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Klimawende: Maschinenbau-Chef: Wasserstoff aus Marokko statt Erdgas aus Russland

Klimawende

Maschinenbau-Chef: Wasserstoff aus Marokko statt Erdgas aus Russland

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    Der Münchner Unternehmer Karl Haeusgen ist Präsident des deutschen Maschinenbauverbandes VDMA.
    Der Münchner Unternehmer Karl Haeusgen ist Präsident des deutschen Maschinenbauverbandes VDMA. Foto: Mathias Wild

    Herr Haeusgen, die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer befinden sich in einem rasanten Aufholprozess. Die Branche rechnet für dieses Jahr mit einem satten Produktionsplus von zehn Prozent. Woher rührt der Optimismus?

    Karl Haeusgen: Nach dem Einbruch der deutschen Maschinenbau-Produktion um zwölf Prozent im vergangenen Jahr brachte zunächst die starke Nachfrage aus China den Aufschwung. Das ist auch das Ergebnis großer Infrastrukturprogramme des chinesischen Staates. Egal ob dort Flughäfen, Eisenbahnen oder neue Telekominfrastrukturen entstehen, meist sind Komponenten deutscher Maschinen- und Anlagenbauer gefragt.

    Sind zehn Prozent Produktionsplus für dieses Jahr nicht etwas zu optimistisch? Ursprünglich waren sie ja von vier und dann von sieben Prozent ausgegangen.

    Haeusgen: In den zehn Prozent steckt kein Euphorie-Bonus. Das ist eine realistische Zahl. Die Konjunktur in unserer Branche mit gut einer Millionen Mitarbeitern bewegt sich in V-Form scharf nach oben, was einige immer noch überrascht. Im vergangenen Jahr gingen Experten noch von einer Konjunkturerholung im Maschinenbau in Form einer langgezogenen Badewanne aus. Doch trotz des Zuwachses in diesem Jahr werden wir 2021 noch nicht das Niveau vor der Krise erreichen.

    Wann erreichen die Maschinenbauer das Vorkrisen-Niveau?

    Haeusgen: Die Mehrheit der Maschinenbauer geht davon aus, dass wir das Vor-Corona-Niveau im Jahr 2022 erreichen. 2021 wird also ein gutes Jahr, aber kein Rekordjahr.

    Schaffen Maschinenbauer nach dem Verlust von rund 40.000 Jobs nun wieder kräftig Arbeitsplätze?

    Haeusgen: Zunächst einmal hat sich in der Krise gezeigt: Der Maschinenbau ist keine Hire-and-Fire-Branche, sind doch im Krisenjahr 2020 nur etwa vier Prozent Arbeitsplätze trotz eines Produktionsrückgangs von zwölf Prozent abgebaut worden. In den Schlussmonaten ist die Beschäftigung sogar schon wieder leicht gestiegen.

    Stellen die Firmen also insgesamt wieder zusätzlich 40.000 Menschen in diesem Jahr ein?

    Haeusgen: Das wäre ein sehr optimistisches Szenario. Aber 2022 schaffen wir das. Darauf würde ich wetten. Doch viele Ausbildungsplätze bleiben leider unbesetzt. Und in manchen Spezialgebieten wie Datenanalyse, IT und Künstliche Intelligenz ist es für unsere Firmen oft schwer, Spezialisten zu finden.

    Die extrem männerlastige Branche muss vor allem mehr Frauen für sich gewinnen.

    Haeusgen: Obwohl wir uns intensiv um mehr Frauen bemühen, ist das Ergebnis ernüchternd. Der Frauenanteil im Maschinenbau steigt leider nicht spürbar an. Im Umkehrschluss heißt das aber: Hier gibt es ein enormes Potenzial für unsere Firmen. Wir setzen also auf den Generationswechsel; eben darauf, dass klassische Rollenbilder immer mehr verblassen.

    Warum erholt sich der Maschinenbau so schnell von der wirtschaftlich härtesten Krise der Nachkriegszeit?

    Haeusgen: Weil wir im Absatz unserer Produkte nicht nur ein Standbein haben und sich das Risiko für die Firmen gut verteilt. Die Exportquote des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus liegt bei rund 80 Prozent. So haben viele Betriebe unseres Wirtschaftszweigs von China profitiert. Und viele Firmen werden Nutznießer des US-Konjunkturpakets sein.

    Doch auch US-Präsident Joe Biden verfolgt eine „Buy-American-Strategie“, also den Einkauf bei US-Unternehmen für wichtige Infrastruktur-Projekte.

    Haeusgen: Hier kommt die zweite Stärke des deutschen und auch des europäischen Maschinenbaus ins Spiel: Unsere Firmen sind in einer Vielzahl von Technologien vertreten und damit in Nischen, die viele andere Herstellerländer nicht bedienen. Wenn die USA etwa in Windkraftanlagen investieren, mögen die Amerikaner zwar bei einem amerikanischen Hersteller einkaufen, doch in den Anlagen stecken jede Menge Komponenten aus Deutschland und Europa. Gleiches gilt für Bau- und Werkzeugmaschinen oder die Automatisierungstechnik. Diese technologische Multinischen-Strategie greift also.

    Ist der deutsche Maschinenbau unschlagbar?

    Haeusgen: Unsere Maschinenbau-Strategie hat jahrzehntelang funktioniert. Ich würde jedoch keine Wette darauf abschließen, dass dies in Zukunft so bleibt.

    Wo lauern Gefahren?

    Haeusgen: Viele unserer Nischenanbieter tummeln sich im Premium-Segment, was aber weltweit kaum noch Wachstumsmöglichkeiten bietet. Global gibt es den Trend, dass Unternehmen nicht mehr Premium-Anlagen, sondern günstigere Maschinen kaufen. Diese Entwicklung beobachten wir in China, in den USA und ganz stark in Indien. So brauchen deutsche und europäische Maschinenbauer den Mut, raus aus der Nische zu gehen und sich stärker im Geschäft mit hohen Stückzahlen zu bewegen. So gut die Position des Maschinen- und Anlagenbaus ist: Wir sollten uns darauf nicht ausruhen.

    Sie gehen gerne unkonventionelle Wege und haben sich schon mit 53 aus dem Vorstand ihres Münchner Familienunternehmens Hawe Hydraulik zurückgezogen und sind in den Aufsichtsrat gewechselt. Andere Unternehmer wie Erich Sixt vollziehen diesen Schritt erst mit 76.

    Haeusgen: Ich habe den Schritt schon mit 53 vollzogen, weil ich noch einmal eine andere Story schreiben wollte. Es gab für mich die Option, Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA zu werden. Für mich ist diese Verbands- und Lobbyisten-Funktion enorm wichtig, weil ich hier an einer Schnittstelle zwischen unternehmerischer Praxis, Politik und öffentlicher Meinung arbeiten kann. Lobbyismus wird in Deutschland oft zu negativ gesehen.

    Wohl auch, weil die Tätigkeit von Lobbyisten immer wieder in Verruf gerät, zuletzt als die neoliberale Arbeitgeber-Organisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ brachial in den Wahlkampf eingegriffen hat und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als biblische Moses-Figur mit den zehn Verboten dargestellt hat, was massive Kritik ausgelöst hat.

    Haeusgen: Wir distanzieren uns als VDMA von dieser Anzeigenkampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Wir tragen das in Form und Gestalt nicht mit. So etwas geht gar nicht, zumal die Aktion die nötige Sensibilität vermissen lässt, werden doch religiöse Symbole eingesetzt, um Werbung für Einzelinteressen zu machen. Das ist nicht angemessen.

    Ab Herbst haben Sie es als VDMA-Präsident mit einer neuen Bundesregierung zu tun. Was wünschen Sie sich von der künftigen Koalition?

    Haeusgen: Ich wünsche mir von der Politik mehr Vertrauen in Unternehmer, also in unsere Gestaltungsfähigkeit. Ich verstehe, dass der Staat stärker in einer Pandemie das Heft des Handelns in die Hand nehmen muss. Gleiches gilt für die Klimapolitik. Hier sind staatliche Vorgaben notwendig. Nun will die Politik aber in immer mehr Bereichen die Wirtschaft gestalten, etwa wenn es um Homeoffice-Regelungen oder um stärkere Auflagen für befristete Beschäftigungsverhältnisse geht.

    Was fordern Sie also von der Politik ein?

    Haeusgen: Die Politik sollte der Schwarmintelligenz des Mittelstands vertrauen.

    Was heißt das konkret?

    Haeusgen: Dass die neue Bundesregierung die eine oder andere Gesetzesinitiative wieder begräbt. Weniger ist mehr.

    Nun werden die Grünen wohl an der neuen Regierung beteiligt sein. Wie schmeckt Ihnen das?

    Haeusgen: Die Grünen sind kompetent bei allen Nachhaltigkeits- und Klimathemen. Da kann ich mir schon vorstellen, dass eine Regierungsbeteiligung der Grünen in nennenswerter Höhe, also nicht als kleiner Junior-Partner, das Land wieder Vertrauen in die Politik fassen lässt. In einer idealen Berliner Welt würden die Grünen ihre Kompetenz in der Klima- und Migrationspolitik, die FDP bei Bürokratieabbau und in der Steuerpolitik und die Union für den Rest einbringen.

    Sie sind also für eine schwarz-grün-gelbe Jamaika-Koalition mit einem Kanzler Armin Laschet, einer Klima- und Umweltministerin Annalena Baerbock und einem Finanzminister Christian Lindner?

    Haeusgen: (lacht) Das wäre auf alle Fälle eine spannende, mit vielen Kompetenzen besetzte Regierung, der ich gerne beim Arbeiten zuschauen würde.

    Sie gehen aber nicht so weit wie der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser, der sich Frau Baerbock auch als Kanzlerin vorstellen kann?

    Haeusgen: Ich bleibe dabei: Eine Jamaika-Koalition unter Führung der Union wäre nicht das schlechteste.

    CDU-Mann Armin Laschet trauen Sie ja einiges zu.

    Haeusgen: Ich komme aus Bayern. Da wird Herr Laschet unterbewertet, was auch an der Beschallung durch seinen bayerischen Freund liegt.

    Eben Markus Söder.

    Haeusgen: Armin Laschet hat in Nordrhein-Westfalen in einer durchaus anspruchsvollen Konstellation einen guten Regierungsjob gemacht. Er ist ein Politiker mit modernen Ansichten, was sich an seinen Äußerungen über Digitalisierung und Technologieoffenheit zeigt. Er geht mit einer offenen Geisteshaltung an die Themen ran.

    Die Klimapolitik erfordert eine besonders offene Geisteshaltung, schließlich läuft den Menschen die Zeit davon.

    Haeusgen: Hier müssen wir neue Wege gehen, etwa bei der Förderung von Wasserstofftechnologie und E-Fuels, also synthetischen Kraftstoffen, die mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden.

    Wohin führen diese Wege?

    Haeusgen: Nach Nordafrika und in die Subsahara, wo vor allem mit der Kraft der Sonne eben solche Treibstoffe in großen Mengen hergestellt und nach Europa transportiert werden könnten. Das gilt natürlich auch für andere Länder und Regionen, die für solche Energiepartnerschaften geeignet sind. Eine solche Energiepolitik würde sich positiv auf die Menschen in den afrikanischen Ländern und auf die Entwicklung dieser Staaten auswirken: Es würde auch dort ein Modernisierungsschub erfolgen.

    Wandern so weniger Menschen aus?

    Haeusgen: Wenn die Menschen eine Arbeit in der Energieerzeugung in ihren Heimatländern finden oder in lokalen Industrien, die davon profitieren, müssen sie nicht auswandern. Hierzulande könnten dann Baumaschinen, Busse und Lkws, aber auch Autos mit Wasserstoff und E-Fuels betrieben werden. Der Verbrennungsmotor würde nicht sterben. Dazu brauchen wir aber die Energie aus Afrika. Lieber kaufen wir Wasserstoff aus Marokko als Erdgas aus Russland.

    Zur Person: Karl Haeusgen, 54, ist Vorsitzender des Aufsichtsrates und Miteigentümer des Münchner Familien-Unternehmens Hawe Hydraulik SE. Seit Oktober 2020 amtiert er als Präsident des Maschinenbauverbands VDMA.

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