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Bauen: Das Schulhaus mit dem weißen Band

Bauen

Das Schulhaus mit dem weißen Band

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    Die umlaufenden weißen Bänder charakterisieren die neue Anna-Pröll-Mittelschule vom Architekturbüro Behnisch in Gersthofen.
    Die umlaufenden weißen Bänder charakterisieren die neue Anna-Pröll-Mittelschule vom Architekturbüro Behnisch in Gersthofen. Foto: Marcus Merk

    Als der Regisseur Michael Haneke vor über zehn Jahren in seinem Film „Das weiße Band“ eine deutsche Kindheit aus dem Kaiserreich schilderte, konnte man jede Menge schwarze Pädagogik erleben, gruselig und grausam. Die Erinnerung an das weiße Band drängt sich beim Besuch der neuen Mittelschule in Gersthofen auf, denn das ausladende Gebäude ist rundum mit weißen Bändern gefasst. Aber ein System von Einschüchterung, Strafe und Untertanengeist denkt man hier nicht; die Schule macht auch an einem Nachmittag und trotz der coronabedingt wenigen anwesenden Schüler einen offenen, unkomplizierten, lebendigen Eindruck.

    „Wir sind eine bunte, vielfältige Schule“, sagt Schulleiterin Sigrid Puschner. Die aus zahlreichen Nationen stammenden, mehreren Religionen angehörenden 650 Schüler hätten gut gelernt, miteinander umzugehen. Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus – das würde zwar schon mal in Pöbeleien auf dem Schulhof erscheinen oder werde sogar mal aus Elternhäusern in die Schule getragen, aber im Unterricht könnten die Lehrer da schnell drauf reagieren. Zum Beispiel gebe es in der Übergangszeit vor der Mittleren Reife genügend Raum, um in Projekten auf Probleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens oder der Zeitgeschichte, der deutschen Nazi-Vergangenheit, einzugehen.

    Nach einer Widerstandskämpferin wurde die Schule benannt

    Diese politische Wachheit der Schule hat auch mit ihrem Namen zu tun: Sie ist – auf Anregung des Gersthofer Lehrers und Historikers Bernhard Lehmann, aber auch auf Wunsch von Schulleiterin und Lehrerkollegium – nach Anna Pröll (1916–2006) benannt, der Augsburger Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, die nach dem Ende der NS-Diktatur in Gersthofen Wohnung fand. Anna Prölls Geschichte, „die kommt gut bei den Schülern an“, sagt Sigrid Puschner, und das stimmt hoffnungsvoll in einer Zeit, in der um demokratische Einstellungen gefürchtet werden muss.

    Aber zurück zum weißen Band, das die Architekten des Neubaus vom Münchner Büro Behnisch und Partner als weithin sichtbares Zeichen einsetzen. Es umspannt die Balkone und Dächer des dreigeschoßigen Hauptbaus sowie des flachen Zugangsbereichs und der daneben liegenden Turnhalle, es findet sich im Inneren wie ein weißer Saum der Galerien und Treppen. Gerundete Ecken, viele Fenster und die warme Materialwirkung der Lärchenholzschalung vermitteln ein weiches organisches Bild.

    Im Inneren verlaufen die weißen Bänder kreuz und quer durch die luftige dreigeschoßige Aula, ziehen sich mit schlanken weißen Relings als Geländer über die hellgrünen Sitzstufen, entlang schwungvoll auskragender Balkone, verlaufen vor Glas-, Holz - und Betonflächen und lenken den Blick hinauf zur großen Glaskuppel, die mit gelben Segeln bespannt ist und über allem schwebt. Ein heller Wohlfühlraum ist diese Aula, auch wenn man daran denken muss, wie diese Glaskuppel sowie einige der vielen Fensterscheiben in dem nigelnagelneuen 35 Millionen-Bau für Schäden sorgten: Das Wasser lief in Klassenzimmer, so ganz ist das Problem wohl noch immer nicht behoben.

    Wenige Materialien, freundliche Farben und eine ökologische Technik

    Dennoch: Die Konzeption mit flexiblen Lernräumen (Klassenzimmer, Ruheräume und Gruppenzonen je nach pädagogischem Bedarf), mit viel Platz in den Fluren und den dort verteilten kuscheligen Leseinseln, mit bestens ausgestatteter Lehrküche, Werk- und IT-Räumen sowie der überaus großzügigen Turnhalle ist bestechend. Und die ästhetische Gestaltung (wenige Materialien, freundliche Farben) sowie die ökologische Technik (Betonkernaktivierung zur Kühlung und zur Heizung, Wärmetauscherelemente, dezentrale Lüftung, grüne Dächer und Blumenwiesen rund ums Gebäude) sind es nicht minder.

    Diese Vorteile sowie die selbstbewusste städtebauliche Platzierung in dem höchst uneinheitlichen Umfeld am Stadtrand von Gersthofen brachten der Anna-Pröll-Schule eine Nominierung für den diesjährigen Preis des Deutschen Architekturmuseums DAM ein. Dass die Schule es dann doch nicht auf die Shortlist geschafft hat, ist unerheblich. Man kann im neuen Jahr auf jeden Fall Pläne und Fotos in der Ausstellung im DAM in Frankfurt/Main sowie im Jahrbuch der besten deutschen Neubauten bewundern.

    Unabhängig davon besteht die Wirkung vor Ort: Man ist schon sehr beeindruckt davon, was sich diese zugegebenermaßen nicht gerade arme Stadt im Speckgürtel von Augsburg da für eine luxuriöse Mittelschule geleistet hat. Und sich weiterhin leistet, denn es wird bereits an einem Erweiterungsbau gearbeitet. Respekt – das ist ja auch ein Bekenntnis zur Jugend und darüber hinaus zur Förderung und Integration jener jungen Menschen, die nicht schnurstracks gen Abitur und Universität ziehen.

    Anna Pröll, die Namensgeberin, ist übrigens mit einem großen Porträtfoto in der Aula der Schule vorhanden. Obwohl Architekten es meist nicht so schätzen, wenn die leeren Wände ihrer Bauten mit Fotos behängt werden, hat es Hausmeister Kratz einfach gemacht. Auch das ist ein Bekenntnis. Gut so.

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