Arbeit betteln müssen.

    "Light" könnte der Lockdown noch teurer werden

    Der Vergleich der Wellen bestätigt, dass Deutschland besser durch die erste Welle gekommen ist als viele andere europäische Länder, weil es – gewarnt durch Norditalien – früher und konsequenter gehandelt hat als andere. Ministerpräsident Markus Söder hat mit seiner Führungsrolle an der Seite der Kanzlerin in der ersten Welle so vermutlich hunderten Bayern das Leben gerettet. Und als Antreiber möglicherweise Tausenden in anderen Bundesländern.

    Die Zahlen der zweiten Welle deuten daraufhin, dass sich Söders Kollegen zu spät und zu zaghaft zum neuen Lockdown durchrangen. Als „Lightversion“ könnte er zudem länger und sogar noch teurer werden. Die Lehre für die nächste Stufe der Pandemie-Bekämpfung muss deshalb lauten, beim Impfen zu klotzen und nicht zu kleckern.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden