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Augsburg: Die Lange Nacht des Wassers

Augsburg

Die Lange Nacht des Wassers

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    Die Lange Nacht des Wassers zieht Tausende an.
    Die Lange Nacht des Wassers zieht Tausende an. Foto: Michael Hochgemuth

    Nie war der gute Rat von Kunstnacht-Profis, sich einfach treiben zu lassen, so angebracht wie diesmal: Die Lange Nacht des Wassers verleitet zum Eintauchen in Kunst und Kultur. Wohin es einen führen wird, weiß man noch nicht, sicher ist aber eines: Der Himmel hält sich an diesem schönen, lauen Sommerabend nicht ans Motto.

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    Also erst einmal zum Eröffnungskonzert der Augsburger Philharmoniker im Goldenen Saal. Und da bekommt man einen Riesenschreck: OB Kurt Gribl kündigt an, alle 200 Programmpunkte ausführlich zu erläutern – ist aber „ nur ein Scherz“. Die Vielfalt des nassen Elements ist dann im Konzert unter Ivan Demidov zu „hören“. Natürlich Händels „Wassermusik“, glänzend gespielt, eröffnet den Verlauf der musikalischen Fluten und Wellen. Märchenhaft wird es mit dem Nixen-Chor aus Dargomyschskis „Rusalka“ und in der Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“ von Offenbach. Die Gewittermusik aus Rossinis „Barbier“ schlägt heftigere Grolltöne an. Tenor Thaisen Rusch ist geschmeidig für Sehnsucht am Wasser zuständig: Lehárs „Wolgalied“ schwingt sich über den gewaltigen Fluss. Mendelssohns „Hebriden“ lassen genial die Gefährlichkeit stürmischer See spüren. Zuletzt wird alles gut mit Strauß’ „An der schönen blauen Donau“ (samt Chor). Begeisterung. Apropos Mendelssohn: Wer es in den Kleinen Goldenen Saal schafft, kann sich an „Durstenden Chören“ aus „Elias“ erquicken, famos dargeboten von Friedberger Kammerorchester und Augsburger Vokalensemble.

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    Stefanie Schlesinger wiegt sich im Glück. Die Sängerin beschwört im Jazzclub die Brücken „made of love“ zwischen Verliebten. Ihre Stimme schmeichelt dem Gefühl, eins mit sich zu sein. Tief wie der Ozean und hoch wie der Himmel kann die Liebe sein, erzählt ein Song und Sven Faller am Kontrabass schrubbt sich in die Tiefe hinab, bevor Wolfgang Lackerschmid am Vibrafon wieder einen perlenden Tropfenschleier erzeugt. Guido May am Schlagzeug glänzt, wenn sich brasilianische Lebensfreude entlang des Amazonas ausbreitet. Und der brechend volle Jazzclub ist blau ausgeleuchtet – das ideale Licht für diese Stimmungen.

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    Vor dem Brechthaus rauscht der Lechkanal und darin besingt Karla Andrä die Lust des Schwimmens „im bleichen Sommer“. Man müsse auf dem Rücken liegen und sich treiben lassen, rät Brecht – „auch der liebe Gott schwimmt am Abend noch in seinen Flüssen“. Wieder einmal neu begegnet man in diesem Lyrikprogramm von „Text will Töne“ dem Dichter. Verschmitzt erzählt B.B. vom Ichthyosaurus, der als einziger Noahs Arche nicht bestieg, weil eine Sintflut außerhalb seiner Vorstellung lag. Klug reflektiert er über den beständigen Wandel der Welt: „Solange dein Fuß im Wasser steht, werden sich neue Wellen an ihm brechen.“ Und beim Lied von der Moldau, dass „groß nicht das Große und klein nicht das Kleine“ bleibt, singen die Leute zu den Gitarrenklängen von Josef Holzhauser mit.

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    Wer übernimmt das Ruder? Na klar, diejenige, die einen Bootsschein hat. Schon sticht der Kahn in See, zusammen mit elf anderen Booten. Wenn es nach der Utopie des Augsburger Baumeisters Karl Albert Gollwitzer (1839–1917) gegangen wäre, ankern an der Kahnfahrt jetzt dampfgetriebene Schiffe und Augsburg wäre per Wasserstraße mit der Welt verbunden. Ein Glück, dass dieser Plan im Jahre 1902 von den Stadträten versenkt wurde, sonst wäre diese lustige, einstündige Ruderbootführung mit Kurt Idrizovic als Lotse und Agnes Reiter und Stefan Arndt als musikalische Begleiter gar nicht möglich. Oben im Fenster des Wasserturms am Gänsbühl erscheint Baumeister Gollwitzer (Volker Stöhr) höchstpersönlich, um von dem zu erzählen, was ihm damals vorgeschwebt hatte.

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    Bei der langen Kunstnacht 2018 in Augsburg drehte sich künstlerisch alles ums Wasser. Hier finden Sie die besten Bilder.

    Er ist ihr Zufluchtsort. Hier, im mit Folie ausgekleideten, marmorierten Badezimmer, kann sie „ihre eigene Prinzessin sein“ und unter Schaumbergen aus ihrem Alltag abtauchen. Im Schaezlerpalais liest Daniela Nering Ingrid Lausunds Monolog einer Frau, die sich, gewappnet mit einer Großpackung Badekugeln, hineinträumt in jene Fantasiewelten, die die Werbung ihr verheißt. Plötzlich irritiert etwas, in ihrem Badezimmer tauchen schwarze Gestalten auf – aus Afrika, wo die Brunnen kein Wasser mehr geben. Immer mehr dieser Gestalten bevölkern das Badezimmer, die Frau in der Wanne kann sich ihrer Existenz nicht mehr erwehren, sie taucht ab in die Wellen, ist plötzlich eine andere: die, die von einem Flüchtlingsboot ins Meer mit seinen hohen Wogen stürzt. Die Zuhörer halten den Atem an.

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    Derweil tauchen fünf Damen in hellblauen Bademänteln und türkisen Badeanzügen im Annahof in den imaginären Pool ein: Die Asphaltschwimmerinnen üben sich im Synchronschwimmen. Eine erfrischende Tanzperformance, die die Befreiung von der Uniformität feiert.

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    Nicht nur auf das Wasser beschränkt sich der Mozartchor in ev. St. Ulrich: Feuer, Luft und Erde werden ebenfalls besungen mit der „Sunrise Mass“ von Ola Gjeilo und Mozarts Windchören aus „Idomeneo“. Es flirrt und plätschert, faszinierende Klangbilder dringen in die Ohren mit dieser beeindruckenden Reise vom Himmel zur Erde.

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    Geschlendert wird hier nicht: Der Kies knirscht. Mit strammen Schritten gehen die Besucher in den Damenhof und positionieren sich um das Wasserbassin. Hier treffen Fans der langen Kunstnacht auf alte Bekannte – Beate Gatscha und Gert Anklam waren bereits 2007 und 2013 Teil des Programms. Mit ihrem selbstkonstruierten Instrument, der Wasserstichorgel, passen sie perfekt zum Thema. Werden die PVC-Röhren ins Wasser gelassen, erklingt erst ein tiefer Seufzer, dann, durch das Auf und Ab eine harmonische Klangreihe. Nach dem Konzert von „Liquid Soul“ trennt sich das Publikum in zwei Gruppen: Die eine springt sofort auf, die andere genießt mit einem Glas in der Hand die Atmosphäre des Prunkhofs.

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    Viel Atmosphäre auch im Fronhof: Beleuchtete Wassersäckchen weisen den Weg zu den Spielstationen des Berliner Theaters Anu. Bäume schimmern grün und rot, das Rufen nach der Nixen-Frau Udine dringt durch den Park und der Froschkönig hadert mit seinem Dasein im Brunnen. Licht, Schatten und Wasser spielen die Hauptrollen bei diesem poetischen Theaterparcour.

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    Es sieht nach Kabelsalat aus, was Stefan Schulzki da auf der kleinen Bühne der Soho Stage fabriziert hat. Mit Modular-Synthesizer, Sampler und Laptop beherrscht er aber sein wildes Wirrwarr an Kabeln, Schaltern und Hebeln, um eine beeindruckende Geräuschkulisse aufzubauen. Der Augsburger Komponist nimmt die Besucher mit in andere Welten – die elektronischen Effekte lassen einen nicht zur Ruhe kommen. Genauso wenig wie Sopranistin Beatrice Ottmann, die das Klangspektakel mit ihrer Stimme ergänzt. Sie singt, haucht und rapt Texte wie „Das Leben ist schön“ von Unica Zürn oder „Todeslust“ von Joseph von Eichendorff. Dieser Mix ist an dem Abend kein bloßes Geplätscher – wunderbar.

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    Ein bisschen zu kurz kommen in dieser Langen Nacht die eigentlichen Hauptakteure. Niemand dachte daran, die prächtigen Brunnen in der Maximilianstraße und rauschenden Kanäle im Lechviertel in ein besonderes Licht zu tauchen. Lässig hätte dieser denkmalschonende Akzent die ausgefallene Spritztour am Rathausplatz aufgewogen.

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