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Literatur im Biergarten: Alle wollen zum Bierbichler

Literatur im Biergarten

Alle wollen zum Bierbichler

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    Josef Bierbichler eröffnet die diesjährige Reihe von „Literatur im Biergarten“ mit Auszügen aus seinem Erfolgsroman „Mittelreich“. Der Biergarten „Drei Königinnen“ ist schon seit Wochen ausverkauft.
    Josef Bierbichler eröffnet die diesjährige Reihe von „Literatur im Biergarten“ mit Auszügen aus seinem Erfolgsroman „Mittelreich“. Der Biergarten „Drei Königinnen“ ist schon seit Wochen ausverkauft. Foto: Fred Schöllhorn

    Von zu wenig Publikumszuspruch kann keine Rede sein. Schon seit Wochen ist der Biergarten der „Drei Königinnen“ in Augsburg ausverkauft. Es ist wieder August, das heißt, dass dort im dreißigsten Jahr die „Literatur im Biergarten“ stattfindet. Ein Selbstläufer mittlerweile – vor allem, wenn der große Josef Bierbichler aus seinem Erfolgsroman „Mittelreich“ liest.

    Nur kurz erinnert der Organisator und Buchhändler Kurt Idrizovic noch einmal daran, wie das anfing im Sommer 1988. Der Wirt habe damals geunkt: „Das wird nichts, da kommt niemand.“ Auch bei der zweiten Veranstaltung – einer Lesung mit Carl Amery, war sich der Wirt sicher, der Biergarten bleibe leer, erzählt Idrizovic. – Was aber nicht stimmte: In der Pause gingen nämlich die Maßkrüge aus.

    Bierbichler erklärt nur kurz die Handlung

    Einschenken darf sich der Star des ersten Abends im Sommer 2018 sein Weißbier selbst, schließlich gehört ihm das Gasthaus zum Fischmeister in Ambach am Starnberger See. Währenddessen erklärt Bierbichler, wovon „Mittelreich“ handelt – einer Bauern- und Gastwirtsfamilie am Starnberger See, die er über ein Jahrhundert weg drei Generationen lang verfolgt. Und schon schlägt Bierbichler die ersten Seiten auf, er liest lieber mit seinem oberbayerischen Färbung, als dass er groß vom Buch erzählt, das Weißbier ist auch längst im Glas.

    Um sich selbst macht der 70-Jährige kein großes Aufhebens. Man kennt ihn aus Filmen wie „Winterschläfer“, „Hierankl“, „Landauer – Der Präsident“ und zuletzt „Zwei Herren im Anzug“, seiner Verfilmung von Motiven des Romans „Mittelreich“. Diese Film hat Bierbichler übrigens vor der Lesung im Thalia präsentiert. Bierbichler hat aber nicht nur als Schauspieler geglänzt (im Film und auf der Bühne), sondern er hat 2011 auch diesen unglaublichen Roman vorgelegt.

    Immer ein bisschen Grant in der Stimme

    Im Biergarten wird die Zeit zurückgedreht, kurz vor das Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Seewirt werden die Ausgebombten einquartiert. Es gibt diejenigen, die Geld haben und etwas für die Unterkunft bezahlen können, und die anderen, die nichts mehr haben – ach ja, und jetzt schon auch bei aller Ungeschicklichkeit als Gegenleistung in der Landwirtschaft helfen können, sonst kommen sich ja die, die für die Unterkunft bezahlen, blöd vor.

    Bierbichler liest das trocken vor. Immer liegt ein bisschen Grant in der Stimme. Nicht der Schauspieler, sondern der Schriftsteller sitzt auf dem Mini-Podium. Der wortgewaltige Text soll für sich sprechen. Lakonisch und kurz sind die Sätze, kurios die Szenen, wenn die „Brieftaube“ mit weißem Laken sich erst als Heilige Johanna des Dorfes fühlt, weil sie die Kapitulationsverhandlungen mit den Amerikanern führt und gleich danach zu Tode erschrickt, als sie das erste Mal einen schwarzen GI sieht.

    Der Stammtisch ist nur noch langweilig

    Dann springt Bierbichler um zwei Jahrzehnte nach vorn in der Handlung und lässt den Zugehmetzger Zuber Storch beim Holzwirt in Kirchgrub zu Wort kommen. Der sich am Schluss – reichlich betrunken, kurz bevor er auf seine Zündapp steigt – dann doch über die anderen am Stammtisch aufregt:

    „Ich pack es jetzt auch, brummte der Zuber. Seine ganze Stimmung war beim Teufel. Der Müller Heinze war gegangen, der Einzige, mit dem man sich noch hakeln konnte. Die anderen waren alle so etwas von langweilig und ordentlich, so katholisch, fast schon protestantisch, selbst wenn sie was gesoffen hatten, dass einem so gut aufgelegten Existenzbejaher wie dem Zuber alle Freude zu versiegen drohte.“

    Da blitzt auch der Schauspieler Bierbichler auf, wenn er die Antworten des arbeitslosen und sturzbetrunkenen Zimmerergesellen Müller Heinz vom Nebentisch lallt. Gelächter im ausverkauften Biergarten vor der Pause.

    Lebens- und Weltgeschichte in dem Roman

    Nach der Pause hat Bierbichler eine Passage vom Ende des Romans ausgewählt. An Lachen ist nicht mehr zu denken, selbst das Bier will nicht mehr schmecken. Sinnigerweise trinkt Bierbichler jetzt vorne Wasser. Der Pankraz und sein Sohn Semi haben sich überworfen. Danach fängt der Pankraz an, sich zu erinnern – an Fronterlebnisse, als sie schon im Rückzug waren. Im Blick seines Sohnes erkennt der Pankraz den Blick der Jungen, die hinten im Laderaum eines Lastwagens waren. Der Fahrer gab Vollgas, ihm, dem Pankraz war übel. Vor deshalb, weil SS-Leute zuvor den Laderaum luftdicht abgeklebt hatten und über ein Oberlicht die Abgase einleiteten.

    Alle im Biergarten spüren in diesem Augenblick, wie viel Lebens-, aber auch Weltgeschichte in diesem Bierbichler-Roman stecken, kräftig erzählt und unerbittlich zu Ende gedacht. Langer Applaus für die zweistündige Lesung.

    am 12. August um 19 Uhr, dann kommt Dirk Heißerer. Bei ihm heißt es: „Von Jack the Ripper zu MAckie Messer“. Musikalisch begleitet wird der Abend von René Haderer.

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