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Interview: Top-Ökonom Felbermayr: Bürger zahlen Rechnung für deutsche Gas-Politik

Interview

Top-Ökonom Felbermayr: Bürger zahlen Rechnung für deutsche Gas-Politik

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    Gabriel Felbermayr ist einer der führenden europäischen Ökonomen.
    Gabriel Felbermayr ist einer der führenden europäischen Ökonomen. Foto: Hans Punz, APA

    Herr Felbermayr, sind die goldenen Zeiten der Globalisierung endgültig vorbei? Fallen wir zurück in eine Welt der Abschottung, ja eines neuen Kalten Krieges?

    Gabriel Felbermayr: Die Weltwirtschaft ist keine Weltwirtschaft mehr. Sie zerfällt in Blöcke, in einen transatlantischen Block mit der EU, den USA, Großbritannien und Ländern wie Japan, Südkorea oder Australien. Daneben steht ein von China dominierter Block, ein sich zunehmend emanzipierendes Indien und eben das sich isolierende Russland. Die Idee eines weltweiten Marktes müssen wir beerdigen. Schon seit der Finanzmarktkrise der Jahre 2008 und 2009 steht fest, dass die Hyper-Globalisierung vorbei ist. Spätestens seit dem Wirtschaftskrieg des Donald Trump und der Invasion der Russen ist klar, dass vermutlich ein neuer Eiserner Vorhang zwischen dem Westen und dem russischen Einflussgebiet herabgelassen wird. Die 30 glorreichen Jahre der Globalisierung sind vorbei.

    Besteht die Chance auf ein Comeback der Globalisierung?

    Felbermayr: Zunächst nicht. Der Traum eines einheitlichen Wirtschaftsraums von Portugal bis Wladiwostok ist erst einmal ausgeträumt. Doch ich glaube nicht, dass diese Idee eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraums, der auch Russland umfasst, für immer beerdigt ist.

    Sind Sie ein Optimist?

    Felbermayr: Zumindest auf lange Sicht bin ich hier ein Optimist. Der russische Staats-Chef Putin wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Wer weiß, was nach seiner Zeit passiert? Die Logik bleibt bestechend: Wenn sich das technologisch stark aufgestellte Europa mit Russland als Land, das mit Ressourcen wie seltenen Erden oder auch Gas gesegnet ist, zusammentut, entsteht ein starker Wirtschaftsraum. Die Globalisierung verspricht Wohlstand für viele. Dieses Versprechen existiert unabhängig von Putin. Am Ende könnten die Wohlstandsverluste, die durch die De-Globalisierung entstehen, so groß sein, dass das Verlangen nach einer Rückkehr zur Globalisierung auch in Ländern wie Russland wächst. Das wird aber dauern.

    Zunächst einmal gibt es einen Rückfall in Nationalismus, Protektionismus und militärische Gewalt.

    Felbermayr: Das ist ein herber zivilisatorischer Rückschritt. Denn die Vernunft legt uns wirtschaftliche Kooperation über die Grenzen hinweg, also internationale Arbeitsteilung, nahe. Freihandel ist Ausdruck der Aufklärung. Wenn wir das jetzt alles vor die Hunde gehen lassen, kostet das Wohlstand für viele.

    Vielleicht lässt sich zumindest ein neuer Anlauf für ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA wagen. Wird TTIP doch noch Wirklichkeit?

    Felbermayr: Ein Schritt in diese Richtung wäre sicher gut. Doch ich warne davor, die Abkürzung TTIP zu reaktivieren. Das Projekt ist aus guten Gründen gescheitert. Dennoch sollten wir über den Atlantik hinweg enger zusammenarbeiten. Wir brauchen nicht nur eine europäische, sondern eine transatlantische Energie-Union mit Einbeziehung der USA. Und wir brauchen auch einen großen gemeinsamen transatlantischen Rüstungsmarkt. Es wäre falsch, wenn jeder Staat nun für sich Rüstungsgüter bestellt – und das auch noch jeweils bei der Rüstungsindustrie des eigenen Landes. Kooperationen machen Beschaffungen für alle günstiger. Auf alle Fälle sollten die EU, die USA und auch Großbritannien wirtschaftlich enger zusammenrücken. Dazu brauchen wir keine großen Mega-Abkommen, wie es TTIP sein sollte.

    Am Ende stünde eine politische, militärische und ökonomische Stärkung des Westens.

    Felbermayr: Von einer stärkeren Arbeitsteilung würden diese Länder des Westens profitieren. Damit würden wir an die Zeit vor dem Fall des Eisernen Vorhangs anknüpfen, als Russland von unserer Wirtschaft auch weitgehend abgeschottet war. In diese Strukturen fallen wir nun wieder zurück. Mit Weltwirtschaft und Globalisierung hat das allerdings nichts zu tun. Doch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs hatten die USA, Europa und Japan als Triade einen Anteil an der weltweiten Wirtschaftskraft von rund zwei Dritteln. Durch den ökonomischen Aufstieg von Ländern wie China, Indien oder Indonesien steht die Triade nicht einmal mehr für die Hälfte der globalen Wirtschaftskraft.

    Was passiert, wenn Trump zum zweiten Mal US-Präsident wird?
    Was passiert, wenn Trump zum zweiten Mal US-Präsident wird? Foto: Otero, ap

    Was passiert, wenn Trump zum zweiten Mal Präsident wird?

    Felbermayr: Dieses Risiko besteht. Es gibt also die Gefahr, dass es nicht bei einem einmaligen Ausrutscher in den USA bleibt. Wir können uns also als Europäer nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges auf Amerika verlassen. Auf einen solchen weiteren Rückschlag für die Globalisierung durch Trump müssen wir uns vorbereiten. Wir sollten misstrauisch bleiben und einen Rückfall der USA in den Trumpismus einkalkulieren. Wir dürfen uns deswegen nicht voll von Amerika, also der Rüstungsindustrie des Landes und dem US-Flüssiggas abhängig machen. Am Ende kommt Trump wieder, versteht sich mit Putin gut, tritt alle Verträge in die Tonne und betätigt sich als Spaltpilz. Wir dürfen nicht erneut den Fehler machen, die europäische Sicherheitspolitik in die USA auszulagern. Gleiches gilt für die Energiepolitik.

    Dabei war Deutschland noch 2012 nicht in dem hohen Maße wie heute vom russischen Gas abhängig. Damals bezogen wir etwa 35 Prozent des Gases aus dem Land, heute sind es rund 55 Prozent.

    Felbermayr: Hier haben wenige Leute aus Energiewirtschaft und Politik in Deutschland die falsche Entscheidung getroffen, sich derart von Russland abhängig zu machen. Das war blauäugig. Hier hätte man das Risiko auf mehrere Schultern verteilen müssen. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen jetzt die Zeche für diese Politik. An dem Geschäftsmodell haben sich vor dem Krieg in der Ukraine viele Menschen in Deutschland, Österreich und Russland bereichert. Das erinnert mich an die Zeit der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009.

    Wie meinen Sie das?

    Felbermayr: Ehe Banken damals kollabierten, sind im Finanzsektor Milliarden verdient worden. Die Profiteure bauten sich davon Villen an der Côte d’Azur mit Porsches vor der Tür. Dann kam der Crash. Doch den Crash musste die Allgemeinheit verdauen. Die Villen, die Porsches und die Tresore voller Schmuck sind den Profiteuren von einst geblieben. Das fühlt sich heute ähnlich an: Vermutlich wussten die Nutznießer der Gas-Geschäfte zwischen Deutschland und Russland um das Risiko. Sie steckten viel Geld ein, haben ihr Schäfchen heute im Trockenen und die Bürgerinnen und Bürger zahlen die Rechnung in Form massiv steigender Energiepreise.

    Und wieder passiert nichts.

    Felbermayr: Es muss aber etwas passieren. Das Thema muss aufgearbeitet und die Fehler müssen benannt werden. So hätte etwa die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel verhindern können, dass der Anteil des aus Russland bezogenen Gases so stark seit 2012 ansteigt. Doch die Bundesregierung hat es damals wie andere westliche Regierungen nach der Annexion der Krim bei zu viel Symbolpolitik gegenüber Russland belassen. Es reichte eben nicht, Russland mit Sanktionen zu belegen und aus der Gruppe der G8-Staaten rauszuschmeißen. Denn auf der anderen Seite wurde eine ganz andere Politik betrieben, wenn es ums Eingemachte ging. So unterstützte die Bundesregierung den Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 aus Russland weiter. Und das gegen reichlich Protest aus den USA, Polen und der Ukraine. So bremste Deutschland eine andere Erdgas-Pipeline, die Gas aus dem Kaspischen Meer zu uns gebracht hätte, aus. Die Bürgerinnen und Bürger haben nun das Recht zu erfahren, wer in der Bundesregierung hier welche Entscheidungen befördert hat.

    Wie erklären Sie sich, dass sich Deutschland so abhängig von russischem Gas gemacht hat?

    Felbermayr: Dieses hohe Maß an Abhängigkeit kann man sich schwer erklären. Schon in der Schule lernt man, dass man sich nicht von einem Anbieter abhängig machen und Risiken verteilen sollte. Am Ende drängt sich der Verdacht auf, dass sich die Verantwortlichen in Deutschland so sehr in die russische Abhängigkeit begeben haben, weil das Gas sehr billig ist. Dabei müssten Erdöl- und Gas-Manager wissen, wie riskant dieses kurzfristige Profitstreben ist.

    Wie groß wäre denn der ökonomische Schaden für Länder wie Deutschland, wenn sie auf russisches Gas verzichten?

    Felbermayr: Der Schaden wäre groß. Ökonominnen und Ökonomen streiten darüber, ob dadurch das Bruttoinlandsprodukt um drei, fünf oder sogar acht Prozent in Deutschland einbrechen würde. Doch selbst ein Minus von acht Prozent wäre erträglich. Das wirft uns auf ein Wohlstandsniveau, wie wir es vor fünf Jahren hatten, zurück. Das ist nicht schön. Aber vor fünf Jahren hat in Deutschland keiner gefroren und gehungert.

    Also können wir uns einen Gas-Boykott gegenüber Russland leisten, auch wenn Kanzler Olaf Scholz das bestreitet und sich entsprechende ökonomische Ratschläge verbittet?

    Felbermayr: Ich halte es für unredlich, zu behaupten, man könnte aus ökonomischen Gründen auf gar keinen Fall einen Gas-Boykott gegenüber Russland verhängen. In der Corona-Krise hat der Staat, um ein höheres Ziel zu erreichen, also die Gesundheit der Menschen zu schützen, etwa Hotels und Gasstätten dicht gemacht. Man hat also das Risiko einer Rezession in Kauf genommen. Das könnte man nun, was die Gaslieferungen aus Russland betrifft, wieder tun. Das würde natürlich eine Rezession in Deutschland auslösen. Es gibt aber kein Naturgesetz, das uns einen solchen Schritt verbietet. Die Frage ist, ob wir einen solchen Schritt wagen.

    Welche langfristigen Folgen hätte ein Gas-Boykott?

    Felbermayr: Gas würde dauerhaft teurer werden, denn der Weltmarktpreis für Flüssiggas liegt 20 bis 25 Prozent höher als der für russisches Pipeline-Gas. Transport und Aufbereitung machen Flüssiggas teurer. Wenn wir aber voll auf Flüssiggas setzen, gefährdet das die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Chemie- und Kunststoffhersteller, die viel kostengünstige Energie brauchen. Damit könnte die Produktion dorthin abwandern, wo Flüssiggas gewonnen wird, also in die USA oder in den Nahen Osten. Dann entfallen die Transportkosten. Es würden also viele Produktionsbetriebe aus Europa verschwinden. Und die kommen nicht wieder. Das war während der Corona-Krise anders: Da wurden Hotels und Gaststätten geschlossen. Sie machten jedoch überwiegend wieder auf. An der Geschäftsgrundlage hat sich nicht wesentlich etwas geändert.

    Wirtschaftsminister Habeck hat wegen des Gasstreits mit Russland die Frühwarnstufe ausgerufen. Wie dramatisch ist die Lage?

    Felbermayr: Ohne russisches Gas müssten in Deutschland kurzfristig Industriebetriebe die Produktion einstellen. Die Frage ist, welche Unternehmen müssen auf Gas verzichten und welche werden weiter versorgt. Die Rangordnung der Zuteilung muss nach der Betroffenheit der Industriesektoren erfolgen. Die nächsten Monate müssen dringend genutzt werden, um hier eine wirklich belastbare Datenlage herzustellen. Sonst droht eine Zuteilung nach politischem Einfluss. Innerhalb der Sektoren könnte man Gas über Auktionen zuteilen. Damit wird verhindert, dass das knappe Gut verschwendet wird.

    Wenn das russische Gas weiter fließt, bleibt uns dann in Deutschland in diesem Jahr eine Rezession erspart?

    Felbermayr: Davon gehe ich insgesamt für die deutsche Wirtschaft aus. Doch schon jetzt befindet sich die Industrie in Deutschland und in Österreich in der Rezession. Gesamtwirtschaftlich könnten wir jedoch mit einem blauen Auge davonkommen, weil das erste Quartal dieses Jahres noch gut gelaufen ist. Damit spricht derzeit vieles für eine Art von Stagflation, also eine Kombination aus hoher Inflation und einem stagnierenden Wachstum. Die Lage ist aber sehr fragil. Es darf nichts mehr passieren. Und es gibt ja immer noch die Hoffnung eines Friedensschlusses. Das ist die beste derzeit denkbare Variante, auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch erscheint. Sollte uns Putin von sich aus das Gas abstellen, stellt sich nur noch die Frage, ob die Rezession hart oder sehr hart ausfällt.

    Gabriel Felbermayr, 45, ist Direktor des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung. Zuvor leitete er das Kieler Institut für Weltwirtschaft. Felbermayr stammt aus Steyr in Österreich.

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